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20 Jahre elektronische Form

Von Prof. Dr. Thomas Riehm | Jul 30, 2021
Am 1. August 2001, vor genau 20 Jahren, ist das „Gesetz zur Anpassung von Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr“ in Kraft getreten. Es brachte die elektronische Form (§ 126a BGB) und die Textform (§ 126b BGB) sowie die nominelle Gleichstellung der elektronischen Form der Schriftform (§ 126 III BGB) – die für die meisten Schriftformerfordernisse sogleich wieder ausgeschlossen wurde.
Foto_RDi_08_2021_Editorial_Thomas_Riehm_WEBSieht man heute auf die Realität des Geschäftsverkehrs, hat sich allerdings kaum etwas verändert. Komplexe Verträge werden in der Praxis zwar auf elektronischem Wege vorbereitet und verhandelt. Der Vertragsabschluss selbst erfolgt jedoch meist durch handschriftliche Unterschriften auf Papier – allen verfügbaren digitalen Lösungen zum Trotz. Die elektronische Form auf der Basis qualifizierter elektronischer Signaturen kommt in der Praxis nahezu nicht vor. Statt auf eine elektronische Speicherung und die Fälschungssicherung mit kryptographischen Verfahren verlassen sich die Parteien auf vergängliches Papier mit handschriftlichen Unterschriften – und nehmen Verzögerungen durch Medienbrüche und den Postversand sowie die Verlustgefahr physischer Originale in Kauf.

Woran liegt es, dass die Digitalisierung auch heute noch vor dem Vertragsschluss Halt macht, wo selbst die Einreichung anwaltlicher Schriftsätze bei Gericht bald nur noch auf elektronischem Wege möglich ist? Ein Editorial genügt nicht für eine tiefgehende Ursachenanalyse (dazu demnächst Riehm, Festschrift für Johannes Hager, 2021). Ein wesentlicher Grund dürften jedoch zunächst die prohibitiven organisatorischen Anforderungen an qualifizierte elektronische Signaturen sein. Diese erfordern hohe Startinvestitionen und verursachen laufende Kosten, ohne das wesentliche Problem tatsächlich zu lösen: Solange Signatur-Chipkarten samt PINs an Sekretariate weitergegeben werden können und eine biometrische Kontrolle fehlt, ist auch die qualifizierte elektronische Signatur keine Garantin für die Authentizität einer Erklärung.

Es wird daher Zeit für ein grundsätzliches Überdenken der Formvorschriften: Jedes Smartphone erlaubt heute biometrische Identitätsfeststellung durch Fingerabdruck- oder Iris-Scan; der elektronische Personalausweis eine verlässliche digitale Identifikation. Das eröffnet die Möglichkeit, jede Art von Daten – neben Schriftzeichen auch Sprach- und Videoaufzeichnungen – mit geringem Aufwand fälschungssicher digital einer Person als Erklärung zuzuordnen. Auch Belehrungs- und Warnhinweise können elektronisch realisiert werden. Die verschiedenen technischen Möglichkeiten erlauben so eine Erfüllung sämtlicher Formzwecke in fein ausdifferenzierten elektronischen Formen. Das alles wäre möglich, wenn der Gesetzgeber sich von einer bloßen elektronischen Imitation der analogen Schriftform lösen würde – digital first!

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