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USA: Regulatorischer Endspurt der FCC - Netzneutralität, Chevron, KI und Robocalls

Dr. Axel Spies ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Morgan, Lewis & Bockius in Washington DC und Mitherausgeber der MMR.

MMR 2024, 827   Die US-Wahlen stehen vor der Türe und damit ggf. eine Umgestaltung der Federal Communications Commission (FCC), die von fünf Kommissaren als politisches Führungsgremium geleitet wird. Deshalb drückt die FCC-Leitung auf das Tempo. In der ersten Hälfte des Jahres 2024 gab es weitreichende Aktivitäten im TK-Bereich, da die FCC umstrittene Regeln zur Netzneutralität mehrheitlich verabschiedet hat und sich Herausforderungen im Bereich der KI und der nationalen Sicherheit stellen musste. Die FCC erfuhr auch neuen Gegenwind, da das oberste Gericht (US Supreme Court) den Ermessensspielraum der Bundesbehörden bei der Rechtsauslegung grundlegend beschnitten hat - mit erheblichen Konsequenzen für die Regulierungspraxis.

Und täglich grüßt die Netzneutralität

Das wichtigste Thema der FCC in 2024 ist und bleibt die Einstufung von Breitbandzugang als TK-Dienst unter Titel II des Communications Act, wodurch die Neutralitätsregeln gegen das Blockieren, Verlangsamen oder Priorisieren des Internetverkehrs wieder gelten würden (näher Spies MMR-Aktuell 2024, 01468). Am 25.4.2024 folgte die demokratische Mehrheit der FCC-Kommissare diesem Plan und verabschiedete die neuen Regeln, sah sich aber unmittelbar mit rechtlicher Gegenwehr konfrontiert. Zur Erinnerung: Fast sieben Jahre ist es her, dass die FCC unter der Leitung des von Präsident Trump ernannten FCC-Kommissars Paj die FCC-Regeln zur Netzneutralität gekippt hatte. FCC-Chefin Rosenworcel ergriff die Chance, sie wieder in Kraft zu setzen als 2023 ein dritter Demokrat als FCC-Kommissar bestätigt wurde. Interessant ist, dass die FCC diesmal besonders die nationale und öffentliche Sicherheit als Begründung für die Anwendung der Titel-II-Regeln anführte. Diese Argumentation hielt die Gegner nicht davon ab, Klagen einzureichen. Bislang mit einigem Erfolg: Ein Richtergremium des 6. Gerichtsbezirks gab am 1.8.2024 dem Antrag statt, die FCC-Regeln während des Berufungsverfahrens einstweilig nach Abwägung der Vor- und Nachteile auszusetzen.

Stärkere Einflussnahme der Gerichte wegen „Loper Bright“

Eine neuere Entscheidung des US Supreme Court könnte die neue Regelung zur Netzneutralität und der FCC allgemein anfälliger für rechtliche Anfechtungen machen (ausf. Spies MMR-Aktuell 2024, 01542): Der US Supreme Court hat am 28.6.2024 mit dem aufsehenerregenden Urteil Loper Bright vs. Raimondo die 40 Jahre alte Chevron-Doktrin aufgehoben, die den Bundesbehörden einen großen Ermessensspielraum bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe einräumt. Die Chevron-Doktrin war bis dato ein Grundpfeiler des US-Verwaltungsrechts und stand auch im Mittelpunkt des Brand X-Urteils von 2005 - der ersten Entscheidung des US Supreme Court zur Regelung von Breitbanddiensten als TK-Dienste.

