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Illegale Sportwetten: BGH legt tipico-Fall dem EuGH vor

BGH
Im Streit um Rück­for­de­run­gen von Ver­lus­ten aus il­le­ga­len Sport­wet­ten hat der BGH den EuGH um Vor­ab­ent­schei­dung ge­be­ten. Lu­xem­burg soll klä­ren, ob die Nich­tig­keit von Wett­ver­trä­gen mit der Dienst­leis­tungs­frei­heit ver­ein­bar ist. Der BGH hat selbst eine klare Ten­denz.

Im Streit zwischen dem Sportwettenanbieter tipico und einem Spieler, der seine Spielverluste erstattet haben möchte, müssen die Parteien weiter auf eine Entscheidung warten. Der I. Zivilsenat hat dazu am Donnerstag (Beschluss vom 25.07.2024 - I ZR 90/23) den EuGH angerufen: Der soll nun klären, ob Wettverträge nichtig sein können, weil der Wettanbieter in Deutschland keine Konzession hatte, ohne dass die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) verletzt wäre.

Ein Spieler hatte vom Wettanbieter tipico die Rückzahlung von Verlusten aus Online-Wetten verlangt. Er war der Auffassung, sein Wettvertrag sei gemäß § 134 BGB nichtig, weil tipico gegen das gesetzliche Verbot aus § 4 Abs. 45 GlüStV 2012 verstoßen habe, indem er ohne Erlaubnis Sportwetten in Deutschland angeboten habe.

Das AG hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte ebenfalls keinen Erfolg – auch weil tipico ein unionsrechtswidriges Konzessionsverfahren durchlaufen hatte. Derweil hatten verschiedene LG und OLG in parallelen Verfahren ganz unterschiedlich entschieden. Der BGH selbst hat in seinem Beschluss eine klare Tendenz zugunsten der Spielenden geäußert: Nach seiner Ansicht wäre der Zweck des gesetzlichen Verbots, ohne Konzession Sportwetten anzubieten, verfehlt, wenn die Wettverträge dennoch wirksam wären. Die Bevölkerung solle vor den Gefahren des Glücksspiels geschützt werden. Das erfordere grundsätzlich die Nichtigkeit von Wettverträgen, die auf Grundlage eines Verstoßes gegen die Erlaubnispflicht geschlossen worden seien.

Konzessionsverfahren war unionsrechtswidrig

Vor dem EuGH wird es auch um die Frage gehen, wie es sich auswirkt, dass tipico die Konzession bereits beantragt hatte, das Konzessionsverfahren aber noch nicht abgeschlossen war und sich später mangels ausreichender Transparenz als unionsrechtswidrig herausgestellt hat. "Diese Frage stellt sich deshalb, weil der EuGH in seiner Ince-Entscheidung (Anm. d. Red. Urt. v. 04.02.2016 - C-336/14) nur klargestellt hat, dass in einem solchen Fall wegen des Vorrangs des Unionsrechts keine strafrechtlichen Sanktionen gegen den Anbieter unerlaubter Sportwetten verhängt werden dürfen", erklärt Prof. Dr. Helmut Köhler, ehemaliger Professor am Institut für Privatrecht und Zivilverfahrensrecht der LMU München. Laut BGH lässt sich die Entscheidung aber nicht auf den aktuellen Fall übertragen.

Der Umstand, dass das Konzessionsverfahren unionsrechtswidrig war, könne hier keine andere Beurteilung rechtfertigen, so der BGH. Die im Verhältnis des Staats zum Sportwettenanbieter eintretenden Rechtsfolgen ließen sich nicht ohne Weiteres auf das Verhältnis des Sportwettenanbieters zum Spieler als privatem Dritten übertragen. Die zwingenden Gründe des Allgemeininteresses, die nach Ansicht des BGH hier einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen können, bestünden auch dann, wenn das Verfahren der Konzessionserteilung unionsrechtswidrig ausgestaltet war.

Die Entscheidung des BGH hatten viele gespannt erwartet, denn für die Wettanbieter stehen Milliarden auf dem Spiel. In einem Hinweisbeschluss vom März hatte der BGH sich bereits auf die Seite der Spielenden gestellt, woraufhin der Wettanbieter in dem Fall die Revision zurückgezogen hatte. Sollte er nach Antwort aus Luxemburg einen Rückzahlungsanspruch bejahen, gehen Beobachter von einer Klagewelle aus.

