Urteilsanalyse
§ 134 InsO bei nichtigem Gewinnverwendungsbeschluss nicht durch § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG gesperrt
Urteilsanalyse
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Der aktienrechtliche Schutz des gutgläubigen Dividendenempfängers schließt nach einem Urteil des BGH eine Insolvenzanfechtung nicht aus.

30. Mai 2023

Rechtsanwalt Karsten Kiesel, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 10/2023 vom 25.05.2023

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Sachverhalt

Der klagende Insolvenzverwalter einer seit 1.4.2014 im Insolvenzverfahren befindlichen KGaA (nachfolgend: Schuldnerin) verlangt von der beklagten Kommanditaktionärin Rückzahlungen von Dividenden für die Geschäftsjahre 2009 bis 2012 unter dem Gesichtspunkt einer Schenkungsanfechtung nach § 134 InsO.

Die Dividendenzahlungen erfolgten auf der Grundlage von Gewinnverwendungsbeschlüssen nach Gewinnen ausweisenden und festgestellten Jahresabschlüssen. Auf Nichtigkeitsfeststellungsklagen des Klägers hin wurde die Nichtigkeit der Gewinnverwendungsbeschlüsse für die Jahre 2009 und 2010 festgestellt, die Klage im Hinblick auf die Jahresabschlüsse für 2009 und 2010 als unzulässig abgewiesen und die Nichtigkeit sowohl der Jahresabschlüsse als auch der Gewinnverwendungsbeschlüsse für die Jahre 2011 und 2012 festgestellt. Die Frage der Nichtigkeit der Jahresabschlüsse für die Jahre 2009 und 2010 blieb dabei offen.

Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung hin gab das Oberlandesgericht der Klage mit Ausnahme einer Teilzinsforderung statt. Die Revision hatte teilweise Erfolg und führte zur Zurückverweisung, soweit die Beklagte zur Rückgewähr von Dividendenzahlungen für die Jahre 2009 und 2010 verurteilt wurden, und zur Zurückweisung im Hinblick auf die Dividendenzahlungen für die Jahre 2011 und 2012.

Entscheidung

Unentgeltlichkeit bei Erfüllungshandlung ohne Rückforderungsanspruch

Der Senat stellt zunächst die Grundsätze der Unentgeltlichkeit im Zwei-Personen-Verhältnis dar. Die Frage der Unentgeltlichkeit der Erfüllung sei nach dem Grundgeschäft zu beurteilen. Erfüllungsleistungen des Schuldners seien unentgeltlich, wenn entweder dem Schuldner bereits nach dem – wirksamen – Grundgeschäft keine ausgleichende Gegenleistung zufließen solle oder dem Schuldner bei einem unwirksamen entgeltlichen Grundgeschäft kein Anspruch auf Rückforderung der – ohne Rechtsgrund – erbrachten Leistung zustehe. Zeitlich maßgeblich sei der Zeitpunkt, zu dem die rechtlichen Wirkungen der Leistung wie einer Dividendenzahlung eintreten.

Eine ursprünglich entgeltliche Leistung werde durch spätere Veränderungen nicht nachträglich unentgeltlich. Zur Unentgeltlichkeit könne es daher führen, wenn für eine rechtgrundlose Leistung wegen der Anwendbarkeit von § 814 BGB oder § 817 Satz 2 BGB kein Rückforderungsanspruch bestehe, nicht, aber wenn lediglich später der Entreicherungseinwand des § 818 Abs. 3 BGB greife.

Die in der Literatur vertretene Auffassung, wonach bei rechtsgrundloser Leistung ohnehin stets Unentgeltlichkeit bestehe, sei abzulehnen. Die Rechtsposition des Empfängers einer rechtsgrundlosen Leistung, dem lediglich spezifisch bereicherungsrechtliche Einwendungen zustünden, bliebe hinter jener, bei einem in jeder Hinsicht ordnungsgemäßen Rechtserwerb zurück. Ein Grund für eine insolvenzanfechtungsrechtliche Privilegierung des Empfängers einer rechtsgrundlosen Leistung gegenüber demjenigen, der seine Leistung in jeglicher Hinsicht ordnungsgemäß erworben hat, bestehe nicht. Vermeintliche Wertungswidersprüche gegenüber Empfängern gesetzeswidriger Dividendenzahlungen würde die Gegenmeinung nicht auflösen, sondern nur überdecken.