Die Mehrheit der obersten Richter in der Rs. Loper Bright brandmarkt das Brand X-Urteil und die zugrunde liegende Chevron-Rechtsprechung dafür, dass es der FCC allzu freie Hand gelassen hätte. Das Urteil sei ein Beispiel für eine „ungerechtfertigte Instabilität des Gesetzes, die diejenigen, die versuchen, mit den Maßnahmen der Behörde zu planen, in einem ewigen Nebel der Unsicherheit zurücklässt.“ Nach diesem Schlag gegen Einschätzungsprärogative direkt ins Kontor der Bundesbehörden könnten auch neue oder anhängige Klagen gegen die FCC-Netzneutralitätsregeln bald von Erfolg gekrönt sein. Es wird erwartet, dass das Ende der Chevron-Doktrin auch wegweisend dafür wird, wie die FCC in Zukunft allgemein neue Regeln ausarbeitet. Die FCC hat sich in der Vergangenheit stark auf die Rechtsprechung in Sachen Chevron verlassen, um ihre Entscheidungen vor Gericht zu verteidigen. Nach Loper Bright liegt die Latte für die FCC höher. Einer der Richter beim US Supreme Court, Kavanaugh, hatte sich in einer abweichenden Meinung dezidiert gegen die Einstufung von Breitbanddiensten nach Titel II durch die FCC ausgesprochen als er noch Mitglied des Berufungsgerichts für den District of Columbia war.

KI rückt auch bei der FCC in den Mittelpunkt

Der Aufstieg von KI hat auch Auswirkungen auf das TK-Recht. FCC-Chefin Rosenworcel, die sich selbst als KI-Optimistin bezeichnet, hat 2024 viel Zeit der Bekämpfung der negativen Auswirkungen von KI gewidmet. So hat sich die Behörde mit den Auswirkungen der KI auf die Wahlen befasst, indem sie prompt auf gefälschte Telefonanrufe reagierte, bei denen eine KI-generierte Version der Stimme von Präsident Biden verwendet wurde, um Personen von der Stimmabgabe bei den Vorwahlen in New Hampshire abzuhalten. Die FCC entschied, dass KI-generierte Stimmen unter das Verbot des Telephone Consumer Protection Act (TCPA) fallen. Es dauerte nicht lange, bis die FCC die Grundlagen für mögliche neue Regeln schuf, die die Offenlegung von KI-generierten Inhalten in politischen Radio- und Fernsehspots vorschreiben - ein Schritt, der bei den Republikanern für erhebliche Empörung sorgte. Allerdings muss dieser Plan noch von der gesamten FCC-Kommission formell gebilligt werden - was vor den US-Wahlen im November 2024 eher illusorisch ist. Stattdessen müssen sich die Werbetreibenden mit den zahlreichen einzelstaatlichen Gesetzen zu KI und politischer Werbung auseinandersetzen, die zT divergieren.

Tauziehen um Breitbandsubventionen geht weiter

Die Regierung Biden ist sehr daran interessiert, den Ausbau des Internets voranzutreiben, um die digitale Kluft in den USA zu verringern. Der US-Kongress hat vor drei Jahren iRd Infrastructure Investment and Jobs Act Milliarden US-Dollar bereitgestellt, um Lücken im Breitbanddienst zu schließen. Das Programm wird vom Handelsministerium unter dem Namen Broadband Equity, Access and Deployment (BEAD) umgesetzt. Die National Telecommunications and Information Administration (NTIA) hat damit begonnen, die Pläne der Bundesstaaten für die Verteilung der Gelder zu genehmigen, wurde aber im Capitol und von den Republikanern in der FCC heftig für das langsame Tempo und angeblich zu restriktiven Regeln kritisiert. Die NTIA meint, dass ihre Regeln den rechtlichen Anforderungen des Gesetzes für die Vergabe von Mitteln entsprechen (s. zu BEAD näher Spies MMR 2022, 1). Gleichzeitig drängen Verbraucherschützer den Kongress, eine beliebte Subvention zu verlängern, die Familien mit geringem Einkommen bei der Bezahlung von Internetdiensten hilft: das Affordable Connec-_£tivity Program (ACP). Bis dato hat der US-Gesetzgeber noch nicht gehandelt, um das ACP erneut zu finanzieren. Die Befürworter hatten ihre Hoffnungen auf ein größeres Gesetzespaket gesetzt, das eine ganze Reihe von TK-Beihilfen auf einmal bereitstellen würde, darunter auch Mittel für das auch in Europa bekannte „Rip and Replace“ - das Ersetzen riskanter chinesischer Netzwerkausrüstungen - und die Aufrüstung der Notrufsysteme (911) des Landes mit neuer Technologie. Die Senatoren haben auf parteiübergreifender Basis versucht, diesen Finanzierungsbedarf mit einer Erneuerung der Frequenzversteigerungsbefugnis der FCC zu verknüpfen, aber ein von den Demokraten ausgearbeitetes Gesetzespaket ist trotz mehrerer Anläufe bislang nicht über den Handelsausschuss im Kongress hinausgekommen.