BGH setzt ein Zeichen – trotz Vorlage

"Der Beschluss bestätigt die vom BGH eingeleitete Änderung der Gesamtwetterlage", sagt Prof. Dr. Johannes Dietlein, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Universität Düsseldorf. Der BGH habe klargestellt, dass auf Verstöße gegen den Glücksspielstaatsvertrag konsequent Rückforderungsansprüche folgen können. Damit verschaffe er dem Glücksspielstaatsvertrag eine deutlich größere Durchschlagskraft.

"Die Vorlagefrage an den EuGH betrifft dagegen nur ein bestimmtes Segment von Altfällen, in denen einzelne Unternehmen aufgrund eines nicht regelkonformen Erlaubniserteilungsverfahrens in Deutschland übergangsweise bereits vorab tätig geworden sind." Auch hieraus wolle der BGH grundsätzlich die Nichtigkeit der seinerzeit abgeschlossenen Wettverträge folgern, was aber einer unionsrechtlichen Klärung durch den EuGH bedürfe, so Dietlein.

Dennoch zeige die Vorlage, dass der BGH zwar eine klare Tendenz habe, eine andere Sichtweise jedoch nicht von vornherein für ausgeschlossen halte, so Dietlein. Nach Art. 267 Abs. 3 AEUV müssten nationale Gerichte jedenfalls dann vorlegen, wenn die unionsrechtskonforme Auslegung nicht offenkundig sei, heißt es in dem Beschluss.

EuGH-Vorlage: Schonfrist für die Wettanbieter?

Wie der EuGH entscheiden wird, sei momentan schwer abzuschätzen, meinen die Experten. Denn der Wettanbieter habe sich an alle Vorgaben zum Schutz der Bevölkerung gehalten und die Konzession beantragt. "Es ist anzunehmen, dass bereits die Stellung des Antrags auf Konzessionserteilung eine gewisse Gewähr dafür leistete, dass sich Tipico an die Anforderungen für die Konzessionserteilung halten würde und daher vom Spielangebot keine Gefahren für die Bevölkerung ausgehen würden", meint Köhler. Zudem seien neben der Vorlage des BGH in Luxemburg noch weitere Verfahren zum Glücksspielrecht anhängig. Unter anderem habe sich ein Gericht aus Malta – wo tipico seinen Unternehmenssitz hat – ebenfalls erkundigt, wie der deutsche GlüStV im Lichte des Unionsrechts auszulegen sei (Rs. C-440/23).

"Es spricht viel dafür, dass der EuGH drauf abstellt, ob das grundsätzliche Verbot unerlaubter Glücksspiele im Internet eine unverhältnismäßige Einschränkung der Privatautonomie der Spieler darstellt", so Köhler. Das zeige sich schon daran, dass der GlüStV 2012 durch den "liberaleren" GlüStV 2021 abgelöst wurde. "Sollte der EuGH so entscheiden, müssten die deutschen Gerichte mehr auf die Umstände des Einzelfalls abstellen, als pauschal einen Bereicherungsanspruch zu bejahen oder verneinen."

Für die Wettanbieter könnte der heutige Beschluss eine erhebliche Schonfrist bedeuten, denn wann mit einer Entscheidung aus Luxemburg zu rechnen sein wird, sei noch unklar. "Es wird aber wohl eine Weile dauern", meint Köhler (Beschl. v. 25.7.2024 I ZR 90/23). 


Aus der Datenbank beck-online

Schaaf, Kohärenz, Kanalisierung und Spielerschutz in Zeiten des Online-Glücksspiels: Spielbanken, Spielhallen, Sportwetten – stationär und virtuell, GewArch 2024, 52

Dietlein/Peters, Der maltesische Gaming Amendment Act 2023 auf dem Prüfstand des Unionsrechts, WiVerw 2024, 1

Hilf/Umbach, Neue EuGH-Rechtsprechung zum Glücksspielrecht, ZfWG 2024, 40 und Update zum Sportwettenrecht, ZfWG 2023, 493

Dietlein/Peters, Die unionsrechtliche Bewertung von "Chargeback"-Klagen gegen Sportwettenanbieter, ZfWG 2023, 334

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