Von
Renate Künast | Jul 05, 2021
Die Zukunft unserer Demokratie wird im Netz entschieden, davon bin ich überzeugt. Rechte Verschwörungserzählungen, Hass und Desinformation in Wahlkämpfen oder Abstimmungen, Versuche, Parlamente zu stürmen sowie gewalttätige Demonstrationen zeigen die Sprengkraft systematischer rechter Vernetzung und Mobilisierung im und durch das Netz.
Teile der Politik und Justiz nahmen diese Entwicklung jahrelang nicht ernsthaft zur Kenntnis. Inzwischen wissen wir, dass Hass und Hetze im Netz systematisch vom organisierten Rechtsextremismus genutzt werden, um ihnen politisch unliebsame Menschen mit orchestrierten Hasskampagnen zu überziehen. Ihr Ziel ist die Zerstörung unserer Demokratie. Menschen äußern im Netz aus Angst seltener ihre politische Meinung, Lokalpolitiker und Lokalpolitikerinnen treten zurück oder gar nicht erst an und Aktivisten und Aktivistinnen werden so stark bedroht, dass sie sich von den Plattformen zurückziehen oder gar umziehen müssen.
Leider haben wir bis heute kein ganzheitliches politisches Konzept gegen Hass und Hetze im Netz. Als die Bundesregierung 2017 endlich aufwachte, schuf sie mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ein Gesetz voller Geburtsfehler, insbesondere bei den Userrechten. Wir Grüne fordern seit 2018 eine Weiterentwicklung, die Meldewege vereinfacht, Transparenzberichte verbessert und ein put-back-Verfahren zur Wiederherstellung unrechtmäßig gelöschter Inhalte schafft. Es dauerte aber bis zum Mai 2021, dass das NetzDG-Änderungsgesetz im Bundestag verabschiedet wurde.
Das Änderungsgesetz setzt tatsächlich einige Vorschläge um, ignoriert aber, dass sich die Welt inzwischen weiter gedreht hat. Die Transparenzberichte der Plattformen haben gezeigt, dass sie Inhalte häufig aufgrund ihrer AGB löschen – und so die Bestimmungen des NetzDG ins Leere laufen. Mag sein, dass dieses Beispiel verwundert, aber der Fall der permanenten Accountsperrung von Donald Trump wirft die Frage auf, ob die Plattformen solche grundsätzlichen Entscheidungen ohne rechtliche Vorgaben selbst treffen sollten. Doch die Reform schweigt sich zum Verhältnis von NetzDG und Plattform-AGB aus.
Zudem sind Hass und Hetze verstärkt auf Telegram und Gaming-Plattformen umgezogen, die bisher nicht unter das NetzDG fallen. Telegram zählt als Messengerdienst zur Individualkommunikation – obwohl es dort Gruppenkanäle mit hunderttausenden Mitgliedern gibt. Gaming- Plattformen sind ausgenommen, obwohl hier besonders Kinder Hatespeech und Cybergrooming ausgesetzt sind.
Nicht zuletzt bleibt das Geschäftsmodell der Plattformen weiter unberührt, sodass sich Hass und Hetze finanziell für sie weiter lohnen. Gut, dass einige diese Probleme gerade auf EU-Ebene beim Digital Services Act diskutiert werden. Genau darauf müssen wir uns jetzt konzentrieren, damit Transparenz der Empfehlungsalgorithmen, Regulierung von Microtaregting und abgestufte Pflichten für einen größeren Kreis von Plattformen umgesetzt werden. Wie gesagt: die Zukunft der Demokratie wird im Netz entschieden.