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PDF und fertig?

Von Priv.-Doz. Dr. Martin Fries, Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitherausgeber der RDi
Wie geht es eigentlich unserer Ziviljustiz? Gar nicht so schlecht, könnte man meinen. Die Einführung der elektronischen Akte kommt weiter voran, und es erscheint durchaus realistisch, die Aktenführung im Laufe der kommenden drei Jahre komplett zu digitalisieren. Indes: Feierlaune mag sich nicht recht einstellen. Selbst Nichtinformatiker ahnen, dass die Umstellung von Papier auf PDF noch nicht der digitalen Weisheit letzter Schluss sein dürfte.
Foto_Editorial_RDi_11_2022_Martin_Fries_WEBVor allem: Es reicht nicht! Der Wechsel vom papiernen zum elektronischen Dokument spart mittelfristig die Geschäftsstellen ein, macht aber die richterliche Arbeit keinen Deut einfacher. Das wiederum wäre eigentlich bitter nötig, weil viele Gerichte in der Flut industriell gefertigter Klagen versinken. Beschränkten sich Fluggastfälle noch auf einzelne Amtsgerichte, öffnete die Pandora aus Wolfsburg ihre Büchse für sämtliche Instanzen und führte eindrücklich vor Augen, wie sehr die Funktionsfähigkeit der Justiz von moderner Informationstechnologie abhängt.

Was es zu tun gilt, ist eigentlich weitgehend unstreitig: Wir brauchen ein elektronisches Justizportal mit Bürger- und Anwaltszugang, eine strukturierte Online-Klage und zumindest eine Option für virtuelle Gerichtsverhandlungen – und zwar nicht erst in zehn Jahren, sondern am besten noch in der laufenden Legislatur. Immerhin: Der aktuelle Koalitionsvertrag verspricht zumindest für die Durchsetzung geringwertiger Forderungen ein neues, bürgerfreundlich digitales Verfahren. In Umsetzung dieses Vorhabens hat das Justizministerium soeben Pilotprojekte für digitale Rechtsantragstellen und ein reines Onlineverfahren angekündigt.

Dabei wird es aber hoffentlich nicht lange bleiben. Der digitale Aktenraum sollte zügig und vor allem streitwertunabhängig zur zentralen Schaltstelle des Zivilverfahrens ausgebaut werden. Das erlaubt einen schlankeren und im positiven Sinne kürzeren Prozess. Bei der Gelegenheit könnte der Gesetzgeber auch gleich Vorgaben zur Begrenzung des Schriftsatzumfangs ermöglichen, Fristen deutlich kürzer fassen und Fristverlängerungen auf den Ausnahmefall beschränken. Die damit verbundenen Einschränkungen der anwaltlichen Arbeitsfreiheit erscheinen mir gut zu rechtfertigen durch den zu erwartenden Zugewinn an Stringenz und Prägnanz im Prozess.

Und das alte Zivilverfahren? Sollte man im Jahr 2030 noch wie anno 2020 prozessieren können? Ich meine: Die papierne Klage muss im Hinblick auf weniger digitalaffine Verfahrensbeteiligte möglich bleiben, und auch die mündliche Verhandlung in Präsenz wird es natürlich häufig weiterhin brauchen. Bei den Kosten hingegen kann der Gesetzgeber durchaus differenzieren: Die teurere Klage- oder Verhandlungsform sollte einen höheren Gerichtskosten- und Anwaltsvergütungssatz auslösen und in der anwaltlichen Beratung begründungsbedürftig sein. Aber da bin ich vermutlich in der Mindermeinung.

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