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Macht und Digitalisierung

Von Manuela Rottmann, Manuela Rottmann ist Mitglied des Deutschen Bundestags und Obfrau der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Allerorten ist zu lesen, dass die Corona-Pandemie der Digitalisierung einen Schub verleiht. Diese Entwicklung mag in vielerlei Hinsicht erfreulich sein und einen gesellschaftlichen Fortschritt beschreiben. Gleichzeitig ist es wie mit jeder Weiterentwicklung: Die einen freuen sich über neue Möglichkeiten, andere fühlen sich durch das Infragestellen althergebrachter Gewissheiten auf die Probe gestellt. Im Verhältnis zwischen Recht und Digitalisierung drängt sich die Frage auf, wo Rechtsdienstleistung und Justiz in diesem Spannungsfeld zu verorten sind.
 
Foto_Manuela_Rottmann_WEBDas Rechtssystem hat sich spät der Digitalisierung geöffnet. Bevor Verbraucherinnen und Verbraucher Mietminderungen per Klick und nicht mehr per Einschreiben geltend machten, waren sie längst an Onlineshopping und Gesundheits-Apps gewöhnt. Mittlerweile revolutioniert der Legal-Tech-Markt das Rechtsdienstleistungsangebot und treibt auch Gerichte und Politik vor sich her. In der jüngsten Vergangenheit haben Legal-Tech-Anbieter Verbrauchern zum Beispiel im Fall des VW-Diesel-Skandals das Angebot gemacht, ihre Ansprüche gegenüber VW geltend zu machen. 55.000 VW-Kunden haben diese Möglichkeit genutzt. Aus Sicht des Verbraucherschutzes ein absoluter Fortschritt.

Die Justiz selbst ist bis heute eher der analogen als der digitalen Welt verpflichtet. Warum ist das so? Tatsächlich zwingt die Digitalisierung dem Rechtswesen Veränderungen auf, von denen es viel länger als andere Branchen verschont blieb. Damit stellt sie grundlegende Prinzipien in Frage. Bislang war wenig Kapitaleinsatz erforderlich, um als Jurist tätig zu sein. Eine Rechtsanwältin oder ein Richter brauchen nicht viel zur Ausübung des Berufs: Laptop und Drucker reichen im Zweifel. Die Entwicklung digitaler Anwendungen ist jedoch kapitalintensiv. Und das hat Folgen: Kapitalabhängigkeit fördert die Konzentration von Angeboten, sie macht die Frage nach der Unabhängigkeit von Rechtsdienstleistern von den Kapitalgebern und der Justiz von den Entwicklern dringlich. Sie fördert die Konzentration von Macht. Die Digitalisierung verstärkt diese Effekte noch: Sie potenziert Größenvorteile. Ihre Mechanismen, die Algorithmen, sind öffentlicher Verhandlung kaum zugänglich und damit ein potenziell missbrauchsanfälliges Prinzip.

Die Kapitalabhängigkeit der Digitalisierung lässt sich am nach wie vor lausigen Ausstattungsstand der Justiz in Deutschland besichtigen. Die Digitalisierung der Justiz kann erhebliche Effizienzgewinne heben. Sie kann Verfahren preiswerter und schneller machen und damit den Zugang zu den Gerichten wieder stärken. Aber obwohl etwa in Ballungsräumen kaum noch qualifiziertes Personal für die Geschäftsstellen der Gerichte zu gewinnen ist, werden dort immer noch Akten und Schriftsätze hin und her geschickt. Investitionen in die Digitalisierung blieben aus. Das ist typisch für den öffentlichen Sektor und unterscheidet die Justiz kaum von anderen Behörden in Deutschland. Investitionen in die Verbesserung interner Prozesse sind politisch schwer durchzusetzen, selbst wenn sie sich amortisieren.

Für die Durchsetzung der Digitalisierung der Justiz hat es erst einen externen Schock gebraucht, wie die Covid-19-Pandemie einer ist. Ich bin aber optimistisch, dass damit nun wirklich der Zug zur technischen Digitalisierung der Justiz abfährt und dass ihn auch das von uns allen ersehnte Ende der Pandemie nicht stoppen wird.

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