CHB_RSW_Logo_mit_Welle_trans
jaheader_neu

Hinterlegung digitaler Güter

Von Rechtsanwalt Christian R. Kast, Fachanwalt für IT-Recht, München
Die digitale Treuhandschaft hat sich in den letzten Jahren verändert. Die zugrunde liegende Technik ist deutlich einfacher geworden. Und neben Software werden auch andere digitale Wirtschaftsgüter hinterlegt. Damit verändern sich auch die rechtlichen Fragestellungen an „Digital Escrow“. Wir haben beim Fachanwalt für IT-Recht Christian R. Kast nachgefragt, der Mitherausgeber des Handbuchs „Digital Escrow“ ist.
Foto_Interview_RDi_08_202_Christian_Kast_WEBRDi: In welchen Fällen bietet sich eine Hinterlegung von digitalen Wirtschaftsgütern an?

Kast: In allen Fällen, in denen das Verlustrisiko hoch ist. Dabei weist die Frage nach dem Verlustrisiko verschiedene Aspekte auf. Zum Beispiel wird heute nicht mehr nur Software hinterlegt, sondern auch Daten. Da kann es sein, dass ein Verlustrisiko besteht, weil die Daten bei jemand anderem liegen. Hier kann ich den Treuhand-Gedanken eines Escrow-Agents nutzen, der diese Daten für beide Beteiligte, also für den Generator dieser Daten und für deren künftigen Verwender, verwaltet und durch seine Funktion für einen Interessenausgleich sorgen kann. Aber auch bei verteilten Teams, die gemeinsam im Code arbeiten, spielt die Hinterlegung eine wichtige Rolle. Hier ist Nachvollziehbarkeit ein wichtiger Grund für Digital Escrow, im Sinne eines Beweises: „Was war wann da?“

RDi: Das klingt, als wäre Digital Escrow ein stetiger Prozess. Wie funktioniert das genau?

Kast: Das ist tatsächlich der Unterschied zu früher, wo man ganz häufig zu Beginn hinterlegt hat und dann vielleicht ein- oder zwei Mal im Jahr Updates gemacht hat. Heute ist der Hinterlegungsprozess so einfach wie ein Backup. Und tatsächlich ist es so, dass gerade bei Daten als Hinterlegungsgut der Prozess verstetigt ist und etwa einmal am Abend eines Tages die Daten an das vereinbarte System übermittelt werden. Dabei können zum Beispiel auch Rohdaten gesichert werden oder im Automotive-Bereich Fahrzeugdaten, auf die erst mit Zustimmung des Kunden zugegriffen werden darf.

RDi: Wie kann man die Hinterlegung digitaler Gegenstände vertraglich ausgestalten? Was muss insoweit beachtet werden?

Kast: Ich stelle gerne W-Fragen, wenn ich über die vertragliche Gestaltung nachdenke. Die erste ist: Welche Nutzungsrechte habe ich an was und unter welchen Bedingungen? Und davor: Wer hinterlegt was wann? Denn was häufig vergessen wird, ist, dass der Escrow-Vertrag nur die Hinterlegung und die Herausgabe regelt. Aber um sofort weiterarbeiten zu können, wenn etwa der Cloud-Anbieter, bei dem mein Quellcode oder meine Daten liegen, insolvent geht, brauche ich die Nutzungsrechte an dem, was ich hinterlegt habe. Das würde den Escrow-Vertrag überfordern und wird daher üblicherweise in einem Leistungsvertrag geregelt. Das ist meine Kernmessage: Nutzungsrechte am Quellcode sollten auch im Nutzungsvertrag geregelt werden. Denn aus deutscher Sicht ist es nicht so, dass ich ein Recht am Quellcode habe, nur weil ich die Software nutzen darf. Wichtig ist, die Nutzungsrechte abgestuft so zu regeln, dass ich die Rechte habe, die ich brauche, aber zum Beispiel der Insolvenzverwalter hinterher nicht monieren kann, dass unangemessen ist, was ich mir habe einräumen lassen.

RDi: Die Herausgabe des hinterlegten Gegenstands dürfte der Knackpunkt jeder Hinterlegung sein.

Kast: Genau. Auch hier gibt es nochmal eine W-Frage. Was brauche ich wann von wem? Zwar gilt die Insolvenz als klassischer Herausgabegrund, aber nach meiner Erfahrung ist in der Praxis das „End of life“ des Produkts der häufigste Herausgabegrund, also der Fall, dass der Anbieter ein Produkt nicht mehr weiter entwickelt. Dann ist es zum Beispiel hilfreich, Schnittstellen anpassen zu können. Die Herausgabe und die Nutzungsrechte müssen also zusammenpassen. Vieles ist in den Escrow-Verträgen, die häufig von den Anbietern gestellt werden, Standard. Aber bei den Herausgabegründen gibt es Gestaltungsbedarf und sie werden in der Praxis häufig auch gestaltet.

RDi: Neben der Insolvenz ist also „End of life“ einer der Hauptgründe für eine Hinterlegung? Wie gut ist hier jeweils der Schutz durch Escrow?

Kast: Die Hauptgründe für eine Hinterlegung sind tatsächlich „End of life“ und Insolvenz, also abstrahiert gesprochen: Leistungsstörungen, die nicht nur vorübergehend sind. Das ist die Software, die nicht mehr gewartet, die Cloud-Lösung, die nicht mehr betrieben wird, der Anbieter, der insolvent ist usw. Gerade bei Managed-Services-Cloud- Lösungen ist das Insolvenzrisiko ein häufiger Grund für die Hinterlegung, weil auf dem Gebiet viele Start-ups tätig sind. Dabei ist Escrow häufig die Ultima Ratio, wenn also gar nichts mehr geht. In der Praxis ist der Schutz durch Digital Escrow aber sehr gut, wenn es vorher gut durchdacht ist.

Leseproben

RDi_Cover

RDi_2022_176-Aufsatz

BECK Stellenmarkt

Teilen:

Menü