Unentgeltlichkeit von Dividendenzahlungen bei der AG bei nichtigem Gewinnverwendungsbeschluss

Bei den Dividendenzahlungen für die Jahre 2011 und 2012 fehle es aufgrund der festgestellten Nichtigkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses und des zugrundeliegenden Jahresabschlusses bereits zum Zeitpunkt der Dividendenzahlungen an einem Rechtsgrund. Weiter habe der Schuldnerin kein Rückforderungsanspruch zugestanden, da ein Anspruch nach § 62 Abs. 1 AktG wegen der anzunehmenden Gutgläubigkeit der Beklagten nicht bestanden habe und die Spezialregelung etwaige Bereicherungsansprüche verdränge. Ein Gegenwert für die von Anfang an ohne Rechtsgrund gezahlten Dividenden sei damit nicht in das Vermögen der Schuldnerin gelangt.

Allerdings könne die Anfechtbarkeit gem. § 134 InsO für die Zahlungen der Jahre 2009 und 2010 nicht abschließend geklärt werden, da wegen fehlender Feststellungen zur ursprünglichen Unwirksamkeit der Gewinnverwendungsbeschlüsse nicht feststehe, dass es um Zeitpunkt der jeweiligen Auszahlung keinen Anspruch darauf gab. Spätere Änderungen wie eine rückwirkende Beseitigung des Gewinnauszahlungsanspruchs einerseits oder ein durch Zeitablauf eintretende Unangreifbarkeit des ursprünglich unwirksamen Gewinnverwendungsbeschlusses andererseits könnten eine Anfechtbarkeit nachträglich begründen oder ausschließen.

Die Schenkungsanfechtung sei auch nicht durch § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG beschränkt. Für die Annahme eines entsprechenden Willen des Gesetzgebers zu einer Beschränkung des Anfechtungsrechts bestehe kein hinreichender Grund, auch unter Berücksichtigung rechtssystematischer Erwägungen zu den Unterschieden des Gutglaubensschutzes im Vergleich zu § 31 Abs. 2 GmbHG. Dies lasse sich auf den gesellschaftsrechtlichen Rückgewähranspruch beschränken.

Eine Anfechtbarkeit von Dividendenzahlungen lasse § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG auch nicht leerlaufen, da die Haftung strenger sei als § 134 InsO mit dem möglichen Entreicherungseinwand und anderen Fristen. Auch seien die Anspruchsvoraussetzungen unterschiedlich, insbesondere bei erst für nichtig erklärten, aber nicht ursprünglich nichtigen Gewinnverwendungsbeschlüssen. Praktisch stehe der bösgläubige Aktionär damit besser als der gutgläubige.

Der erhobene Entreicherungseinwand nach § 143 Abs. 2 InsO sei mangels Darlegungen nicht erfolgreich.

Praxishinweis

Mit der Entscheidung klärt der BGH die in der Literatur umstrittene Frage, ob § 62 Abs. 1 Satz 2 AktG die Schenkungsanfechtung von Dividendenzahlungen hindert, zulasten der Aktionäre. Dies hatte sich bereits angedeutet (vgl. zur Vorinstanz: BeckRS 2022, 17711 mit Anm. Baumert, FD-InsR 2022, 450873; BeckRS 2021, 41233). Dies gilt für vergleichbare Regelungen bei anderen Gesellschaftsformen entsprechend § 31 Abs. 2 GmbHG, § 172 Abs. 5 HGB.

Gleichzeitig beschränkt der BGH die Anwendung des § 134 InsO auf bereits bei Auszahlung nichtige Gewinnverwendungsbeschlüsse, wobei eine rechtzeitige Klageerhebung i.S.d. § 242 Abs. 2 AktG (analog) gegen den nichtigen Beschluss wegen der Relevanz im Auszahlungszeitpunkt nicht erforderlich ist.

BGH, Urteil vom 30.03.2023 - IX ZR 121/22 (OLG Frankfurt a. M.), BeckRS 2023, 8924