Von Prof. Dr. Christoph Krönke/Dr. Valesca Molinari,
Die Karriere der „Regulatory Sandboxes“ (im Deutschen auch: „Reallabore“) ist bemerkenswert. 2015 schlug der Mediziner Sir Mark Walport als UK Government Chief Scientific Adviser der britischen Regierung bei seinen Überlegungen zur Zukunft der Finanzmärkte die Einführung von Sandbox Konzepten vor. In Anlehnung an die klinische Prüfung von Arzneimitteln wollte er auch im Finanzmarktbereich ein Verwaltungsverfahren schaffen, das es FinTech-Unternehmen ermöglicht, ihre innovativen, vielfach digitalen Produkte und Dienstleistungen zu testen. Innerhalb eines zeitlich begrenzten Rahmens, im engen, kooperativen Austausch mit der Aufsichtsbehörde und unter gewissen regulatorischen Erleichterungen können so innovative Konzepte ausprobiert werden.
Seitdem lässt die britische Finanzmarktaufsichtsbehörde FCA jährlich zwischen zehn und 30 FinTechs in der regulatorischen Sandbox spielen, bevor sie den gesamten regulatorischen Prozess durchlaufen und ihre Produkte regulär auf den Markt bringen. Die Vorteile eines solchen Verfahrens liegen auf der Hand: Erstens können die Sandbox-Teilnehmer ihre Geschäftsidee verproben, ohne vorher einen möglicherweise innovationshemmenden hohen finanziellen und zeitlichen Aufwand betreiben zu müssen. Zweitens können sie gemeinsam mit der zuständigen Behörde die tatsächlichen und rechtlichen Ungewissheiten beseitigen, wodurch die Behörde bei dieser Zusammenarbeit eigenes Wissen in Bezug auf die innovativen Anwendungen generiert, auf das sie wiederum im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit zurückgreifen kann. Und drittens profitiert die Allgemeinheit, wenn so innovative Produkte und Dienstleistungen tatsächlich auf den Markt kommen.
Insofern überrascht es nicht, dass Gesetze auf nationaler und auf europäischer Ebene zunehmend mit solchen Sandbox-Elementen bestückt werden. In den Vorschlägen der Europäischen Kommission zur Regulierung von Kryptowerten ist mit dem Pilot-Regime für Distributed-Ledger-Marktinfrastrukturen ein eigenes Sandbox-Gesetz enthalten. Auch die vieldiskutierten Vorschläge der Kommission zur Regulierung künstlicher Intelligenz enthalten eine Sandbox speziell für KI-Anwendungen. Im Finanzmarktbereich haben zahlreiche Länder, darunter auch Österreich, bereits gesonderte Sandbox-Verfahren eingerichtet. Zur Förderung von Innovationen in der Energiewirtschaft haben ferner nicht nur das britische Ofgem (Office of Gas and Electricity Markets), sondern auch Deutschland und Österreich eigene Sandboxes etabliert. In Deutschland könnte in absehbarer Zeit auch das autonome Fahren auf der Basis von sogenannten Erprobungsgenehmigungen ermöglicht werden. Und auch Legal-Tech-Anwendungen könnten perspektivisch in einer regulatorischen Sandbox getestet werden – das Vereinigte Königreich hat hier mit SRA Innovate, einem Projekt der Solicitors Regulations Authority, und der unter anderem vom Ministry of Justice ins Leben gerufenen Initiative LawTechUK bereits vorgelegt.
Der Trend weist in die richtige Richtung: Wir brauchen noch mehr regulatorische Sandkastenspiele! Regulatory Sandboxes sind zudem keine bereichsspezifischen Exoten (mehr), sondern ein bereichsübergreifendes Phänomen. Es dürfen deswegen nicht allein fachrechtliche Sandbox Verfahren in Spezialgesetzen eingeführt werden, sondern es sollte über allgemeine, bereichsübergreifend verfügbare Regeln diskutiert werden – etwa über eine Sandbox-Regelung in den Verwaltungsverfahrensgesetzen.
Prof. Dr. Christoph Krönke ist Lehrstuhlinhaber an der Wirtschaftsuniversität Wien, Dr. Valesca Molinari ist Rechtsanwältin bei Baker McKenzie, Frankfurt a.M.