Angesichts der durch die Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine verursachten internationalen Krise könne dem Rat nicht vorgeworfen werden, dass er ein Verbot der Ausstrahlung von Inhalten bestimmter aus dem russischen Staatshaushalt finanzierter Medien für geeignete Maßnahmen als Reaktion auf die ernste Bedrohung des Friedens an den Grenzen der EU und auf die Verletzung des Völkerrechts halten könne, weil diese Medien die Aggression durch fortgesetzte und konzertierte Propagandamaßnahmen gegen die Zivilgesellschaft der EU und ihrer Nachbarländer unter schwerwiegender Verfälschung und Manipulation der Tatsachen unterstützten. In diesem Zusammenhang sei der Rat auf der Grundlage der Bestimmungen zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ebenfalls befugt gewesen, ein Verbot der Werbung für Produkte oder Dienstleistungen in Inhalten zu erlassen, die von den auf der fraglichen Sanktionsliste aufgeführten Medien produziert oder verbreitet wurden. Das EuG erkannte dabei das Ziel an, die EU und ihre Mitgliedstaaten vor Desinformations- und Destabilisierungskampagnen der unter der Kontrolle der russischen Führung stehenden Medien zu schützen, die vor dem Hintergrund der militärischen Aggression gegen die Ukraine die öffentliche Ordnung und Sicherheit der EU bedrohen. Da Propaganda- und Desinformationskampagnen die Grundlagen demokratischer Gesellschaften untergraben können und integraler Bestandteil des Arsenals moderner Kriegsführung sind, seien die fraglichen restriktiven Maßnahmen auch integraler Bestandteil der Verfolgung der ihr in Art. 3 Abs. 1 und 5 EUV zugewiesenen Ziele.
Das EuG betont in seinem Urteil, dass Zuständigkeiten der EU, einschließlich derjenigen im Bereich der GASP, nicht durch das Bestehen oder die Ausübung von Befugnissen, die einer Verwaltungsbehörde durch nationales Recht zugewiesen sind, ausgeschlossen oder davon abhängig gemacht werden. Die Zuständigkeit einer nationalen Verwaltungsbehörde zum Erlass von Sanktionen schließe daher die dem Rat übertragene Zuständigkeit zum Erlass restriktiver Maßnahmen, die die Ausstrahlung bestimmter Medieninhalte vorläufig und reversibel verbieten sollen, nicht per se aus. Die den nationalen Verwaltungsbehörden durch nationales Recht zugewiesene Zuständigkeit verfolge nicht dieselben Ziele, beruhe nicht auf denselben Prämissen oder Werten und könne nicht dieselben Ergebnisse garantieren wie ein einheitliches und sofortiges Eingreifen im gesamten Gebiet der EU, wie es iRd GASP möglich sei. Es sei zudem zu beachten, dass sich die angefochtenen Entscheidungen in ihrem verfügenden Teil an die Betreiber richten und ihnen die Ausstrahlung der Inhalte der auf der fraglichen Liste aufgeführten Unternehmen sowie die Werbung in von diesen Unternehmen produzierten oder ausgestrahlten Inhalten über jegliche Übertragungswege, einschließlich Kabel, Satellit, IP-TV, Internetdienstanbieter oder Internet-Video-Sharing-Plattformen oder -Anwendungen, ob neu oder vorinstalliert, untersagen. Da diese Verbote unabhängig vom Mitgliedstaat der Niederlassung der Betreiber und der Art der Ausstrahlung der Inhalte gelten, konnten die mit den angefochtenen Entscheidungen angestrebten Ergebnisse nicht durch die nationalen Regulierungsbehörden erreicht werden, da deren Zuständigkeit auf das jeweilige Staatsgebiet beschränkt ist und ein Eingreifen dieser Behörden daher nicht so wirksam sein könne wie eine allgemeine Maßnahme iRd GASP.
