Von Prof. Dr. Henning Müller, Direktor des SG Darmstadt und Mitherausgeber der RDi
Sich einfach mal die Zeit zu nehmen, sich an die Werkbank in der Garage zu stellen und die Säge zu schärfen, ist nicht nur für Baumfäller ein sinnvoller Ratschlag. Es ist auch das Sinnbild für alle, die unter der Masse anstehender Aufgaben das Gefühl nicht loswerden, nur noch Runde um Runde im Hamsterrad zu laufen, aber nicht voranzukommen. In der Justiz haben die Hamsterräder viele Namen: Dieselverfahren, Fluggastklagen, Asyl- oder NC-Streitigkeiten. Dabei stecken hinter diesen Masseverfahren nicht gesichtslose Beteiligte mit beliebig viel Zeit oder Geld, sondern vor allem viele einzelne Menschen, die auf ihr Recht warten.
Der zu fällende Baum ist für Richterinnen und Richter die Erledigung des Verfahrens. Die Säge sind alle denkbaren Hilfsmittel auf dem Weg zum Verfahrensabschluss, idealerweise gute Rechtskenntnisse, Zugriff auf juristische Fachliteratur und Datenbanken, aber eben mehr und mehr auch die Unterstützung durch IT. Nun hat sich die Justiz auf dem Weg zur Einführung der elektronischen Akte in einigen Großprojekten verheddert, die zentral gesteuert kaum mehr von der richterlichen Basis beeinflussbar sind. Hier mag zwar der eine oder andere Insider auch manchmal Gelüste haben, eine Säge anzusetzen, denn die Justizministerien haben sich hier ganz offensichtlich verhoben. Aber die Gestaltungsmöglichkeiten von Seiten einzelner Gerichte sind gering, weil die ministerielle „Spurtreue“ hier stark ausgeprägt ist. Trost gibt, dass auch der Berliner Flughafen mittlerweile eröffnet wurde.
Diese wenig erbauliche Perspektive ist aber kein Grund für Tatenlosigkeit. Auf dem Weg zur eAkte oder einfach am Wegesrand gibt es zahlreiche zarte Pflänzchen der Eigeninitiative von Justizbediensteten sowohl aus dem richterlichem als auch dem nichtrichterlichem Bereich. Angefangen bei halbautomatisierten Wissensdatenbanken und Berechnungslösungen in Tabellenkalkulationen bis zu innovativer eigener Programmierung. Ab und an schwingt sogar ein Robenträger in der Freizeit den Lötkolben und bastelt aus Raspberry Pi & Co eine CO2-Ampel. Es schlummern so viele verborgene Talente in der Justiz, die manchmal auf Twitter oder in der Kaffeerunde durch Zufall aufscheinen, deren Kreativität aber zumeist im eigenen Gericht verbleibt. Dabei könnten alle von ihnen profitieren.
Dies muss sich ändern. Den McGyvers, Bastlern, Nerds und Hackern der Justiz muss eine Bresche geschlagen werden durch die formalisierten, behördlichen Strukturen zentraler IT-Stellen, die manchmal nur wenig Bodenhaftung in der Praxis haben. Dieser Hands-on-Form der Praxisbeteiligung haben sich mittlerweile einige Initiativen verschrieben. Gerade laufend ist etwa der „eJustice-Cup“ des Hessischen Richterbunds in Zusammenarbeit mit IBM unter Schirrmherrschaft des Landesjustizministers (www.richterbund-hessen.de). Hier werden Vorschläge zum Einsatz von IT und KI in allen Bereichen des justiziellen Alltags gesucht. Beteiligen können sich alle Ideengeber innerhalb und außerhalb der Justiz. Die besten Ideen werden in der „IBM Garage“ nachgebaut. Gut so, denn in genau solchen Garagen wurden nicht nur schon zahlreiche Sägen geschärft, sondern auch technologische Gamechanger entwickelt.