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Digitalisierungsdruck

Von Eckard Schindler, Direktor Öffentlicher Sektor, IBM Deutschland
Spätestens seit der Pandemie ist allen klar, wie sehr Justiz und Verwaltung bei der Digitalisierung zurückliegen. Wie lassen sich in föderalen Strukturen und trotz angespannter Haushaltslage schnell Fortschritte erzielen? Fragen an Eckard Schindler, der bei IBM seit vielen Jahren die Modernisierung der Justiz und Verwaltung begleitet und dazu kürzlich eine Studie durchgeführt hat.

RDi: Warum hinken Justiz und Verwaltung bei der Digitalisierung so weit hinterher?

Schindler: Man hat den Anschluss verloren. Eigentlich hat die Digitalisierung rechtzeitig begonnen. Auch der Plan war nicht schlecht, beim elektronischen Rechtsverkehr und der eAkte wurde er gesetzlich vorgeschrieben. Der Zeitplan war aber zu lang. Und während der Umsetzung wurde nicht darauf reagiert, dass die Digitalisierung viel schneller voranschreitet, als man das erwartet hat, und dass Digitalisierung in der Gesellschaft heute so omnipräsent ist, dass der derzeitige Stand die Erwartungen an eine digitale Justiz nicht mehr erfüllen kann.

RDi: Und jetzt?

Schindler: Durch die Pandemie hat sich die Sicht auf die eAkte positiv verändert – jetzt müssen die Anstrengungen zur Einführung verdoppelt werden. Unsere Studie zeigt darüber hinaus eine breite Unzufriedenheit mit der derzeitigen Governance, also die Steuerung des Ganzen. Die Länder verzetteln sich im Klein-Klein von Partiklularinteressen, während sich niemand um das große Ganze kümmert. Es mangelt an einem Plan für eine digitale Justiz nach 2026. Manche sehen hier das Bundesjustizministerium in der Pflicht und rufen nach einem CIO der Justiz. Ich halte das auch für ein überlegenswertes Element einer neu aufzusetzenden Governance, die schnellere Entscheidungen erlaubt.

RDi: Was ist bei den Rechenzentren der Justiz zu tun?

Schindler: Die Rechenzentren stehen stark unter dem Einfluss der Länderinteressen, alle Ressorts zu bedienen, die Justiz ist davon nur eines. So trifft die Justiz auf eine zersplitterte IT-Landschaft, welche die Vereinheitlichung der IT-Verfahren bremst. Um Fahrt in der Digitalisierung aufzunehmen, muss die Justiz verstärkt auf eine einheitliche, zentrale und für die Justiz spezialisierte Betriebsinfrastruktur setzen, die sogenannte Justiz-Cloud.

RDi: Was könnte kurzfristige Verbesserungen bringen?

Schindler: Die Justiz sollte eine Vielzahl kleinerer Digitalisierungsprojekte aufsetzen, die in der Praxis einsetzbar sind und die zeigen, welche Vorteile Digitalisierung bietet. Das können beispielsweise KI-gestützte Assistenzsysteme in den Gerichten sein. Solche Schnellboote würden das Fahrwasser am Laufen halten und die Akteure motivieren, weil ja letztlich alle gerne Nutzer guter Digitalisierung sind.

RDi: Führt das aber nicht zu einem unübersichtlichen Wildwuchs an kleinteiligen Lösungen?

Schindler: In so einer explorativen Phase würde ich eine solche Vielfalt unbedingt zulassen. Mit Konsolidierung und Standardisierung kann man sich später befassen. Zumal die einzelnen IT-Komponenten heute viel besser in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren.

RDi: Die Vorschläge klingen alle schlüssig, sie müssen aber auch finanziert werden.

Schindler: Wenn man in den nächsten drei bis fünf Jahren einen Digitalisierungsschub erreichen will, bedarf es jetzt eines Kraftaktes von Bund und Ländern. Wir sehen hier einen Mehrbedarf der eher in die Milliarden geht.

RDi: Der Streit zwischen Bund und Ländern über den Rechtsstaatspakt macht insoweit wenig Hoffnung.

Schindler: Dieser greift eindeutig zu kurz. Er ist gewiss geeignet, um die eine oder andere Justizinnovation voranzubringen. Dass allerdings auch die Einführung der eAkte über die Jahre ein Vielfaches an Investitionsmitteln notwendig gemacht hat, übersieht der Bund vollends. Und es gibt gute Gründe, dass der Bund sich daran beteiligt, obwohl die Verantwortung bei den Ländern liegt.

RDi: Warum sind Sie dennoch optimistisch, dass es jetzt schneller vorangeht als bisher?

Schindler: Der Willen zur Veränderung ist bei allen Akteuren viel ausgeprägter als noch vor ein paar Jahren. Die Justiz darf nicht von der gesellschaftlichen Entwicklung abgehängt werden, hat einer meiner Studienteilnehmer betont. Ich bin daher zuversichtlich, dass dieses Momentum genutzt wird. Hinzu kommt der Digitalisierungsdruck: von außen etwa durch den demographischen Wandel und die Transformation des Rechtswesens durch Legal-Tech-Anbieter und von innen durch eine Richterschaft, die Digitalisierung inzwischen mit Nachdruck einfordert.

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