Von Prof. Dr. Christoph Busch,
Am 3.10. 2024 hat die EU-Kommission den lange erwarteten Abschlussbericht des „Digital Fairness Fitness Check“ vorgelegt. Der Bericht ist das Ergebnis einer umfassenden Überprüfung von drei zentralen Richtlinien des EU-Verbraucherrechts. Untersucht wurde, ob die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, die Richtlinie über Verbraucherrechte und die Richtlinie über missbräuchliche Vertragsklauseln einen adäquaten Schutz für Verbraucher im digitalen Binnenmarkt
bieten.
Das Urteil der Kommission fällt gespalten aus. Einerseits wird betont, dass sich die Richtlinien grundsätzlich bewährt
haben und auch auf digitalen Märkten ein Mindestmaß an Verbraucherschutz sicherstellen. Andererseits weist die Kommission auf eine Reihe von Schutzlücken hin. Die Liste der Themen, bei denen die EU-Kommission einen Handlungsbedarf sieht, ist lang. Sie reicht von Dark Patterns über Influencer-Marketing und KI-Assistenten bis zu digitalen Abo-Modellen und virtuellen Währungen in Online-Games.
In der Wissenschaft werden bereits konkrete Lösungsvorschläge für einige dieser Problemfelder entwickelt. So erarbeitet das European Law Institute gerade „Model Rules on Algorithmic Consumer Contracts“. Die Modellregeln, die Anfang 2025 vorgestellt werden, könnten als Inspirationsquelle für ein künftiges EU-Verbraucherrecht für KI-Assistenten dienen. Ein Vorbild für die Regulierung digitaler Abo-Modelle könnte das US-amerikanische Recht bieten. Mitte Oktober hat dort die Federal Trade Commission die Einführung einer neuen „Click-to-Cancel-Rule“ beschlossen.
Es fällt auf, dass der Bericht keine konkreten Empfehlungen enthält, wie die identifizierten Lücken geschlossen werden sollen. Dies überlassen die Autoren des Berichts der neuen EU-Kommission. In welche Richtung es gehen könnte, hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unlängst in ihrem Mission Letter für den designierten Justizkommissar Michael McGrath deutlich gemacht. Darin fordert sie die Erarbeitung eines „Digital Fairness Act“, der die im Fitness Check benannten Defizite beseitigen soll.
Form und Inhalt eines solchen Digital Fairness Act sind derzeit noch weitgehend offen. Als Minimallösung käme eine Neuauflage der Modernisierungsrichtlinie (EU) 2019/2161 in Betracht mit einigen punktuellen Ergänzungen der bestehenden Richtlinien. Mutiger wäre es, die vorhandenen Regelungen in einem neuen Rechtsakt zusammenzuführen. Geradezu revolutionär wäre es, wenn es sich dabei nicht um eine Richtlinie, sondern um eine Verordnung handeln würde. Dies würde auch die grenzübergreifende Durchsetzung der neuen Regeln erleichtern und einer weiteren Fragmentierung des EU-Verbraucherrechts entgegenwirken. Der europäische Gesetzgeber sollte diesen großen Wurf wagen.
Prof. Dr. Christoph Busch ist Direktor des European Legal Studies Institute an der Universität Osnabrück und Vorsitzender des Sachverständigenrates für Verbraucherfragen, der die Bundesregierung zur Verbraucherpolitik berät