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Laborgeprüftes Legal Tech?

Von Dr. Cord Brügmann,
Nicht nur angesichts der jüngsten Reformpläne im anwaltlichen Berufsrecht wird hierzulande kontrovers darüber diskutiert, wie viel Deregulierung die Anwaltschaft auf der einen und Regulierung Legal-Tech-Unternehmen auf der anderen Seite erfahren sollen. Hierzu bringt Dr. Cord Brügmann, Rechtsanwalt und Politikberater sowie bis März 2018 Hauptgeschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins (DAV), den Vorschlag von Reallaboren auf dem Rechtsmarkt ins Spiel.
RDi_01_2021_Interview_Foto_Cord_Bruegmann_WEBRDi: Was sind Reallabore?

Brügmann: Reallabore ermöglichen es, neue Angebote in der Praxis zu erproben. Reallabore sind gesetzlich definierte Räume, in denen innovative digitale Produkte und Dienstleistungen nach einer erfolgreichen Bewerbung und diskriminierungsfreien Auswahl mit flexibilisierten rechtlichen Rahmenbedingungen unter Aufsicht und beobachtet von Stakeholdern der jeweiligen Branche für einen begrenzten Zeitraum getestet werden können. Anders als private Inkubatoren und Akzeleratoren sind sowohl neue Geschäftsmodelle als auch die Regulierung Teil des Labors In Reallaboren wird das Zusammenspiel von Dienstleistungen und rechtlichen Rahmenbedingungen getestet, um zu erkennen, wo ein gesetzlicher Rahmen Innovationen möglicherweise verhindert und sein (Verbraucher-)Schutzziel nicht erreicht.

RDi: Warum brauchen wir sie auf dem Rechtsmarkt?

Brügmann: Reallabore könnten der ins Stocken geratenen Diskussion zwischen Anwaltschaft und so genannten alternativen Rechtsdienstleistern Schwung geben. Reallabor- Experimente könnten empirische Daten dazu liefern, welche Regeln wirklich innovationshindernd sind und welche nicht. Zuletzt könnte die Exekutive – das Bundesjustizministerium, ein Landesministerium oder eine Kammer – zeigen, dass sie Innovationen wirklich fördern wollen, so wie das andere Ministerien und Stakeholder auch tun.

RDi: Welche Erfahrungen gibt es?

Brügmann: In England und Wales beteiligen sich etwa Anwaltsaufsicht und Anwaltsorganisationen an Reallaboren, um digitale Innovationen zu fördern. In verschiedenen US-Bundesstaaten wurden und werden gerade Reallabore eingeführt, in denen sowohl atypische Anwaltskanzleien als auch neue Rechtsdienstleister ihre Geschäftsmodelle unter Aufsicht testen. In solchen Reallaboren wird etwa das Provisionsverbot während der Erprobungsphase eines neuen Rechtsdienstleisters aufgehoben, um zu erkennen, ob damit eine bessere Zusammenarbeit zwischen Legal-Tech- Unternehmen und Anwaltskanzleien möglich ist. Ziel ist es, einer bedenklichen Unterversorgung der Bevölkerung mit Rechtsrat zu begegnen.Wir kennen Reallabore im Finanzdienstleistungsmarkt, in den Bereichen E-Government, aber auch in gefahrgeneigten Bereichen wie autonomes Fahren, bei dem Einsatz von Medikamentenlieferungsdrohnen oder in der E-Medizin. Die Erfahrungen werden übrigens im Bundeswirtschaftsministerium gesammelt und ausgewertet. Dieses Wissen könnten wir im Rechtsmarkt nutzen, um aus den Erfahrungen anderer Branchen zu lernen.

RDi: Was sind idealerweise die nächsten Schritte?

Brügmann: Voraussetzung ist, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Innovationsförderung und Verbraucherschutz im Rechtsmarkt ausdrücklich zum Politikziel erklärt: Es würde dann gemeinsam mit Anwaltschaft, Legal-Tech-Unternehmen sowie Vertreterinne und Vertretern der Gruppe, die wir das rechtsuchende Publikum nennen – Industrie- und Handelskammern und Verbraucherschutzverbänden – ein Modell für eine Ergänzung von Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) erarbeiten. Diese Ergänzungen, sogenannte Experimentierklauseln, würden es erlauben, auf Ebene einer Rechtsanwaltskammer ein Reallabor einzurichten. Dies könnte entweder in einer besonders innovationsaffinen Region oder in einer Region geschehen, die strukturschwach ist und geographische Rechtsschutzlücken feststellt. Ein solches Reallabor würde mit empirischer Begleitforschung arbeiten. Das würde den häufig irrationalen rechtspolitischen Streit um Innovationen im Rechtsmarkt versachlichen und wir hätten die Aussicht, dass sich die Rechtspflege im Interesse der Rechtsuchenden gut weiterentwickelt und auch im internationalen Vergleich ganz vorne mitspielen kann.

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