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Rechtliche Expertise skalieren

Von Charlotte Kufus,
Eine der Spielarten von Legal Tech setzt bei der zentralen Tätigkeit von Juristen an, dem Erstellen von Dokumenten. Sogenannte „No-Code“ Software verspricht die Automatisierung dieses Prozesses ohne Programmierkenntnisse. Einer der Anbieter ist das Start-up „LegalOS“ das gerade in einer zweiten Finanzierungsrunde 6,1 Mio. Euro erhalten hat – vor allem von Gradient Ventures, dem auf Künstliche Intelligenz ausgerichteten Risikofonds von Google. Fragen hierzu an Charlotte Kufus, eine der Gründerinnen von Legal OS.
Foto_Interview_RDi_3_2022_Charlotte_Kufus_WEBRDi: Wie genau funktioniert eine „No-Code“-Software aus Sicht des Anwenders?

Kufus: Durch No-Code-Plattformen können Anwender und Anwenderinnen mittels einer grafischen Benutzeroberfläche Software-Applikationen entwickeln, ohne eigene Software-Entwicklungserfahrung zu haben. Im Fall von Legal OS automatisieren Juristen und Juristinnen komplexe juristische Prozesse und Dokumente, indem sie rechtliche Logik in einer netzwerkartigen Baumstruktur visualisieren. Vergleichbar ist das mit Website-Baukästen, wie Wordpress. Hier müssen Anwender und Anwenderinnen auch kein Web-Design beherrschen, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen.

RDi: Welche Rolle werden solche Plattformen zukünftig in der Rechtsberatung spielen?

Kufus: Manche behaupten, dass Anwälte lernen müssten, zu coden. Dieses Zukunftsbild sehen wir als nicht realistisch und Erfahrung mit Softwareentwicklung auch nicht als notwendig an. Doch auch die Kollaboration zwischen Softwareentwicklerinnen und -entwicklern mit Juristinnen und Juristen birgt Tücken: Da beide unterschiedliche Sprachen sprechen, kann es leicht zu Missverständnissen in der Umsetzung von Automatisierungen kommen. Recht ist dynamisch und verändert sich schnell, daher ist eine ständige Absprache der beiden Gruppen erforderlich. No-Code ermöglicht das Beste aus beiden Welten: Die Expertinnen und Experten sind selbstständig in der Lage, komplexe Eingaben in eine Software vorzunehmen, ohne Entwicklungskenntnisse zu besitzen oder abhängig von einem Software-Entwickler zu sein. Wichtig ist dabei, dass die No-Code-Ebene intuitiv und nutzerfreundlich ist, aber keine Kompromisse bei der Komplexität macht. Um tatsächlich einen Mehrwert durch Automatisierung zu bekommen, muss die No-Code-Ebene in der Lage sein, juristische Kernarbeit abbilden zu können. Wenn wir dann von Text zu Code kommen, eröffnet das nie dagewesene Möglichkeiten der Automatisierung von bekannten Rechtsdienstleistungen, aber auch ganz neue Möglichkeiten der Datenanalyse, Risikoprognosen und Skalierung rechtlicher Expertise.

RDi: Sie und Ihre Mitstreiter sind alle keine Juristen. Wie blicken Sie auf den Rechtsmarkt?

Kufus: Der Bereich ist sehr traditionell und wenig digitalisiert. In der analogen Ausbildung werden Studierende zu einer hohen Leidensfähigkeit erzogen. Auch im Referendariat sind Lerninhalte mit Bezug zu Digitalisierungsthemen eine absolute Ausnahme. Effizientes, digitales und transparentes Arbeiten wird durch die Abrechnung nach Stunden ebenfalls nicht belohnt. Starke Hierarchien in den Kanzleien und der Kampf um den Aufstieg zur Partnerschaft befeuern eher ein wettbewerbsähnliches Arbeiten, anstatt Kollaboration. Diese ist aber unabdinglich, um Innovation innerhalb von Organisationen voranzutreiben. Auf der anderen Seite steht ein enormes Potenzial, durch digitale Lösungen profitables Geschäft zu erzielen und neue Umsatzmärkte zu erschließen. Recht ist ein regelbasiertes System. Das Schicksal von Regeln ist Code. Warum also nicht den Rechtsmarkt digitalisieren?

RDi: Ist die Beteiligung von Gradient Ventures der erste Schritt in Richtung Google-Law?

Kufus: Gradient Ventures ist in erster Linie ein finanzieller und kein strategischer Investor. Wir sehen Gradient Ventures als sehr vielversprechenden Partner, da er Gründerinnen und Gründer in vielen Bereichen des Unternehmensaufbaus unterstützt.

RDi: Welche Rolle spielt KI bzw. Machine Learning bei Legal OS?

Kufus: Der gesunde Menschenverstand und die juristische Expertise werden noch eine ganze Weile benötigt werden. Der Vorteil unseres Systems ist, dass alle codierten Entscheidungen transparent und nachvollziehbar sind. Wir sehen den größten Hebel von KI darin, es noch einfacher zu machen, diese Regeln zu gewinnen bzw. zu codieren. Wir glauben daran, dass es möglich ist, das „Automatisieren zu automatisieren“ – allerdings nur zu einem gewissen Grad. Das System wird niemals ohne Supervision aufgrund intransparenter Lernregeln Entscheidungen selbstständig treffen.

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