Robocalls - mehr als ein Ärgernis für Verbraucher

Die bestehenden Maßnahmen für die Eindämmung von für die Verbraucher unerwünschten und für Verbraucher lästigen Robocalls wurden schon an anderer Stelle genauer dargestellt (vgl. Spies MMR-Aktuell 2024, 01314). Die FCC hat zB Werbeanrufe mit geklonten Stimmen verboten. Wichtig ist zB auch für ausländische TK-Anbieter die Eintragung (sofern erforderlich) in eine besondere FCC-Datenbasis. Auf ihrer Sitzung im August 2024 hat die FCC einstimmig eine Notice of Proposed Rulemaking (NPRM) verabschiedet, die die „Effektivität“ der Robocall Mitigation Database (RMD) der Behörde als Instrument zur Einhaltung von Vorschriften und zum Verbraucherschutz verbessern soll. Die FCC ist besorgt über die Integrität des RMD-Systems und die Sorgfalt, mit der die Anbieter vor der Einreichung von Zertifizierungen in die Datenbank vorgehen, da die RMD-Meldepflicht für alle Anbieter gilt, die mit dem Sprachverkehr in Berührung kommen oder Sprachdienste für Kunden als Wiederverkäufer anbieten. Vermutlich wird die FCC bald Strafen für ungenaue oder falsche RMD-Zertifizierungsdaten einführen. Sehr wahrscheinlich sind auch neue Regeln, um Anrufe von Anbietern zu blockieren, deren RMD-Zertifizierungen „offensichtlich fehlerhaft“ sind.

Weiter rechtliche Auseinandersetzungen in Hülle und Fülle

Die US-Aufsichtsbehörden im TK-Sektor müssen sich nicht nur weiterhin mit Lücken in der Bereitstellung und Fragen der öffentlichen Sicherheit auseinandersetzen, sondern sehen sich auch einer Flut von Klagen ausgesetzt. Interessengruppen und Industrievertreter werden vermutlich eher bereit sein, FCC-Entscheidungen vor Gericht zu bringen, von denen sie bislang wegen der Chevron-Doktrin Abstand genommen hätten. Neben dem Kampf um die Netzneutralität gibt es ein Sammelsurium von Klagen im 8. Gerichtsbezirk gegen die Regeln der Behörde zur Bekämpfung der digitalen Diskriminierung. Aber auch andere Kontroversen lieferten reichlich Futter für juristische Auseinandersetzungen: die Durchsetzung neuer Regeln gegen die vermeintliche Diskriminierung beim Breitbandausbau, neue Regeln zugunsten der Mieter für die Aufteilung der Kabelgebühren in Mietshäusern usw. Ende Juli 2024 erklärte das Berufungsgericht des Fünften Gerichtsbezirks den hoch defizitären Universaldienstfonds (Spies MMR-Aktuell 2021, 444021) für verfassungswidrig und stellte damit die Zukunft der FCC-Subventionen für ländliche und einkommensschwache Verbraucher durch diesen Fonds in Frage. Einige Rundfunkanstalten klagen ihrerseits weiter gegen die strengeren Regeln zum Medienbesitz, die die FCC Ende 2023 verabschiedet hat. An der Klageflut wird auch ein Regierungswechsel in Washington kaum etwas ändern - egal, wer bei der FCC im kommenden Jahr das Sagen hat.

Washington DC, im Oktober 2024

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