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Interdisziplinäres Legal Tech

Von Prof. Dr. Axel Adrian,
Im Kontext der Digitalisierung ist interdisziplinäres Denken und Arbeiten wichtiger denn je. An der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) arbeitet der Notar und Honorarprofessor Dr. Axel Adrian gemeinsam mit Informatikern an Legal-Tech- Projekten. Wir haben ihn dazu befragt.

RDi: Sie entwickeln als Praktiker gemeinsam mit Wissenschaftlern Legal-Tech-Anwendungen. Wie ist es dazu gekommen

Adrian: Die FAU hat eine extrem starke Informatik mit 16 Lehrstühlen und ich habe mich schon immer mit Methodenlehre, Rechts- und Wissenschaftstheorie befasst. Nachdem dann der Legal-Tech-Hype in Deutschland angekommen war, habe ich mit ein paar befreundeten Informatikern überlegt, mit welchen Disziplinen man zusammenarbeiten muss, wenn man Technik in der Juristerei einsetzen will.

RDi: Welche Disziplinen sind das?

Adrian: Im Grunde gibt es drei Disziplinen, die für uns Juristen interessant sind: Das eine ist Natural Language Processing, also Computerlinguistik. Dabei werden aus natürlicher Sprache mathematische Repräsentationen gemacht, damit es maschinen-verarbeitbare natürliche Sprache wird. Dann die „Good old fashion AI“, das heißt die

KI, bei der mit logischen Systemen maschinelle Schlussverfahren durchgeführt und so nachvollziehbare maschinelle Entscheidungen getroffen werden. Und das dritte ist die Mustererkennung, das ist der Hype, um den es gerade überall geht. ChatGPT zum Beispiel arbeitet im Wesentlichen mit Mustererkennung.

RDi: Wie werden Themen identifiziert, erforscht und getestet?

Adrian: Ich bin mit vier weiteren Lehrstühlen im ständigen Austausch über Themen und Ideen. Dabei bringe ich Anwendungsfälle mit, also zum Beispiel typische Probleme bei der Gesetzesanwendung. Die Informatiker sind auf Aufgabenstellungen aus der Praxis angewiesen und freuen sich immer, wenn sie aus der realen Welt ein Problem bekommen, das sie lösen können. Dann fangen wir an, juristische Überlegungen zum Beispiel mit bestimmten Logiken zu formalisieren und diskutieren, ob diese Logiken für diese juristischen Fragestellungen adäquat sein können. Anschließend testen wir gemeinsam, ob die Formalisierung in der Maschine funktioniert. Bei unserem Anonymisierungstool, das dagegen im Wesentlichen über Mustererkennung läuft, haben wir zum Beispiel einen Goldstandard und ein mathematisches Modell entwickelt, um die Performance der Maschine belastbar zu messen.

RDi: Sie sprechen von dem Forschungsprojekt zur automatisierten Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen. Wie ist das entstanden?

Adrian: Bei dem genannten Austausch. Denn natürlich fragen Informatiker, gerade Mustererkenner, nach Urteilen. Wir haben zum Beispiel 70.000 veröffentlichte BGH-Entscheidungen in die Maschine geladen. Das sind aber zu wenige und außerdem Entscheidungen, die zu wenig gleichförmig sind. Da Urteile manuell anonymisiert werden, werden nur ca. 2,3 % aller Urteile veröffentlicht. Deswegen haben wir angefangen, eine Anonymisierungsmaschine zu bauen. An diese haben wir strenge Kriterien angelegt, also nicht nur, streiche Personen, Namen und Ortsangaben, sondern auch, suche indirekte Identifikatoren. Dann haben wir die Maschine gegen menschliche Anonymisierungen antreten lassen und geschaut, wie viele Textstellen die Maschine gefunden hat. Mit dem oben genannten Modell kann man beweisen, wie gut unsere Maschine ist.

RDi: Und das ist ein Vorteil durch die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft?

Adrian: Ja! Ein solcher Beweis ist Wissenschaft – anders als viele Legal-Tech-Angebote, die Marketing sind. Juristen wissen leider oft nicht, was für Anforderungen an technische, maschinelle Verfahren gestellt werden, sodass wir mit KI-Anwendungen überflutet werden, die irgendwas können. Ich halte das für gefährlich, weil wir hier mit dem Rechtsstaat spielen.

RDi: Was lernen die Beteiligten eines interdisziplinären Austauschs? 

Adrian: Alles! Zum Beispiel, dass es mehr als eine Logik gibt, wie Juristen gerne glauben. Die moderne AI-Forschung kennt hunderte von formalen Logiksystemen, die unterschiedliche Aspekte bearbeiten können. Wir experimentieren zum Beispiel mit ca. 20 verschiedenen Logik-Systemen.

RDi: Wie digital wird die Arbeit von Notaren in 15 Jahren sein?

Adrian: Hoffentlich viel digitaler als heute, weil wir heute schon nicht genügend Mitarbeiter mehr finden. Wenn wir in den nächsten 10 bis 15 Jahren Prozesse nicht total digitalisiert haben, wird es sehr schwer vernünftige Arbeit zu machen.

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