Urteilsanalyse
1,0 Einigungsgebühr bei gerichtlich gebilligtem Zwischenvergleich zur Regelung des Umgangs
Urteilsanalyse
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Ein im Hauptsacheverfahren zur Regelung des Umgangs geschlossener und gerichtlich gebilligter Zwischenvergleich kann nach einem Urteil des BGH eine 1,0 Einigungsgebühr zur Entstehung bringen.

25. Aug 2023

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 17/2023 vom 24.08.2023

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Sachverhalt

Soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse verlangte die klagende Rechtsanwältin von der Beklagten die Zahlung einer 1,0 Einigungsgebühr nach VV 1000, 1003 RVG. Die Beklagte war Antragsgegnerin in einem Hauptsacheverfahren zur Regelung des Umgangsrechts vor dem FamG. Sie wurde von der Klägerin vertreten. Zwischen der Klägerin und der Beklagten wurde eine Vergütungsvereinbarung geschlossen, nach der die anfallenden Gebühren nach einem Gegenstandswert von 10.000 EUR abgerechnet werden sollten. Im Termin vor dem FamG wurde unter Mitwirkung der Klägerin ein gerichtlich gebilligter Zwischenvergleich, insbesondere über öffentliche Umgangskontakte und das Einverständnis der Eltern mit der befristeten Bestellung eines Umgangspflegers, geschlossen. Danach wurde der Mandatsvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten beendet.

Das AG sprach der Klägerin die geltend gemachte Einigungsgebühr nach einem Gegenstandswert von 10.000 EUR zu. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision wandte sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Entrichtung der Einigungsgebühr. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Entscheidung: Einigungsgebühr soll gerichtsentlastend wirken, dieses Regelungsziel erfasst auch Teileinigungen 

Das Berufungsgericht sei mit Recht davon ausgegangen, dass durch die Mitwirkung der klagenden Rechtsanwältin beim Abschluss des gerichtlich gebilligten Zwischenvergleichs im Umgangsverfahren eine 1,0 Einigungsgebühr nach VV 1000, 1003 RVG in der einschlägigen, bis zum 30.9.2021 geltenden Fassung entstanden ist.

Die Regelungen des Abs. 2 der Anm. zu VV 1003 RVG seien in mehrfacher Hinsicht auslegungsbedürftig. Anhand des Wortlauts der Anmerkung lasse sich nicht sicher beantworten, ob es sich um einen eigenständigen Gebührentatbestand oder um eine Ergänzung der in VV 1000 RVG geregelten Voraussetzungen für die Entstehung der Einigungsgebühr handele. Damit im Zusammenhang stehe die Frage, ob sich der letzte Halbsatz des Abs. 2 der Anmerkung zur VV 1003 RVG („wenn hierdurch …“) auf beide Varianten der Regelung beziehe – gerichtlich gebilligter Vergleich und Vereinbarung – oder nur auf die Vereinbarung, über deren Gegenstand vertraglich nicht verfügt werden könne. Die bisher vorliegende Rspr. behandele die Frage, ob es sich bei Abs. 2 der Anm. zu VV 1003 RVG um einen eigenständigen Gebührentatbestand oder um eine Ergänzung der in VV 1000 RVG geregelten Voraussetzungen handele, entweder nicht ausdrücklich oder lasse sie offen. Die Frage, ob sich der letzte Halbsatz des Abs. 2 der Anm. zu VV 1003 RVG („wenn hierdurch …“) auch auf den gem. § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Vergleich beziehe, werde teilweise verneint. Andere Gericht hätte es hingegen für notwendig gehalten, dass eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich werde oder diese der getroffenen Vereinbarung folge.

Richtigerweise ist Abs. 2 der Anm. zu VV 1003 RVG kein eigenständiger Gebührentatbestand und gelte das Erfordernis einer gerichtlichen Entlastung im letzten Halbsatz des Abs. 2 nicht für den gem. § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Vergleich.

Abs. 2 der Anm. zu VV 1003 RVG sei durch das Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG) vom 17.12.2008 angefügt worden. Dem Regierungsentwurf des Gesetzes sei zu entnehmen, dass mit Abs. 2 der Anm. zu VV 1003 RVG von der sonst üblichen Regelungstechnik abgewichen werde, dass alle Voraussetzungen für das Entstehen der Einigungsgebühr in der Anm. zu VV 1000 RVG zu finden seien. Ferner werde zwischen den beiden Varianten des Abs. 2 unterschieden und nur hinsichtlich der Vereinbarungen im Übrigen – nicht für den gerichtlich gebilligten Vergleich – auf das Erfordernis einer gerichtlichen Entlastung verwiesen.

