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Digitalisierung für Menschen

Von Prof. Dr. Simon Nestler, Professor an der TH Ingolstadt und Geschäftsführer der Nestler UUX Consulting GmbH
Digitalisierung geht oftmals an den Bedürfnissen der Nutzer vorbei. Prof. Dr. Simon Nestler plädiert daher für eine „menschzentrierte Digitalisierung“. Für die öffentliche Verwaltung hat er einen Praxisleitfaden mit diesem Titel geschrieben. Die RDi hat nachgefragt.
Foto_Interview_RDi_04_2022_Simon_Nestler_WEBRDi: Was verstehen Sie unter „menschzentrierter Digitalisierung“?

Nestler: Letztendlich ist es ein Prozess, der die Bedürfnisse und die Erfordernisse der Menschen von Anfang an berücksichtigt. Jetzt ist es häufig so, dass erstmal entwickelt und dann am Ende festgestellt wird, dass diese Lösungen für die Menschen nicht gut funktionieren. Und dann wird versucht, diese schlechten Lösungen zu verbessern. Menschzentrierte Digitalisierung versucht, das umzudrehen und darüber nachzudenken, wie ich einen Prozess finden kann, der unter den Schlagworten Usability und User Experience zu einer Lösung kommt, die für die Menschen tatsächlich funktioniert.

RDi: Wie schaffen Sie es, den Menschen in den Mittelpunkt des Prozesses zu stellen?

Nestler: Durch die richtigen Methoden. Menschzentrierte Digitalisierung bedeutet nicht: „Jetzt machen wir mal ein bisschen mehr für Nutzer.“ Sondern es ist die konsequente Anwendung entsprechender Methoden, zum Beispiel der ISO 9241-210, die ganz klar sagt, wie ein solcher Prozess aussehen muss. Das heißt, in frühen Phasen Menschen zu interviewen, sie einzubinden, wenn ich erste Entwürfe von bestimmen Lösungen baue, und diese dann eben auch mit den Menschen zu testen, ob sie tatsächlich funktionieren. Und dann letztendlich diese Erkenntnisse zu nehmen, um sie iterativ immer und immer besser zu machen

RDi: Ist das auch der Grund, warum sich Ihr Ansatz von der kleinen Kommune bis zur großen Bundesbehörde anpassen lassen können soll?

Nestler: Genau. Menschzentrierte Digitalisierung muss nicht bei den IT-Dienstleistern und den Herstellern stattfinden, sondern sie muss dort stattfinden, wo die Menschen und die Technologie zusammenkommen. Und das passiert in der Behörde. Die Kommune weiß am besten, wo Technologien gut funktionieren und wo nicht. Und genauso weiß das die Bundesbehörde.

RDi: Wie lässt sich der Erfolg von menschzentrierter Digitalisierung messen?

Nestler: Da gibt es natürlich unterschiedliche Dimensionen. Ein Baustein ist die gerade schon erwähnte Usability. Sie lässt sich dadurch messen, ob sich eine bestimmte Lösung effektiv, effizient und zufriedenstellend nutzen lässt. Ich kann also schauen, wie viele Menschen kommen mit meiner digitalen Lösung ans Ziel. Ich kann schauen, wie lange sie dafür brauchen und wie zufriedenstellend das Erlebnis ist. Anhand dieser Metriken kann ich auch zwei digitale Lösungen miteinander vergleichen, welche mehr menschzentriert ist.

RDi: Wie steht die Verwaltung in zehn Jahren da?

Nestler: Wir unterschätzen ja immer, was in zehn Jahren möglich ist. Jetzt gibt es natürlich durch den sehr kurzfristigen Aufschlag des Onlinezugangsgesetzes einen hohen Handlungsdruck. Aber ich glaube, dass wir in zehn Jahren Services in der öffentlichen Verwaltung haben werden, die eine gute hybride Verzahnung aus den digitalen Lösungen und den analogen Kontaktpunkten haben, so dass ich als Bürgerin oder Bürger entscheiden kann, auf welche Weise ich mit meinem Anliegen mit einer bestimmten Behörde in Kontakt treten möchte. Umgekehrt kann die Behörde mir Rückmeldungen komplett medien-ungebunden liefern: Wenn es leichter ist, mir etwas physisch zu erläutern oder in einem persönlichen Gespräch, dann wird sie das tun. Wenn es aber ausreicht, mir einen elektronischen Bescheid zu schicken, dann wird sie dieses Format wählen.

RDi: Gehen Sie bei dieser Einschätzung davon aus, dass Ihr Ansatz beachtet wurde?

Nestler: (lacht) Ich würde sagen, so sieht es aus, wenn wir diese Prinzipien jetzt anwenden. Wenn wir sie nicht anwenden, dann glaube ich, dass wir in zehn Jahren gar keine Digitalisierung mehr haben werden, sondern wieder mit Zettel und Stift arbeiten, weil wir an die Grenzen dessen kommen, was für Menschen funktioniert. Dann werden wir digitale Lösungen haben, mit denen sehr viele Menschen nicht zurechtkommen, etwa Ältere oder Menschen mit Behinderungen. Und damit werden wir unsere analogen Lösungen bis in alle Ewigkeit behalten müssen.

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