Von Dr. Stefan Brink, Autorenbeschreibung
Die Datenschutzanforderungen werden nach einer aktuellen Bitkom-Umfrage von der Wirtschaft als zusätzliche Belastung in der Corona-Krise empfunden, auch weil die Vorgaben teilweise unklar sind. Dazu hat maßgeblich das Urteil des EuGH zum sogenannten Privacy Shield (Schrems II) beigetragen, nach dem es für transatlantische Datentransfers keine gültige Rechtsgrundlage mehr gibt. Hierzu Fragen an Dr. Stefan Brink, den Datenschutzbeauftragten von Baden-Württemberg.
RDI: Ist ein datenschutzkonformes Verhalten für Unternehmen derzeit faktisch unmöglich?
Brink: Keineswegs.
RDI: Aber man kommt doch kaum noch ohne Software von US-Anbietern aus, die nach ihrem Heimatrecht verpflichtet sind, den Sicherheitsbehörden Datenzugriff zu ermöglichen. Ist die Nutzung solcher Programme nach Schrems II nicht per se unzulässig?
Brink: In vielen Bereichen gibt es Alternativen zu US-Anbietern – und auch diese bemühen sich, Angebote ohne Datentransfers in die USA bereitzustellen. Wer genau hinsieht, findet auch andere Lösungsansätze: In manchen Bereichen hilft eine anbieterunabhängige Verschlüsselung
weiter – selbst Microsoft hatte zuletzt ein Joint Venture mit der Telekom im Angebot, welches die übergriffigen US-Behörden faktisch aussperrte. Aber sicher ist auch: Ohne intensive Bemühungen verlieren die US-Anbieter den europäischen Markt – und dieser Markt hat viel zu wenige
nutzbare Alternativen.
RDI: Die Datenschutzbeauftragten sind uneins, ob Microsoft Office 365 datenschutzgerecht eingesetzt werden kann. Sie bejahen das, die Mehrheit Ihrer Kollegen ist anderer Meinung. Was gilt denn jetzt?
Brink: Wir stimmen völlig darin überein, dass bei Microsoft Office 365 dringender Verbesserungen bedarf. Umstritten ist der Weg hin zu einer Lösung – und da setzen einige Datenschützer nicht nur auf Druck, sondern auch auf Fairness im Umgang.
RDI: Die Realität ist doch so: Ohne Microsoft würde das Land vermutlich zusammenbrechen – auch viele Behörden nutzen die Programme.
Brink: In der Tat haben wir es in vielen Bereichen mit einer ungesunden Angebotslage zu tun, Europa ist derzeit viel zu abhängig von US-Produkten. Wenn wir zukünftig in der Lage sein wollen, unsere hohen Rechts- und Datenschutzstandards auch praktisch umsetzen zu können, dann müssen wir für eine Verbreiterung der Angebote sorgen. Und chinesische Anbieter sind hier sicher noch eine schlechtere Lösung – denn wenn es um unsere Werte geht, trennen uns von China Welten.
RDI: Was empfehlen Sie Unternehmen, wie sie sich derzeit verhalten sollten?
Brink: Sie sollten aufmerksam die Entwicklung auf europäischer Ebene verfolgen, ihre Abhängigkeit von US-Anbietern prüfen und sie dort, wo möglich, zurückfahren. Sie sollten das Recht, insbesondere die DS-GVO, als das verstehen, was es ist: Ein Standortvorteil, der Europa einen
nachhaltigen, fairen und demokratischen Weg ins digitale Zeitalter weist. Ohne wirtschaftliche Ausbeutung der Ressourcen persönlicher Daten, ohne Erpressbarkeit durch Anbieter und Regime, die unsere Werte nicht teilen.
RDI: Die Wirtschaft empfindet den Datenschutz in der Corona-Krise als zusätzliche Belastung. Könnte man zur Abmilderung der Pandemie-Folgen wie in anderen Bereichen bestimmte Anforderungen befristet aussetzen oder beschränken?
Brink: Nein, denn das wäre töricht. Richtig verstandener und umgesetzter Datenschutz ist keine Gängelung, auch nicht in der Gesundheitskrise. Er schützt unser aller Rechte im digitalen Zeitalter – auch wenn unsere Sicherheit derzeit fragil ist, sollten wir unsere Freiheiten bewahren und
nicht vorschnell aufgeben.
RDI: Unabhängig davon muss doch aber der aktuell unklare Rechtszustand auch aus Sicht eines Datenschützers unbefriedigend sein. Wie würde es besser?
Brink: Der aktuelle Rechtszustand ist herausfordernd, aber es lohnt sich absolut, nach besseren Lösungen zu suchen. Ich verweise insofern auf die Orientierungshilfe meiner Behörde, die auf deren Webseite abrufbar ist. Wie es besser würde: Indem wir außereuropäischen Anbietern klare Vorgaben machen, wie wir uns freie und faire Datenverarbeitung vorstellen. Und der Versuchung widerstehen, uns angesichts US-amerikanischer Bedenkenlosigkeit und chinesischer Skrupellosigkeit zu abhängigen Konsumenten degradieren zu lassen.