Von Axel Voss, MdEP, Berichterstatter der EVP-Fraktion für die KI-Verordnung im Europäischen Parlament
14. Juni 2023 – 499 EU-Abgeordnete stimmten in der Plenarabstimmung für den sogenannten AI-Act und ebneten damit den Weg für einen „Brüssel Effekt“: Das Gesetz, welches jetzt aber erst im Trilog mit Rat und Kommission weiter ausgehandelt wird, wird wohl das erste seiner Art und könnte Europa zu einem Vorreiter im Bereich der Regulierung von Künstlicher Intelligenz machen. Gleichzeitig könnte es Staaten weltweit dazu bewegen, in Grundzügen die europäischen Rechtsnormen zu übernehmen oder zumindest ähnliche Überlegungen anzustellen. Entwicklungen wie ChatGPT haben dabei einmal mehr gezeigt: Um einen adäquaten Umgang mit der Künstlichen Intelligenz zu gewährleisten, braucht es eine zukunftsorientierte und praxisnahe Regulierung.
Wir wollen damit sicherstellen, dass diese Technologie, von der keiner mehr richtig sagen kann, warum sie ausgerechnet zu diesem einen bestimmten Ergebnis kommt, somit autonom und selbstlernend agiert, nicht unseren Bürgerinnen und Bürgern Schaden zufügt oder durch Falschoder Desinformation Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit unterminiert. Obwohl die Regulierung unter der Überschrift „Produktregulierung“ läuft, ist es m.W. das erste Mal, das ein Produkt nicht nur den Anforderungen von Gesundheit, Sicherheit und Beeinträchtigungen an Leib und Leben gerecht werden muss, wie das bei einer Waschmaschine, einem Hammer oder einem Auto der Fall wäre, sondern auch den Grundrechten entsprechen muss. Dies ist sicherlich durch die „Autonomität“ des Produkts auch zu rechtfertigen. „Robo-Texte, Robo Musik, Robo-Bilder“ z.B. bedürfen eben einer anderen Herangehensweise.
Doch ein ausschließlich angstgetriebenes Vorgehen verkennt die zahlreichen Chancen und Innovationsmöglichkeiten, die die Künstliche Intelligenz unserer Gesellschaft bieten kann, und hier zeigen sich auch die politischen Unterschiede. Anstatt den technischen Fortschritt zu ermöglichen, beziehen sich im aktuellen Parlamentsbericht 82 von 85 Artikeln lediglich auf die Risiken von Künstlicher Intelligenz. Obwohl wir entsprechend einheitliche Regelungen brauchen, könnte eine solche einseitige Regulierung Innovationen innerhalb der Europäischen Union auch in ihrem Keim ersticken.
Schon in der DS-GVO hat sich dieser risikofokussierte Ansatz als grober Fehler erwiesen: In unserer „datadriven economy“ jede Verarbeitung personenbezogener Daten lediglich als ein Risiko anzusehen, lässt die Chancen, welche sich aus diesen technologischen Entwicklungen für die Wirtschaft, Sicherheit, Gesundheit, Wohlstand aber auch für jeden Einzelnen ergeben, gänzlich links liegen. Diese Fehler sollten wir im Rahmen des AI-Acts nicht wiederholen. Ein Beispiel bildet hier der Einsatz biometrischer Erkennungssysteme für die Strafverfolgung, welcher die Sicherheit der europäischen Bürgerinnen und Bürger deutlich erhöhen könnte. Ein generelles Verbannen, wie es der Entwurf aktuell vorsieht, würde auch hier Perspektiven verschließen und präventive Maßnahmen oder eine effektivere Strafverfolgung von vornherein verhindern. Dem Totschlag-Argument der Massenüberwachung könnte man durch strikte Reglementierung und dem Einsatz von „Privacy-Tech“ effektiv begegnen – wenn man es denn politisch mehrheitlich zuließe.
Die wohl zentralen Vorschriften sind die Artt. 5 und 6 mit den Annexen II und III, die die KI-Systeme in verbotene Systeme und Hoch-Risiko-Systeme einteilen. Dazu wollen wir einen flexiblen „Gesetzgeber“ in Form von delegierten Rechtsakten durch die Kommission, damit bei der sich ständig verändernden digitalen Welt genügend Rechtssicherheit für alle Beteiligten entsteht. Als Gesetzgeber erwarten wir natürlich Ergebnisse einer KI, die nicht diskriminierend, vorurteilsfrei und geschlechterneutral sind. Dazu braucht man aber massenhaft viele personenbezogene Daten. Der sich abzeichnende Konflikt mit der DS-GVO soll über die sogenannten regulatorischen Reallabore ausgeglichen werden.
Durch eine europaweite Harmonisierung könnte in diesem Bereich ein Standortvorteil der EU entstehen, den wir nicht verstreichen lassen dürfen. Mit einer ausgewogenen Regulierung können wir als Europäische Union deshalb den ersten Schritt in Richtung einer europäischen Vorreiterrolle in unserer zunehmend digitalen Welt gehen – hier ergeben sich auch zahlreiche neue Möglichkeiten für die juristische Praxis.