Von Dr. Ann-Kristin Mayrhofer und Dr. Sebastian Dötterl,
Seit generative KI Ende 2022 einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, ist der „Geist aus der Flasche“: ChatGPT & Co. durchdringen weite Teile der Gesellschaft, einschließlich des Rechtsmarkts. Sie unterstützen nicht nur bei Routineaufgaben, sondern zunehmend auch bei juristischen Kerntätigkeiten.
Generative KI macht Juristinnen und Juristen indes nicht überflüssig. Denn in einer zunehmend
komplexen Welt mit zunehmend komplexerem Recht werden juristisch geschulte Problemlöserinnen und Problemlöser
dringender gebraucht denn je. Die juristische Ausbildung muss aber auf die
veränderte Arbeitsrealität reagieren. Dabei stellen sich zwei zentrale Fragen: Was gelernt wird
(„Lernen über KI“) und wie gelernt wird („Lernen mit KI“).
„Lernen über KI“ bedeutet, dass die Ausbildung auch ein
technologisches Grundverständnis vermitteln sollte, insbesondere über Funktionsweise, Stärken und Schwächen von KI.
Dies erfordert eine stärkere Interdisziplinarität im Lehrplan.
Außerdem müssen Studierende die Gelegenheit haben, den
verantwortungsvollen Umgang mit KI zu üben, etwa in Haus-und Seminararbeiten, die so auch neue Fähigkeiten wie KI-Kompetenz vermitteln. Gleichzeitig sollte das Recht der Digitalisierung – wie Datenschutzrecht und KI-Regulierung – eine
noch größere Rolle spielen. Wir selbst haben 2024 und erneut
2025 in unseren Grundlagenseminaren „KI und Recht“ einen innovativen Ansatz erprobt: Der Einsatz generativer KI bei der Erstellung der Seminararbeit war dort verpflichtend, wobei die Studierenden die Nutzung transparent dokumentieren und bewerten mussten.
„Lernen mit KI“ zielt darauf ab, generative KI für neue Ausbildungsformate zu nutzen. Die
Potenziale sind vielfältig: Von Übungen mit virtuellen Mandantinnen und Mandanten bis hin zu
KI-Tutoren, die individuelles Feedback geben, ist vieles denkbar. Die KI-Kompetenz wird dabei mit-trainiert.
Doch nicht alles, was möglich ist, ist auch sinnvoll. Dass generative KI inhaltliche Fehler macht, ist
bekannt. Die noch größere Gefahr lauert jedoch woanders: Der unreflektierte Einsatz von KI kann
zu einer Auslagerung des Denkens (cognitive offloading) führen. Wenn vorschnell eine KI herangezogen wird, werden Denkprozesse nicht mehr eigenständig durchlaufen und damit auch nicht
mehr erlernt. Dies wäre speziell für den juristischen Nachwuchs fatal – denn kritisches Denken ist
der unique selling point guter Juristinnen und Juristen.
Auch in Zukunft muss die Vermittlung der klassischen juristischen Fähigkeiten im Zentrum der Ausbildung stehen: analytisches Denken, Methodik und Problembewusstsein. Hierfür sind auch weiterhin KI-freie Formate erforderlich, zum Beispiel Klausuren und mündliche Prüfungen. Beim Einsatz von KI ist eine bewusste „KI-Hygiene“ unerlässlich. Studierende sollten KI nicht als Ersatz für
eigenes Denken anwenden, sondern lernen, KI als Werkzeug zu nutzen, um das eigene Verständnis zu vertiefen und neue Perspektiven einzunehmen.
Dr. Ann-Kristin Mayrhofer ist Akademische Rätin a.Z. an der Ludwig-Maximilians-Universität München;
Dr. Sebastian Dötterl ist Richter am Oberlandesgericht München