Der jahrelange Rechtsstreit zwischen zwei Jemeniten und der Bundesregierung hat nun in Karlsruhe sein Ende gefunden. Das BVerfG hat am Dienstag die Verfassungsbeschwerde der beiden Männer abgewiesen, die Deutschland vorwarfen, seine Schutzpflicht bei US-Drohneneinsätzen über die Air Base Ramstein verletzt zu haben. Die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats sahen keine ernsthafte Gefahr systematischer Völkerrechtsverletzungen durch die USA (Urteil vom 15.07.2025 - 2 BvR 508/21).
In ihrem Eingangsstatement zur Urteilsverkündung fand BVerfG-Vizepräsidentin und Vorsitzende des Zweiten Senats Doris König fast beschwichtigende Worte für die Beschwerdeführer und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer: "Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die Verfassungsbeschwerde der beiden jemenitischen Beschwerdeführer im Ergebnis unbegründet ist" trug König vor. "Das mag die Beschwerdeführer und ihre Unterstützer, insbesondere NGOs auf dem Gebiet des internationalen Menschenrechtsschutzes, enttäuschen. Dennoch geht das heutige Urteil einen Schritt über die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinaus. Es hält fest, dass dem deutschen Staat ein allgemeiner Schutzauftrag dahingehend obliegt, den Schutz grundlegender Menschenrechte und der Kernnormen des humanitären Völkerrechts auch gegenüber Ausländern im Ausland zu wahren."
"Bekenntnis zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten in der Welt"
Die Jemeniten hatten im August 2012 bei einem US-Drohneneinsatz in ihrem Heimatort mehrere nahe Verwandte verloren und verklagten zwei Jahre später – nach zuvor erfolglosen juristischen Bemühungen in den USA – die Bundesregierung. Ihr Argument vor Gericht war dabei, dass Deutschland, indem es den Amerikanern gestatte, eine Satelliten-Relaisstation auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein für ihre Drohneneinsätze im Jemen zu nutzen, eine Schutzpflicht gegenüber ihnen verletze – konkret die Pflicht zum Schutz des Lebens aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Sie verlangten, dass die Bundesregierung Maßnahmen ergreifen solle, um die Nutzung der Air Base Ramstein für solche Einsätze künftig zu unterbinden. Nach einer Niederlage in erster Instanz bescherte das OVG NRW ihnen einen beachtlichen Erfolg, indem es die Bundesregierung tatsächlich dazu verurteilte, gegenüber den USA darauf hinzuwirken, dass eine Nutzung der Air Base Ramstein nur im Einklang mit dem Völkerrecht stattfinden solle. Diese Entscheidung wurde jedoch in der Revision wieder vom BVerwG kassiert.
Der technische Hintergrund ist, dass US-Drohnen, die im Jemen nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen eingesetzt werden, über die Militärbasis in Ramstein gesteuert werden müssen, da die Erdkrümmung eine Signalübertragung aus den USA allenfalls mit erheblicher Verzögerung erlauben würde. Aus diesem Grund werden die Steuerungssignale über die Relaisstation in Ramstein umgeleitet. Die zumindest Billigung der Bundesregierung, die um die Funktion der Relaisstation wusste, war und ist damit wohl eine Notwendigkeit für amerikanische Drohnenangriffe im arabischen und nordafrikanischen Raum.
Das BVerfG gab den beiden Männern aus dem Jemen nun im Ergebnis und auf den konkreten Fall bezogen zwar nicht Recht, gestand ihnen aber doch ein rechtliches Argument zu, das man so konkret bisher nicht aus Karlsruhe gehört hatte: Deutschland trifft nach Ansicht des Senats ein allgemeiner Schutzauftrag in Bezug auf grundlegende Menschenrechte, der auch dann gilt, wenn sich Ausländerinnen und Ausländer in einem im Ausland stattfindenden Geschehen darauf berufen. Mit einer solchen extraterritorialen Schutzpflicht wird die Grundrechtsgeltung erheblich ausgeweitet. Dies, so der Senat, folge aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 GG. Art. 1 Abs. 3 GG begründe "eine umfassende Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte des Grundgesetzes, die sich nicht allein auf das deutsche Staatsgebiet beschränkt" heißt es im Urteil. Art. 1 Abs. 2 GG enthalte nämlich "ein Bekenntnis zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt".
Auslandsbezug der Grundrechte schon früher festgestellt
Völlig überraschend kommt diese Feststellung indes nicht, da das BVerfG bereits in seinem Urteil zur Ausland-Fernmeldeaufklärung durch den BND grundsätzlich festgestellt hatte, dass die Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt sind, wie Mehrdad Payandeh, Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Recht, Europarecht und Öffentliches Recht an der Bucerius Law School in Hamburg, schon im Rahmen der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe gegenüber beck-aktuell erklärt hatte. Auch im berühmten Klimaschutz-Beschluss habe das Gericht grundrechtliche Schutzpflichten gegenüber im Ausland lebenden Personen erwogen, so Payandeh.
Aus diesem allgemeinen Schutzauftrag, den das BVerfG nun auch für Bedrohungen durch das Handeln anderer Staaten bestätigte, lassen sich laut Gericht auch konkrete Handlungspflichten ableiten, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: ein hinreichender Bezug zur Staatsgewalt Deutschlands und das Vorliegen einer ernsthaften Gefahr systematischer Verletzungen des anwendbaren Völkerrechts.
