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Zivilprozess im 21. Jahrhundert

Von Dr. Thomas Dickert, Dr. Thomas Dickert ist Präsident des OLG Nürnberg und Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“
Der Bürotag beginnt für den durchschnittlichen Richter damit, dass er sich am Computer einloggt und seine E-Mails durchsieht. Wenn er nicht mit Spracherkennung diktiert, fertigt er auf dem Rechner Verfügungen, Beschlüsse und Urteile. Justizsoftware unterstützt ihn mit Vorlagen bei den  Routinearbeiten. In Datenbanken der Fachverlage recherchiert er Gesetze, Urteile und Literatur. Spätestens seit die täglichen Infektionszahlen den Alltag bestimmen, nutzt er auch die Möglichkeiten zur Videoverhandlung und -vernehmung. Die Geschäftsstellen kommunizieren inzwischen mit Parteivertretern per beA. In den nächsten Jahren wird die E-Akte bei den Zivilgerichten flächendeckend eingeführt.
 
Foto_Thomas_Dickert_WEBDieser – freilich etwas geschönte – Bericht dürfte dem unbedarften Empfänger suggerieren, dass die Zivilgerichte im digitalen Zeitalter angekommen sind. Die Richterinnen und Richter wissen es selbst jedoch besser. Modern sind zwar zum Teil die Arbeitsmittel, modern ist aber nicht das Verfahren. Der Zivilprozess läuft im Wesentlichen noch nach den Vorgaben der CPO aus dem Jahr 1877. Im elektronischen Rechtsverkehr werden weiterhin Schriftsätze ausgetauscht und Zustellungen mit Empfangsbekenntnis entgegengenommen. Die E-Akte zeigt den Akteninhalt als Abbildungen der Papierschriftsätze auf den Bildschirmen an.

Eine von meinen Kolleginnen und Kollegen und mir 2019 gegründete Arbeitsgruppe zur Modernisierung des Zivilprozesses setzt genau hier an. Auch das Verfahrensrecht soll den technischen Fortschritt widerspiegeln. An die Stelle des anachronistischen Austauschs von Schriftsätzen soll die gemeinsame Erstellung eines Basisdokuments durch die Parteivertreter treten. Die Kommunikation über Terminsverlegungen und ähnliche Nebenfragen soll einfach und niederschwellig über einen elektronischen Nachrichtenraum – der den üblichen Messenger-Diensten entspricht – abgewickelt werden können. Ein fester Verhandlungstag pro Woche wird überflüssig, wenn das Gericht virtuell aus dem Büro oder Homeoffice verhandelt. Die Protokollierung der Beweisaufnahme soll nicht mehr umständlich diktiert, sondern wortgetreu computergestützt auf Basis einer Aufzeichnung verschriftet werden. Die zentrale Aufgabe der Zivilgerichte, Rechtsstreitigkeiten einer einvernehmlichen Lösung zuzuführen, oder, falls dies nicht gelingt, sie zügig und zuvorderst richtig zu entscheiden, wird dadurch nicht beeinträchtigt, sondern gestärkt. Vollständiger Parteivortrag bleibt im Basisdokument möglich, so dass das rechtliche Gehör nicht leidet.

Die Arbeitsgruppe hat überdies erkannt, dass der nicht anwaltlich vertretene Bürger keinen zeitgemäßen Zugang zum Zivilgericht mehr findet. Die Lösung kann dabei nicht in der Eröffnung eines E-Mail-Verkehrs mit den Gerichten liegen. Denn E-Mails sind ziemlich unsicher. Viel besser scheint der Vorschlag, den Justizgewährungsanspruch durch sichere Bürgerzugänge und ein Justizportal zu stärken, das mit intelligenten Eingabehilfen den Rechtsuchenden unterstützt.

Die Vorschläge der Arbeitsgruppe sind in einem öffentlich zugänglichen Diskussionspapier niedergelegt und werden auf einem virtuell stattfindenden Zivilrichtertag vorgestellt. Es ist an der Zeit, dass dann der Gesetzgeber tätig wird und die ZPO reformiert. Die technischen Errungenschaften sollten dringend für eine bürgerfreundlichere und effizientere Verfahrensgestaltung genutzt werden!

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