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Dr. Markus Richter | Sep 06, 2023
Anfang des Jahres hat das Bundesministerium des Innern und für Heimat den „Digitalcheck“ eingeführt. Seitdem gilt für alle Bundesressorts die Selbstverpflichtung, neue Gesetze digitaltauglich zu gestalten. Die zugrundeliegenden Verpflichtungen sollen durch ein Eckpunktepapier verbindlicher werden. Fragen an den Bundes-CIO Dr. Markus Richter.
RDi: Wie ist der aktuelle Stand bei der digitaltauglichen Ausgestaltung von Gesetzen?
Richter: Viele Hindernisse bei der Digitalisierung von Verwaltungsvorschriften resultieren immer noch aus den Gesetzen selbst, zB Schriftformerfordernisse oder die Anordnung von persönlichem Erscheinen. Neue Regelungen müssen die Anforderungen und Möglichkeiten der späteren digitalen Umsetzung mitdenken und die Voraussetzungen für die Digitalisierung schaffen. Hier setzt der Digitalcheck an: Er gilt für alle neuen Regelungsvorhaben des Bundes. Dem nationalen Normenkontrollrat (NKR) kommt die Aufgabe zu, die Durchführung des Digitalchecks der Ministerien zu prüfen. Dafür wurde sein gesetzlicher Auftrag erweitert. Mit dem Digitalcheck fügen wir den vier juristischen Auslegungsmethoden quasi eine fünfte hinzu: Die Digitaltauglichkeit. Am Ende mag dies eine Dimension sein, die dem Sinn und Zweck untergeordnet werden kann. Dennoch erlangt sie ein besonderes Gewicht. Für Juristinnen und Juristen wird es daher von zunehmender Bedeutung sein, sich noch strukturierter mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen.
Der Digitalcheck gibt Legistinnen und Legisten in den Bundesministerien geeignete Prozesse, Methoden und Kompetenzen an die Hand und hat ein breites Unterstützungs- und Schulungsangebot aufgestellt. Derzeit fokussieren wir uns auf die frühzeitige Visualisierung von (Vollzugs-)Prozessen. Der klare Mehrwert von Visualisierungen ist, dass Optimierungsmöglichkeiten aufgezeigt werden können, die in der reinen Textarbeit oft nicht deutlich werden. Komplexe Sachverhalte können strukturiert sowie Logik- und Medienbrüche identifiziert werden. Eine Visualisierung erleichtert die Kommunikation zwischen dem Verfasser einer Regelung und den am Vollzug beteiligten Personen oder Organisationen.
RDi: Welche „Fünf Grundprinzipien des Digitalchecks“ gibt es?
Richter: Die konsequente Berücksichtigung von fünf Grundprinzipien schafft großen Mehrwert im Vollzug: Erstens muss die digitale Kommunikation sichergestellt werden, indem Regelungen zB technologieoffen formuliert werden. Zweitens soll die Wiederverwendung von Daten und Standards ermöglicht werden (Registerdaten). Drittens müssen der Datenschutz und die Informationssicherheit gewährleistet werden (wozu Experten frühzeitig mit einzubinden sind). Viertens sollten klare Regelungen für eine digitale Ausführung gefunden werden, das heißt, dass Regelungen für die Vollzugsakteure verständlich und mit einheitlichen Rechtsbegriffen formuliert sind. Zu guter Letzt sollen neue Regelungsvorhaben eine Automatisierung ermöglichen. Hierfür ist die Einbindung von IT-Fachexperten angeraten, um umsetzbare rechtliche Voraussetzungen für automatisierte und/oder antragslose Verfahren zu schaffen („wenn, … – dann, …“, zB verknüpft mit Pauschalen). Bei der Erarbeitung des Regelungsvorhabens sind Ausprägungen dieser „Grundprinzipien“ laufend zu dokumentieren.
RDi: Was passiert, wenn die Bundesregierung künftig Empfehlungen des Normenkontrollrats nicht berücksichtigt
Richter: Im Koalitionsvertrag und in der Digitalstrategie hat sich die Bundesregierung dazu verpflichtet, einen Digitalcheck für alle neuen Regelungsvorhaben einzuführen und anzuwenden. Ich bin positiv gestimmt, wenn ich sehe, wie sich die Anwendungsquote entwickelt. Seit Einführung des Digitalchecks hat sich diese stetig von anfänglich 13 auf mittlerweile 87 % (bezogen auf alle beim NKR eingereichten Gesetzesvorlagen) gesteigert. Die oben vorgestellten „Fünf Prinzipien“ sind die Grundlage für die Prüfung des NKR – er prüft, ob der Digitalcheck inhaltlich und methodisch nachvollziehbar durchgeführt wurde, und kommentiert die Qualität von durchgeführten Digitalchecks oder weist auf unterlassene Digitalchecks hin.
RDi: Wie sieht ein ideales digitaltaugliches Gesetz in Zukunft aus?
Richter: Ein digitaltaugliches Gesetz hat den (digitalisierten) Vollzug antizipiert, dh die Bedarfe von Behörden, Unternehmen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen, die die Regelungen später umsetzen oder von ihr betroffen sind, werden frühzeitig berücksichtigt. Der Fokus liegt auf der angestrebten Wirkung eines Gesetzes. Der Digitalcheck wird dazu beitragen, die Qualität der Rechtsetzung weiter zu verbessern. Wir legen damit auch eine Grundlage für die Zukunft einer datengetriebenen Verwaltung.