Die Richterinnen und Richter sahen hier zwar Gesichtspunkte, die einen hinreichenden Bezug zur deutschen Staatsgewalt nahelegen könnten, da die Bundesregierung über die Nutzung der Satelliten-Relaisstation informiert war und keine Bedenken äußerte. Jedoch sei die bloße technische Herstellung einer Daten- und Kommunikationsverbindung normativ neutral und von untergeordnetem Gewicht, so der Senat.
BVerfG sieht keine Anzeichen für systemische Menschenrechtsverletzungen
Entscheidend war für das BVerfG aber, dass keine ernsthafte Gefahr systematischer Verletzungen des humanitären Völkerrechts durch die USA vorliege. Es genügt demnach nicht, dass lediglich in Einzelfällen Menschenrechtsverstöße begangen werden, sie müssen vielmehr System haben. Das sahen die Karlsruher Richterinnen und Richter hier nicht belegt. Denn die Rechtsauffassung der USA zur Abgrenzung legitimer militärischer Ziele von geschützten Zivilpersonen sei zwar umstritten, aber nicht unvertretbar. Auch die hohe Zahl ziviler Opfer, die neben NGOs auch von internationalen Organen wie einem UN-Sonderberichterstatter, Resolutionen des UN-Menschenrechtsrats, dem Europäischen Parlament und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats angeführt werden, reiche nicht aus, um systematische Verstöße gegen das Völkerrecht zu belegen. Die USA hätten zudem Maßnahmen ergriffen, um zivile Schäden zu vermeiden und die Transparenz ihrer Operationen zu erhöhen.
Das BVerfG machte auch keinen Hehl daraus, dass es sich bei seiner Entscheidung auch die möglichen politischen Konsequenzen vor Augen geführt hatte, die angesichts des gegenwärtig angespannten Verhältnisses zu den USA auch in Verteidigungsfragen gravierend hätten sein können. Der Senat betonte, dass die Sicherstellung der außenpolitischen Handlungs- und Bündnisfähigkeit Deutschlands ein Verfassungsgut sei, das bei der Konkretisierung extraterritorialer Schutzpflichten zu berücksichtigen sei. Solange die Rechtsauffassung der USA im Rahmen des völkerrechtlich Vertretbaren bleibe, sei das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit des Handelns des Bündnispartners nicht infrage gestellt.
Da die Voraussetzungen für eine konkrete extraterritoriale Schutzpflicht nicht erfüllt waren, musste das Gericht nicht final entscheiden, ob die Bundesregierung durch diplomatische Maßnahmen ihrer Schutzpflicht gegenüber den Beschwerdeführern gerecht geworden wäre. Diese waren in der Vergangenheit immer wieder infrage gestellt worden, unter anderem von Payandeh: "Die öffentlichen Äußerungen der Bundesregierung zu dieser Frage sind regelmäßig sehr allgemein", erklärte der Völkerrechtler damals. Sie beschränkten sich meist auf die Aussage, man stehe mit den USA in einem kontinuierlichen Dialog.
"An wen sollen wir uns jetzt noch wenden, wenn wir Gerechtigkeit suchen?"
Das Verteidigungsministerium indes reagierte auf die Urteilsverkündung am Dienstag zügig mit einer Stellungnahme in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt: "Mit ihrer Entscheidung bestätigen die Richterinnen und Richter, dass der Bundesregierung bei der Beurteilung der Völkerrechtskonformität des Handelns dritter Staaten ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht", heißt es darin. "Die Bundesregierung begrüßt diese Entscheidung, die ein wichtiges Signal für unser außen- und sicherheitspolitisches Handeln setzt. Auch in Zukunft wird sich die Bundesregierung, nicht zuletzt aufgrund des vom BVerfG betonten Schutzauftrages, für die Einhaltung des Völkerrechts und die Sicherheit aller Menschen auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Grundrechte einsetzen."
Die Beschwerdeführer Ahmed und Khaled bin Ali Jaber sagten in einer Mitteilung der NGO European Center for Constitutional and Human Rights (EECHR), die sie seit langem in ihrem Verfahren unterstützt: "Seit 13 Jahren kämpfen wir um Gerechtigkeit – seit dem Tag, an dem Salem und Waleed durch eine amerikanische Rakete gewaltsam aus unserem Leben gerissen wurden." Das Urteil sei "gefährlich und erschütternd": "Es vermittelt die Botschaft, dass Staaten, die das US-Drohnenprogramm unterstützen, keine Verantwortung tragen, wenn Zivilisten dabei getötet werden. An wen sollen wir uns jetzt noch wenden, wenn wir Gerechtigkeit suchen?"
Andreas Schüller vom ECCHR sah jedoch auch Positives in der Entscheidung: "Dieses Urteil sieht für die letzten Jahre keine Gefahr für die Betroffenen, lässt aber die Tür offen für zukünftige Fälle. Verletzungen des Völkerrechts können gerichtlich überprüft werden, auch wenn das Gericht dafür hohe Hürden aufstellt. Dies ist eine wichtige Feststellung des Bundesverfassungsgerichts in diesen Zeiten."