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Diffuser Innovationsdruck

Von Peter Hense,
Im Juni dieses Jahres traf sich die Anwaltsbranche auf dem Deutschen Anwaltstag in Berlin. Einer der Schwerpunkte des Kongresses war Künstliche Intelligenz. Wir haben Rechtsanwalt Peter Hense nach seinen Eindrücken gefragt. Er berät nationale und internationale Firmen bei digitalen Innovationen in den Bereichen IT und KI.

RDi: Was war Ihr Eindruck von den einschlägigen Veranstaltungen auf dem diesjährigen Deutschen Anwaltstag?

Hense: To be fair: Ich konnte nicht den gesamten Anwaltstag besuchen. Manches habe ich live miterlebt, anderes im Nachhinein verfolgt und an einigen Stellen war ich selbst mittendrin, sei es an Ständen, beim Eis mit Kolleginnen und Kollegen oder in Diskussionsrunden. Ein objektives, umfassendes Bild dieser großen Veranstaltung ist das nicht. Dennoch nehme ich einige Eindrücke mit. Es gibt einen spürbaren, aber diffusen Innovationsdruck, der noch ein klares Ziel und eine greifbare Rendite sucht. Besonders das omnipräsente, aber wolkige Thema „KI“ lastet auf den Konversationen wie Blei. Wenn Vertriebsteams und Partikularenthusiasten auf Praktikerinnen und Praktiker treffen, wird es dann schnell still – zu unterschiedlich sind die Anforderungen. Große Prozesseinheiten im Kartellrecht haben schließlich ganz andere Bedürfnisse als Kanzleien mit drei Berufsträgerinnen und Berufsträgern. Der Markt zeigt sich zudem fragmentiert: Es herrscht ein Überangebot an Anrufbeantwortern, Chatbots und Kleinsttools, die sich in der Praxis erst noch beweisen müssen oder bereits beim ersten Test scheitern. Gleichzeitig mangelt es an integrierten Lösungen, die ganze Workflows automatisieren könnten. Das überrascht nicht: In anderen Branchen sieht es ähnlich aus. Diese Erkenntnis, so scheint es, reift weltweit und branchenübergreifend, trotz des Optimismus, der auf Panels auch beim DAT vorgetragen wird.

RDi: Wie bewerten Sie die Tools, die auf der begleitenden Messe Advotec und in Anwendersessions vorgestellt wurden?

Hense: Anwältinnen und Anwälte sind technologieoffen. Historisch gesehen war unsere Branche bei der Akzeptanz neuer Technologien oft Vorreiter: Blackberry, Google Search, selbst das beA. Infrastrukturangebote, die funktionieren und echten Mehrwert bieten, werden blitzschnell adaptiert. Das zeigt aber auch: Solche Innovationen kommen nicht im Monatsrhythmus und selten aus der Branche selbst. Unser Markt ist schlicht zu klein, um ernsthaft in Forschung und Entwicklung zu investieren. Stattdessen genießen wir Innovationen meist „aus zweiter Hand“: über Anwaltssoftware, Verlagsdatenbanken oder gelegentliche Experimente wie „No Code Application Building“. Eine echte Killer-App habe ich auf dem DAT nicht gesehen, wohl aber interessante Ansätze, bestehende Infrastruktur nutzbarer zu machen. Hier werden  – kleine Brötchen backend – vor allem Publisher aktiv, etwa bei Suchfunktionalitäten, oder es gab hochspezialisierte Applikationen, beispielsweise im Bereich Risikomanagement und Anti-Money-Laundering.

RDi: Wie beurteilen Sie nach Ihren Eindrücken vom Anwaltstag das Verständnis der KI-Technologie von Anwältinnen und Anwälte?

Hense: Licht und Schatten. Aber zunächst einen Schritt zurück: Warum müssen wir als Anwaltschaft die Produkte unserer Dienstleister überhaupt in der Tiefe verstehen, vorausgesetzt, sie funktionieren? Bedienbarkeit, Beherrschbarkeit und Funktionalität sind das Debitum der Entwickler und Provider – nicht der Anwenderinnen und Anwender. Technologieakzeptanz fällt nicht vom Himmel. Entscheidend sind 1. Nutzbarkeit und 2. Nützlichkeit. Solange diese beiden Bedingungen nicht erfüllt sind, wird sich kein Produkt durchsetzen. Genau hier scheitern viele aktuelle Diskussionen um den Einsatz von Generativer KI, die Anwältinnen und Anwälten vorwerfen, sich nicht genug um ein technisches Verständnis zu bemühen. Ich sehe das pragmatisch: Wenn ein Tool mich im Ergebnis nicht überzeugt, kommt es auf Wiedervorlage – wenn es ausgereift ist. Meine Zeit als Beta-Tester zu verschwenden, bezahlt mir niemand.

RDi: Welche Impulse würden hier weiterhelfen?

Hense: Fortbildung klingt immer toll. Technologien, Applikationen und ihre Grenzen besser zu verstehen, könnte der gesamten Branche helfen. Themen wie IT-Infrastruktur, IT-Sicherheit oder die Bereinigung von „Technical Debt“ wären ein idealer Einstieg und bieten sogar Potenzial für spannende Abendgespräche mit der Familie. Aber zu erwarten, dass alle Anwältinnen und Anwälte jetzt noch Matrizenrechnung und Vektoren büffeln, nur um mit Generativer KI halbgare Texte oder Bilder zu produzieren, halte ich für überzogen. Fakt ist: Echter Fortschritt verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Dienste, die zu kompliziert oder nicht nützlich genug sind, werden hingegen nicht gekauft und irgendwann abgeschrieben. 

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