Von
Dr. Micha-Manuel Bues | Aug 04, 2025
Nach fast drei Jahren ChatGPT und Legal AI ist KI im Rechtsmarkt fest etabliert. Und die
Dynamik beschleunigt sich weiter: Neben steigenden Investitionen sind vor allem technische Fortschritte bei generativen Sprachmodellen und deren Integration in juristische Arbeitsabläufe hervorzuheben. Parallel dazu verstärken juristische Fachverlage weltweit ihre strategischen Aktivitäten im Bereich Legal AI – ein Signal für die nachhaltige Relevanz des Themas. Ein Rückblick auf die letzten drei Monate von Dr. Micha-Manuel Bues, Managing Director und COO des Legal-Tech-Unternehmens Bryter.
Investitionen in Legal AI

Dieser Zeitraum war von signifikanten Kapitalzuflüssen in den Legal-AI-Sektor geprägt. Insgesamt wurden knapp
700 Mio. US-Dollar in einschlägige Unternehmen investiert. Besonders erwähnenswert sind die Finanzierungsrunden von Flank (Deutschland), Jupus (Deutschland), Laurel (USA), Legora (Schweden), Harvey (USA), Supio (USA)
und Wordsmith AI (UK). Im Bereich Mergers & Acquisitions sticht die Übernahme von vLex durch Clio für rund
eine Milliarde US-Dollar hervor. Auch Wolters Kluwer
setzte mit dem Erwerb von Brightflag für 425 Mio. US-Dollar ein deutliches Zeichen.
Diese Entwicklungen spiegeln das
Vertrauen wider, das Kapitalgeber in
das Innovations- und Wachstumspotenzial juristischer KI-Anwendungen setzen. Das war nicht immer
so. Zwar sind die Volumina – relativ
zu anderen Märkten – nicht außergewöhnlich hoch, doch ist die Investitionsdynamik – unterfüttert durch hohe und schnelle
Adoptionsraten in Kanzleien und Rechtsabteilungen – für
den in der Vergangenheit eher wenig beachteten Legal-Tech-Markt ungewöhnlich.
Technologische Integration in Workflows
Ein weiterer Trend betrifft die zunehmende Verschmelzung
von KI-Funktionalitäten mit workflowbasierten Lösungen.
Unternehmen wie Harvey und Legora erweiterten in den
letzten Monaten ihre Plattformen um Workflowszenarien,
während Anbieter klassischer Workflow-Tools, wie Bryter
mit ihrem KI-Produkt Beamon, eigene KI-Komponenten
entwickeln (siehe hierzu RDi Heft 7/2025, IX). Marktbeobachter, wie Nicola Shaver, sprechen in diesem Kontext
von einem „race to the middle“: Die Grenzen zwischen
probabilistisch arbeitenden KI-Systemen und regelbasierten Automatisierungstools beginnen zu verschwimmen
bzw. werden bewusst in Kombination eingesetzt. Ziel ist
hierbei die Entwicklung hybrider Modelle, die die Vorteile
beider Ansätze kombinieren und eine tiefere Integration
in juristische Arbeitsprozesse ermöglichen.
Strategische Verflechtung mit Verlagen
Parallel zu den technologischen Entwicklungen formieren
sich strategische Allianzen zwischen juristischen Fachverlagen und KI-Anbietern. Diese Reaktion auf die disruptiven
Potenziale generativer KI ist nachvollziehbar, da traditionelle Verlagsfunktionen – vor allem Recherche und Inhaltsbereitstellung – zunehmend von KI-Tools übernommen
bzw. KI-Tools erste Anlaufstelle hierfür werden. Drei strategische Muster
lassen sich dabei identifizieren: (1.)
Akquisitionen von Softwareunternehmen durch Verlage (etwa Beck/
Noxtua oder Thomson Reuters/Co-Counsel), (2.) Übernahmen von Verlagen durch Legal-Tech-Anbieter (zB
Clio/vLex), und (3.) partnerschaftliche Kooperationen (wie LexisNexis/
Harvey oder Otto Schmidt/Bryter und
Libra). Diese Strategien verdeutlichen
die Bereitschaft der Branche, sich aktiv in einem sich wandelnden Marktumfeld neu zu positionieren.
Zusammenfassung und Ausblick
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Legal AI sich
zunehmend zu einem konvergenten und dynamischen
Feld aus Investitionen, Technologie und Inhalten entwickelt. Getragen von einem kontinuierlichen Kapitalzufluss
und unterstützt durch die Weiterentwicklung bestehender
Lösungen, entstehen neue Formen juristischer Arbeitsprozesse und Wertschöpfungsketten. Kurzfristig ist mit
einer weiteren Konsolidierung des Marktes und vermehrt
mit hybriden Systemen zu rechnen. Legal AI hat sich dabei
bereits als integraler Bestandteil juristischer Praxis und
Infrastruktur etablieren. Juristische Chatbots werden nun
aber zunehmend von einem Werkzeug, das den einzelnen Anwalt besser macht, zu einer Werkbank weiterentwickelt, die juristische Wertschöpfungsketten (Vertragsreview, DD, M&A, Restrukturierung etc.) neu denkt.