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KI in der Justiz

Von Rechtsanwalt Tianyu Yuan,
Künstlicher Intelligenz begegnete man in der Justiz lange mit großer Skepsis, der Robo Judge galt dabei als Schreckensszenario. Jetzt hat man erkannt, dass ein sinnvoller Einsatz von KI für große Entlastung sorgen kann. Hierzu Fragen an Rechtsanwalt Tianyu Yuan, der als CEO von Codefy eine spezielle KI-Technologie zur Bewältigung umfangreicher Verfahren entwickelt hat.
Foto_Interview_RDi_11_2022_Tianyu_Yuan_WEBRDi: Wie nutzt die Justiz KI?

Yuan: Das hängt davon ab, wie man KI versteht. Häufig schweifen die Gedanken bei KI schnell in Richtung Roboterrichter und Subsumtionsautomatisierung ab. In diesem Fall lautet die Antwort: „gar nicht“ – und das ist auch gut so. Wenn KI dagegen wissenschaftlich und im historischen Kontext betrachtet wird, ist festzustellen, dass traditionelle, in den 1970ern und 80ern entwickelte regelbasierte KI-Methoden etwa mit forumSTAR oder web.sta bereits seit 2000 in der Justiz im Einsatz sind. Heute befasst sich KI schwerpunktmäßig mit Machine Learning und Natural Language Processing. Solche KI-Systeme befinden sich in der Justiz noch im Pilotstadium. Ihr Anwendungsspektrum ist weit: Es betrifft juristische Kerntätigkeiten, wie die Analyse von Schriftsätzen und Beweismitteln, womit wir uns bei Codefy befassen. Aber auch bei begleitenden Tätigkeiten, wie zum Beispiel der automatischen Extraktion von Metadaten, dem maschinellen Übersetzen oder der automatischen Anonymisierung werden moderne KI-Methoden eingesetzt.

RDi: Was sind die Voraussetzungen, um KI sinnvoll in der Rechtspflege einzusetzen?

Yuan: Vielleicht ist die Antwort überraschend, aber die wichtigsten Voraussetzungen liegen nicht in der Technik, sondern bei den Menschen. Diejenigen, die KI einsetzen, müssen eine realistische Erwartungshaltung einnehmen und einen verständigen Umgang lernen. Denn häufig tritt die Situation auf, dass ein KI-System etwa bereits sehr gut bei Massenklagen relevante Sachverhalte erkennen kann. Dann wird schnell erwartet, dass dasselbe System ohne Weiteres auch auf alle anderen Zivilverfahren anwendbar ist. Das ist natürlich nicht der Fall. Auch seitens der Hersteller besteht eine zentrale Voraussetzung darin, dass dort Menschen am Werk sind, die nicht nur die Technologie, sondern auch das juristische Arbeiten verstehen und beherrschen. Nur so lassen sich zielführende Lösungen entwickeln. Leider höre ich immer noch in steter Regelmäßigkeit aus IT-geprägten Kreisen, wie leicht es doch sei, Jura vollständig zu automatisieren.

RDi: Wieviel effizienter können Richter, Staatsanwälte und Verwaltungsbeamte arbeiten, wenn sie dabei von KI unterstützt werden?

Yuan: Der Effizienzgewinn kann immens sein. Beispielsweise begleiten wir derzeit ein juristisches Projekt, bei dem es um die Auswertung von mehreren Millionen von Dokumenten (5 Terabyte Daten) geht. Diese sehr große Datenmenge kann durch die in Codefy integrierte Suchmaschine innerhalb einer Sekunde auf Inhaltsebene durchleuchtet werden. Ein Mensch hätte viele Wochen dafür gebraucht. Wenn wir uns die Verwendung von Codefy zur intelligent assistierten Schriftsatzanalyse und für die Erstellung von Relationstabellen in Zivilverfahren anschauen, haben wir aus der richterlichen Praxis bereits Erfahrungswerte von 30–40 % Zeitersparnis.

RDi: Das Justizministerium in Baden-Württemberg hat federführend ein Konzept für ein bundesweit einheitliches KI-Portal entwickelt. Für wie aussichtsreich halten Sie dieses Projekt?

Yuan: Ich halte das KI-Portal für eines der wichtigsten Projekte, um der Justiz innovative Technologie-Lösungen schnell zur Verfügung stellen zu können. Denn die in der Entwicklung befindlichen E-Akten-Systeme sind große IT-Infrastrukturprojekte, die aufgrund ihrer Komplexität naturgemäß nicht schnell erweitert werden können. Vielleicht passt folgendes Bild: Durch die E-Akten-Systeme wird ein Schienennetz geschaffen, das ordentlich für den Personennahverkehr funktioniert. Mit dem KI-Portal wird jetzt die leichtgängige Möglichkeit geschaffen, um jederzeit neue Hochgeschwindigkeitszüge in Form von KI-Apps aufs Gleis zu setzen. Und im Gegensatz zum physischen Schienennetz kommen sich Personennahverkehr und Hochgeschwindigkeitszüge nicht in die Quere.

RDi: Es heißt Gerichtsentscheidungen müssten letztlich immer von Menschen getroffen werden. Wie groß wird der Einfluss von KI zukünftig sein – und ab wann wird es rechtsstaatliche bedenklich?

Yuan: Hier müssen verantwortungsvolle Technologie-Anbieter dafür sorgen, dass nur solche Systeme geschaffen werden, die rechtsstaatlichen Anforderungen genügen. Wenn Richterinnen und Richter KI-Systeme einsetzen, dürfen diese nur bei der Entscheidungsfindung assistieren. Wir müssen aufpassen, dass nicht marketing-starke Akteure der Justiz etwas als bahnbrechende KI-Lösung verkaufen, das rechtstaatliche Prinzipien außer Acht lässt.

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