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Prof. Dr. Michael Bäuerle | Aug 04, 2025
In einer angespannten Sicherheitslage weckt die Möglichkeit, bereits vorhandene, aber unverbundene Daten miteinander zu verknüpfen, Begehrlichkeiten. Zugleich werden in einer digitalisierten Welt immer mehr Daten produziert. Fragen an Prof. Dr. Michael Bäuerle, stellvertretender Direktor des hessischen Zentrums verantwortungsbewusste Digitalisierung (ZEVEDI).
RDi: Welche Gesetze zum
Einsatz von Big Data und KI in
der Gefahrenabwehr und der
Strafrechtspflege sind derzeit
in Deutschland geplant bzw.
jüngst umgesetzt worden?

Bäuerle: in der Gefahrenabwehr wird zurzeit im Landtag Sachsen-Anhalt über einen Gesetzentwurf beraten, der
eine automatisierte Datenanalyse durch die Polizei erlauben soll. Dabei geht es um die mittlerweile KI-gestützte
Auswertung verschiedener polizeilicher „Datentöpfe“, wie
schon in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Verwendet wird dazu eine angepasste Version des Programms
„Gotham“ der umstrittenen Firma Palantir Technologies.
Rechtsgrundlagen für solche Datenanalysen gibt es darüber hinaus in Hamburg und Rheinland-Pfalz. Geplant ist
die Schaffung einer Rechtsgrundlage auch in Baden-Württemberg. Hessen hat darüber hinaus im Dezember 2024
ausdrücklich den Einsatz von KI im Rahmen automatisierter Datenanalysen erlaubt und eine Ermächtigungsgrundlage für die biometrische Echtzeit-Fernidentifizierung im
Rahmen der Videoüberwachung öffentlich zugänglicher
Räume geschaffen.
RDi: Welche Vorhaben gibt es auf Bundesebene?
Bäuerle: Hier gibt es eine Aussage im Koalitionsvertrag
wonach die Sicherheitsbehörden, also BKA und Bundespolizei, für „bestimmte Zwecke (…) unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben und digitaler Souveränität, die automatisierte Datenrecherche und -analyse
sowie den nachträglichen biometrischen Abgleich mit
öffentlich zugänglichen Internetdaten, auch mittels Künstlicher Intelligenz, vornehmen können“ sollen. Gesetzesinitiativen dazu gibt es noch nicht. Entsprechende Initiativen
der Ampelkoalition und von SPD und Grünen waren zuvor im Bundesrat gescheitert bzw. der Diskontinuität anheimgefallen; in beiden Fällen sollte allerdings nicht auf
die Software von Palantir zurückgegriffen werden. Im Juni
hat die Innenministerkonferenz ebenfalls die Möglichkeit
zu automatisierten polizeilichen Datenanalysen eingefordert, und zwar auch für Zwecke der Strafverfolgung. Sie
hat dabei allerdings – wohl mit Blick auf die Firma Palantir – das Erfordernis der Wahrung der nationalen Datensouveränität betont.
RDi: Das BVerfG hat bereits über den Einsatz der
Analysesoftware Palantir entschieden (NJW 2023,
1196). Sind diese Initiativen damit vereinbar?
Bäuerle: Es bestehen Zweifel. Das BVerfG hatte die fast
wortgleichen Rechtsgrundlagen aus Hamburg und Hessen
für verfassungswidrig erklärt. Wendet man die in dem Urteil aufgestellten Kriterien auf die im Nachgang überarbeiteten bzw. neu geschaffenen Regelungen der Länder an,
finden sich durchaus „Schwachstellen“ im Hinblick auf die
Eingriffsschwellen, den Umfang der analysierbaren Daten,
die hinreichende Normenbestimmtheit und die Transparenz- und Kontrollvorgaben. Gegen die neue hessische Regelung
wurde bereits Verfassungsbeschwerde erhoben, ebenso
wie schon 2022 gegen die Regelung aus Nordrhein-Westfalen. In Hessen hat zudem Bündnis90/Die Grünen eine
Normenkontrolle bezüglich der jüngsten Änderungen des
Polizeigesetzes (KI-Einsatz und biometrische Echtzeit-Fernidentifizierung) beim Staatsgerichtshof beantragt.
RDi: Welche Vorgaben macht die KI-Verordnung?
Bäuerle: KI-gestützte automatisierte Datenanalysen durch
die Polizeien sind schon deshalb Hochrisiko-Systeme iSd
Art. 6 bis 49 KI-VO, weil sie zum Zwecke der Strafverfolgung eingesetzt werden; diese umfasst nach dem (weiten)
europarechtlichen Begriffsverständnis auch die straftatenbezogene Gefahrenabwehr. Diese Einstufung hat neben
vielen anderen Pflichten der Anbieter und Betreiber zur
Folge, dass vor Inbetriebnahme eine Grundrechtefolgenabschätzung und eine EU-Datenbankregistrierung erforderlich ist. Für die – nach Art. 5 KI-VO grundsätzlich verbotene – biometrische Echtzeit-Fernidentifizierung gelten
zusätzliche strenge Anforderungen, soweit sie ausnahmsweise für Strafverfolgungszwecke im europarechtlichen
Sinne eingesetzt werden dürfen. Keines der in Deutschland
eingesetzten oder geplanten Systeme erfüllt derzeit diese
Anforderungen. Auch Systeme, die bei Inkrafttreten der
KI-Verordnung bereits in Betrieb waren und nach Art. 112
KI-VO gleichsam Bestandschutz genießen, müssen – so sie
staatlich verwendet werden – bis 2030 „europarechtlich
nachgerüstet“ sein.
Prof. Dr. Michael Bäuerle, LL.M., ist Professor für Staats- und
Verwaltungsrecht an der Hessischen Hochschule für öffentliches
Management und Sicherheit und Lehrbeauftragter des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Universität Gießen.