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Schwimmen als Pflichtfach: Glaube allein begründet keine Ausnahme

VG Freiburg
El­tern aus einer streng re­li­giö­sen Glau­bens­ge­mein­schaft haben ver­sucht, ihre Toch­ter wegen eines re­li­giö­sen Ba­de­ver­bots vom Schwimm­un­ter­richt zu be­frei­en – ver­geb­lich. Das VG Frei­burg hielt den Ein­griff in ihr Er­zie­hungs­recht für ge­recht­fer­tigt und ver­wies auf die Schul­pflicht.

Das VG Freiburg hat die Klage streng religiöser Eltern abgewiesen, die eine Befreiung ihrer Tochter vom Schwimmunterricht beantragt hatten. Jetzt hat es die Gründe für seine Entscheidung veröffentlicht: Zwar liege ein Eingriff in das religiöse Erziehungsrecht vor, dieser sei aber gerechtfertigt (Urteil vom 15.04.2025 – 2 K 1112/24).

Die Familie gehört der Palmarianischen Kirche an und hatte sich auf deren Glaubensregeln berufen, nach denen bereits das Betreten eines Schwimmbads eine "Todsünde" darstelle, da man durch "Zurschaustellung des Körpers" "Unsittliches" zu sehen bekomme. Die Eltern hatten ursprünglich für drei ihrer Kinder eine Befreiung vom Schwimmunterricht beantragt. Für zwei der Kinder wurde das Verfahren jedoch in der mündlichen Verhandlung bereits für erledigt erklärt, da in ihren aktuellen Klassenstufen kein Schwimmunterricht mehr angeboten wird. Die Klage bezog sich damit nur noch auf ihre Tochter, die derzeit die vierte Klasse besucht.

Konflikt zwischen elterlichem Erziehungsrecht und staatlichem Erziehungsauftrag

Das VG Freiburg stellte klar, dass eine Befreiung vom Schwimmunterricht nach § 3 Abs. 1 S. 2 SchulBesVO nur in besonders begründeten Ausnahmefällen möglich ist. Dies könne zwar auch religiöse Gründe umfassen, etwa wenn die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) oder das religiöse Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) verletzt würden. Eine solche Verletzung sah das Gericht hier aber nicht.

Zwar liege grundsätzlich ein Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht (aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 GG) vor, wenn die Tochter trotz religiöser Vorgaben am Schwimmen teilnehmen müsse. Dieser Eingriff sei jedoch gerechtfertigt, weil auch der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) Verfassungsrang habe. Beide Rechtspositionen seien gleichrangig und müssten in einem Ausgleich zusammengebracht werden. Die Kammer verwies auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der praktischen Konkordanz. Danach sei zunächst ein schonender Ausgleich etwa durch "kompromisshafte Konfliktentschärfung" zu suchen.

Eltern lehnten Kompromisse ab

Die Schule habe hier Maßnahmen angeboten, um den religiösen Vorgaben entgegenzukommen – etwa abgetrennte Umkleiden und die Möglichkeit, lockere Badebekleidung wie einen Burkini zu tragen. Damit hätte sich die Einschränkung des Erziehungsrechts zumindest auf ein Minimum reduzieren lassen, so das VG. Die Eltern hätten aber bereits das Betreten eines Schwimmbads kategorisch abgelehnt, sodass jede Form eines Kompromisses ausgeschlossen gewesen sei.

Das Gericht betonte, dass eine vollständige Rücksichtnahme auf das von den Eltern formulierte Konfrontationsverbot nicht zumutbar sei. Eine solche Befreiung würde die staatliche Bildungs- und Erziehungsfunktion grundlegend in Frage stellen. Der Schwimmunterricht diene nicht nur dem Erlernen einer lebensnotwendigen Fähigkeit, sondern auch der Bewegung, der Integration und der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Realitäten – etwa mit unterschiedlichen Bekleidungsgewohnheiten.

Kein schwerwiegender Eingriff in den Glauben

Zudem sah das VG Freiburg keine besonders gravierende Beeinträchtigung des religiösen Erziehungsrechts. Zwar hätten die Eltern die Teilnahme ihrer Tochter als "Todsünde" bezeichnet, die zur Exkommunikation führen könne. Dies hielt die Kammer aber für nicht tragfähig. Nach dem eigenen Katechismus der Glaubensgemeinschaft setze eine Sünde "freiwilligen Ungehorsam" voraus. Der Schwimmunterricht sei jedoch nicht freiwillig, sondern staatlich angeordnet – und damit erzwungen.

Selbst wenn man unterstelle, dass das religiöse Erziehungsrecht erheblich beeinträchtigt werde, überwiege in diesem Fall der staatliche Bildungsauftrag. Die Schule dürfe nicht hinter individuelle Tabuisierungsvorstellungen zurücktreten. Entscheidend sei, dass es den Eltern im Alltag weiterhin unbenommen bleibe, ihre Tochter im Übrigen religiös zu erziehen, so die Richterinnen und Richter. Die schulische Maßnahme beschränke sich auf einen wöchentlichen Unterricht und könne durch angepasste Bekleidungspflichten zusätzlich entschärft werden (Urteil vom15.04.2025 - 2 K 1112/24).

    Aus der Datenbank beck-online

    EGMR, Keine Befreiung muslimischer Mädchen vom Schwimmunterricht, NVwZ-RR 2018, 505

    Heinze/Heinze, "Religionsfreiheit und Erziehungsauftrag des Staates im Schulrecht", JA 2017, 210

    VGH Kassel, Glaubensfreiheit und koedukativer Schwimm­unterricht, NVwZ 2013, 159

    OVG Münster, Pflicht zur Teilnahme am Schwimmunterricht für alle Schüler – hier: muslimisches Kind, NVwZ-RR 2009, 923

    VGH München, Schulpflicht, Erziehungsauftrag des Staates, Erziehungsrecht der Eltern, Glaubens- und Gewissensfreiheit, BeckRS 2001, 28691

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