Was die grundrechtliche Dimension der Sanktionen betrifft, betont das EuG zunächst unter Hinweis auf die Judikatur des EGMR zu Art. 10 EMRK, dass auch der Schutz des Art. 11 GRCh nicht nur den Inhalt von Informationen, sondern auch die Verbreitungswege erfasse, da jede Einschränkung dieser Mittel zwangsläufig das Recht auf Empfang und Weitergabe von Informationen beeinträchtige. Selbst wenn das vorübergehende Verbot, zur Verbreitung von Inhalten der den fraglichen restriktiven Maßnahmen unterliegenden Medienunternehmen beizutragen, und das Verbot, in den von diesen Unternehmen verbreiteten Inhalten für Produkte oder Dienstleistungen zu werben, einen Eingriff in die Informationsfreiheit darstellen könnten, sei zu berücksichtigen, dass Art. 52 Abs. 1 GRCh Einschränkungen der Ausübung der in ihr verankerten Rechte zulasse. Die dabei zu beachtenden Voraussetzungen seien bei den streitgegenständlichen Rechtsakten erfüllt. Für Internetdienstanbieter, die die Verbreitung von Inhalten zur Unterstützung der militärischen Aggression der Russischen Föderation in der Ukraine ermöglichen, die im Fernsehen und Internet von vollständig aus dem russischen Staatshaushalt finanzierten Medien ausgestrahlt werden, sei vorhersehbar gewesen, dass sie Gegenstand restriktiver Maßnahmen sein könnten, die in einem Verbot der Verbreitung von Propagandatätigkeiten zur Unterstützung dieser Aggression bestehen, und dass daher jedem Betreiber ein Verbot der Verbreitung von Inhalten dieser Medien auferlegt werden könnte, „auch durch Übertragung oder Verbreitung auf beliebige Weise, beispielsweise über … Internetdienstanbieter“. Dies gelte insbesondere angesichts des weiten Ermessensspielraums des Rates beim Erlass restriktiver Maßnahmen und angesichts der wichtigen Rolle der Medien, insbesondere der audiovisuellen Medien, in der modernen Gesellschaft. Unter diesen Umständen sei davon auszugehen, dass die Voraussetzung, dass Einschränkungen der Meinungs- und Informationsfreiheit gesetzlich vorgesehen sein müssen, im vorliegenden Fall erfüllt ist.
Die inhaltliche und zeitliche Einschränkung der Sanktion beachte den Wesensgehalt der Meinungsfreiheit. Das von den Kl. vorgetragene Argument, die angeblich von ihnen zu treffende Filterung von Inhalten verursache einen hohen Arbeitsaufwand und hohe Kosten für sie, sei, selbst wenn dem so sei, für die Beurteilung eines Eingriffs in den Wesensgehalt des Informationsrechts irrelevant und könne allenfalls einen möglichen Verstoß gegen die unternehmerische Freiheit darstellen; einen solchen Verstoß haben die Kl. jedoch nicht geltend gemacht.
Die Sanktionsregelungen dienten zudem tatsächlich auch mehreren von der EU als solchen anerkannten Zielen des Gemeinwohls – u. a. dem in Art. 21 Abs. 2 lit. a EUV genannten Ziel, die Werte, die grundlegenden Interessen, die Sicherheit und die Integrität der EU zu schützen.
Schließlich seien die Sanktionsregelungen auch verhältnismäßig. Der von den Kl. geltend gemachte Umstand, dass die fraglichen restriktiven Maßnahmen ihren Zweck nicht erfüllen, da die Website der Zeitung „Russia Today“ weiterhin überall in der EU zugänglich sei, könne die Angemessenheit des fraglichen Sendeverbots nicht in Frage stellen. Mögliche Schwierigkeiten bei der Anwendung der angefochtenen Verordnungen könnten diese Maßnahmen nicht ungeeignet machen.
Um hinreichende Wirksamkeit zu entfalten und die mit den fraglichen restriktiven Maßnahmen angestrebten Wirkungen zu erzielen, mussten sich die fraglichen Verbote aus Sicht des EuG zwangsläufig auf alle Formen der Ausstrahlung beziehen, einschließlich der von Internetdienstanbietern, und konnten nicht, wie von den Kl. behauptet, auf die Bereiche Rundfunk und Video-on-Demand-Dienste beschränkt werden.
Die Bedeutung der mit den angefochtenen Verordnungen verfolgten Ziele, die sich in das umfassendere Ziel der Wahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit gemäß den in Art. 21 EUV verankerten Zielen des auswärtigen Handelns der EU einfügen, wögen schwerer als etwaige negative Folgen, selbst wenn sie erheblich sind, für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer, die für die Situation, die zum Erlass der restriktiven Maßnahmen geführt hat, nicht verantwortlich sind. Die Kl. seien iÜ lediglich verpflichtet, nicht zur Verbreitung von Inhalten von zahlenmäßig sehr begrenzten Medienunternehmen beizutragen. Die streitigen restriktiven Maßnahmen hinderten die Kl. daher nicht an der Ausübung ihrer Grundrechte, da sie den mit ihnen vertraglich verbundenen Internetnutzern Zugang zu allen anderen Inhalten gewähren dürften.
Weiterführende Links
Vgl. auch Etteldorf MMR-Aktuell 2024, 01496; Cole MMR-Aktuell 2023, 01179; MMR-Aktuell 2023, 457238 und MMR-Aktuell 2022, 449875.