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Datenbasierter Zivilprozess

Von Prof. Dr. Thomas Riehm, Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Europäisches Privatrecht, Zivilverfahrensrecht und Rechtstheorie, Passau
Nicht erst die Massenverfahren von Dieselklagen über Fluggastrechte bis zur Rückforderung von Verlusten im Online-Glücksspiel haben gezeigt, dass die gegenwärtige Art, wie Informationen im Zivilprozess ausgetauscht werden, anachronistisch ist. In all diesen Fällen sind jeweils wenige Datenpunkte relevant: Kaufdatum, Motortyp, Finanzierungsart, Kilometerstände, oder Flugnummer, Soll- und Ist-Ankunftszeit, Begründung für die Flugverspätung – und natürlich das Rubrum. Anhand dieser Datenpunkte könnten die Gerichte vom AG bis zum BGH die meisten Einzelfälle Fallgruppen zuordnen, für die sie bereits eine Rechtsprechungslinie entwickelt haben. Sie könnten Textbausteine anhand von ihnen definierter Regeln als Vorentwürfe ausfüllen lassen oder auch verwandte Fälle zur Verhandlung und Entscheidung bündeln.

Nichts läge daher näher, als diese Daten in strukturierter maschinenlesbarer Form – zusätzlich zu den Schriftsätzen – an die Gerichte zu übermitteln. Bei den spezialisierten Parteivertretern auf Kläger- wie Beklagtenseite liegen die Sachverhaltsdaten ohnehin maschinenlesbar strukturiert vor – sie werden nur derzeit von den Gerichten nicht angefordert und könnten häufig auch nicht weiterverarbeitet werden. So müssen Parteibezeichnungen in Serviceeinheiten fehleranfällig von Hand aus PDF-Schriftsätzen in e-Aktensysteme eingepflegt werden, und Richterinnen und Richter suchen sich die sachverhaltsrelevanten Daten in mühevoller Kleinarbeit aus ggf. hunderten Seiten Fließtext im PDF-Format heraus – wenn nicht sogar aus Papier-Ausdrucken. Das alles ist verbunden mit der Gefahr, erheblichen Sachvortrag zu übersehen, der auf S. 477 der Akte zwischen gerichtlicher Verfügung und Transfervermerk stand.

Diese Arbeitsweise stammt aus dem 19.Jahrhundert – dem Geburtsjahrhundert der ZPO. Sie ist ineffizient und vergeudet die ebenso knappe wie wertvolle Ressource gerichtlicher Arbeitszeit mit banalen Tätigkeiten. Dabei sieht § 130c ZPO bereits seit zehn Jahren vor, dass das Bundesjustizministerium (BMJ) durch Rechtsverordnung „elektronische Formulare“ einführen und dabei auch vorsehen kann, dass die „in den Formularen enthaltenen Angaben […] in strukturierter maschinenlesbarer Form zu übermitteln sind“. Damit wäre der Grundstein für einen datenbasierten Zivilprozess gelegt – manche e-Aktensystem der Länder sind bereits darauf ausgelegt, Strukturdatensätze neben den PDF-Dateien zu verarbeiten. Allein – eine entsprechende Rechtsverordnung ist nie ergangen. Selbst die in § 2 III ERVV vorgesehene Beifügung eines XML-Strukturdatensatzes bei Übermittlung von Dokumenten im elektronischen Rechtsverkehr ist eine bloße Sollvorschrift und bleibt häufig ungenutzt.

Das BMJ sollte endlich diese zentrale Möglichkeit nutzen, die Gerichte durch eine zeitgemäße Kommunikationsplattform und den Erlass von Verordnungen nach § 130c ZPO für wesentliche Massensachverhalte zu entlasten und ihnen so mehr Zeit für die eigentliche juristische Tätigkeit zu verschaffen. Zeit für einen datenbasierten Zivilprozess!

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