Aus der Unterscheidung zwischen den beiden Varianten des Abs. 2 der Anmerkung in den Gesetzesmaterialien folge, dass das Erfordernis einer gerichtlichen Entlastung im letzten Halbsatz des Abs. 2 nach dem Willen des Gesetzgebers nicht für den gem. § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Vergleich gelten solle. Ein hinreichend deutlicher Wille des Gesetzgebers zur Regelung eines eigenständigen Gebührentatbestands lasse sich nach den Gesetzesmaterialien hingegen nicht entnehmen. Danach solle zwar von der sonst üblichen Regelungstechnik abgewichen werden. Das enthalte aber keine vollständige Abkehr von dem System der VV 1000 RVG als Grundtatbestand. Insbesondere sei Abs. 2 der Anm. zu VV 1003 RVG nicht aus sich heraus abschließend, wenn man das Erfordernis einer gerichtlichen Entlastung nicht auf den gem. § 156 Abs. 2 FamFG gebilligten Vergleich beziehe.

Es sei deshalb davon auszugehen, dass Abs. 2 der Anm. zu VV 1003 RVG zusätzliche Voraussetzungen für die Entstehung der Einigungsgebühr enthalte, diese aber nicht abschließend regele. Danach reiche die Mitwirkung am Abschluss eines gem. § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Vergleichs nicht aus. Hinzukommen müsse, dass durch den Vergleich der Streit oder die Ungewissheit beseitigt werde (Anm. Abs. 5 Satz 3 iVm Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 zu VV 1000 RVG). Daran habe sich durch die Neufassung der Anmerkung zu VV 1000 RVG durch das Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 22.12.2020 nichts geändert. Der Gesetzgeber habe das Erfordernis der Beseitigung von Streit oder Ungewissheit gleichsam vor die Klammer gezogen. Deshalb verwiesen die in Abs. 5 der Anmerkung enthaltenen Regelungen über Vereinbarungen in Kindschaftssachen nicht mehr ausdrücklich auf dieses Erfordernis.

Streit oder Ungewissheit könne auch durch einen gem. § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Zwischenvergleich beseitigt werden.

Der Wortlaut des Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Anm. zu VV 1000 RVG spreche allerdings dafür, dass für die Entstehung der Einigungsgebühr eine endgültige Einigung über alle streitigen oder ungewissen Punkte erforderlich sei. In Bezug genommen werde „der“ Streit oder „die“ Ungewissheit und damit die gesamte im konkreten Fall vorliegende Uneinigkeit oder Unsicherheit. Ein solches Verständnis widerspräche nach dem BGH jedoch Sinn und Zweck der Einigungsgebühr. Die streitvermeidende oder -beendende Tätigkeit des Rechtsanwalts solle gefördert werden, die Einigungsgebühr dadurch gerichtsentlastend wirken. Diese Regelungsziele erfassten auch Teileinigungen. Teileinigungen könnten gegenständlich oder zeitlich beschränkt erfolgen. Auch ein Zusammenspiel aus gegenständlich und zeitlich beschränkter Einigung sei denkbar. Maßgeblich sei, ob die geregelten Teile unabhängig vom weiterhin streitigen Rest Bestand haben sollten.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BGH klärt mehrere Auslegungsfragen von Abs. 2 der Anm. zu VV 1003 RVG. So arbeitet der BGH heraus, dass Abs. 2 der Anm. zu VV 1003 RVG kein eigenständiger Gebührentatbestand ist, vielmehr zusätzliche Voraussetzungen für das Entstehen der Einigungsgebühr enthält, diese aber nicht abschließend regelt. Desweiteren unterstreicht der BGH, dass das Erfordernis der gerichtlichen Entlastung im letzten Halbsatz von Abs. 2 der Anm. von VV 1003 RVG nicht für den gem. § 156 Abs. 2 FamFG gerichtlich gebilligten Vergleich gilt.

BGH, Urteil vom 25.05.2023 - IX ZR 161/22 (LG Kleve), BeckRS 2023, 18326