CHB_RSW_Logo_mit_Welle_trans
jaheader_neu

CourtNAI: Den Avatar vernehmen

Von RDi-Redaktion,
In dieser Ausgabe von Tech & Tools wird das Projekt CourtNAI der niedersächsischen Justiz vorgestellt, bei dem erprobt wird, wie man eine Zeugenvernehmung, ganze Gerichtsverhandlungen, die mündliche Prüfung im Zweiten Staatsexamen oder eine Mediation mit einer Virtual-Reality-Brille trainieren kann.

Welches Problem löst CourtNAI?

Schon im juristischen Referendariat lernt man schnell den Unterschied zwischen der Theorie im Lehrbuch und der Realität im Gerichtssaal kennen.

Obwohl die angehenden Assessoren beispielsweise wissen, wie wichtig eine gut geführte Zeugenvernehmung ist, gibt es bislang kaum Möglichkeiten, diese Schlüsselkompetenz praxisnah zu trainieren. Stattdessen verlässt sich die Ausbildung oft darauf, dass Referendare oder später auch junge Richter das „schon irgendwie hinbekommen“. Doch dieses „Learning-by-doing“ findet meist erst im Ernstfall statt – direkt vor Gericht, mit echten Zeugen und echten Konsequenzen.

Die Folge? Nachwuchsjuristen stehen im Gerichtssaal und erleben häufig in entscheidenden Momenten Situationen, auf die sie eigentlich besser vorbereitet sein könnten und sollten.

Wie genau funktioniert CourtNAI?

CourtNAI (ausgesprochen: „Cortney“) schafft eine realitätsnahe Trainingsumgebung, in der man mithilfe von Virtual Reality (VR) und Künstlicher Intelligenz (KI) unter anderem echte Gerichtssituationen simulieren kann. Aktuell wird die Vernehmung von Zeugen, aber auch die Abbildung von ganzen Gerichtsverhandlungen erprobt. Später sollen auch die mündliche Prüfung im Zweiten Examen oder eine Mediation hinzukommen.

Mit einer handelsüblichen VR-Brille betritt man einen virtuell nachgebildeten Gerichtssaal und trifft dort unter anderem auf Zeugen-Avatare. Diese virtuellen Zeugen können dann befragt werden und die Avatare sollen auf unterschiedliche Fragen möglichst realistisch reagieren. Die Avatare lassen sich zudem vorher individuell anhand von fünf Persönlichkeitsmerkmalen anpassen, sodass die Befragung von unterschiedlichen Charakteren trainiert werden kann. 

Mit Blick auf die neu eingeführten Commercial Courts kann auch eine Vernehmung in englischer Sprache geübt werden. Und es gibt noch eine weitere Besonderheit: Der Zeugen-Avatar soll demnächst auch ein Kind darstellen können. Die Vernehmung von Kindern ließ sich bisher so gut wie gar nicht trainieren und das, obwohl bei manchen Fällen das ganze Verfahren an einer erfolgreichen Befragung eines Kindes hängt.

Nach jeder simulierten Zeugenvernehmung liefert die integrierte KI eine Rückmeldung, beispielsweise dazu, ob die Fragen klar formuliert waren, wie gut die Vernehmungsstrategie insgesamt war und was man beim nächsten Mal besser machen kann.

Der Prototyp soll dieses Jahr kontinuierlich weiterentwickelt werden. Zudem wird parallel an einem Gesamtkonzept für die konkrete Einbindung in die Aus- und Fortbildung gearbeitet. Ziel ist, das Trainingstool künftig fest in die juristische Ausbildung zu integrieren und damit insbesondere den Praxisbezug im Rechtsreferendariat nachhaltig zu stärken.

Wer steht hinter CourtNAI? 

Das Projekt CourtNAI wird vom niedersächsischen Justizministerium gesteuert. Entwickelt wird CourtNAI von einem Team unter Leitung von Gesine Irskens, Richterin, Referatsteilleiterin und Mitherausgeberin der RDi. Der Prototyp geht auf eine Idee von Prof.Dr. Simon Johannes Heetkamp zurück. Aktueller Dienstleister für die technische Entwicklung ist die World of VR GmbH aus Köln.

Was sind die Alternativen?

Ein alternativer Ansatz ist, die Zeugenvernehmung mit anderen Referendaren oder Richtern als Rollenspiel zu trainieren. Das setzt aber die Bereitschaft, die zeitliche Verfügbarkeit und ein Minimum an schauspieleirischem Talent der anderen Personen voraus. 

Leseproben

RDi_Cover

RDi_2022_176-Aufsatz

BECK Stellenmarkt

Teilen:

Menü