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Erfahrungsbericht JA 5/2025

Von RA Prof. Dr. Andreas Gran, LL.M. | Apr 15, 2025

Erforderliche Verknüpfung von wirtschaftlichem und rechtlichem Wissen – Erfahrungen nach empirischer Umfrage zu Rechtskenntnissen bei Wirtschaftsunternehmen

A. Einleitung

Im Jahr 2022 belegte eine Untersuchung des Verfassers dieses Erfahrungsberichts signifikante Defizite bei den Rechtskenntnissen in der Bevölkerung. Bei einem Großteil der 20 seinerzeit gestellten Fragen zu Standardproblemen beim BGB (unter anderem Stellvertretung, Anfechtung, Geschäftsfähigkeit, Gewährleistung, Haftung) waren die Antworten der juristischen Laien »falsch«, beispielsweise hinsichtlich der Unverbindlichkeit einer invitatio ad offerendum oder der grundsätzlichen Formfreiheit von Verträgen. Unser freiheitliches Ideal der Privatautonomie leidet darunter. Im damaligen Erfahrungsbericht wurde deshalb bereits auf die erforderliche juristische Breitenbildung und auf didaktische Herausforderungen hingewiesen (JA 12/2022, IV–VI).

Vor diesem Hintergrund wurde nun eine weitere empirische Untersuchung durchgeführt, deren Schwerpunkt diesmal allerdings nicht das BGB, sondern das HGB war. Zugleich wurden rechtliche Aspekte bei grenzüberschreitenden Geschäftskontakten betrachtet. Die detaillierten Zahlen der Umfrage sowie eine genauere Analyse werden gesondert publiziert, doch hier soll Studierenden der Rechtswissenschaften anschaulich vor Augen geführt werden, welche juristischen Kenntnisse im Wirtschaftsleben offensichtlich unzulänglich verbreitet sind und welche beruflichen Herausforderungen und Perspektiven sich daraus ergeben.

B. Umfrage

Auch diesmal wurden 20 Fragen per Link übermittelt, die mit »ja«, »nein« oder »unbekannt« beantwortet werden konnten. Bewusst wurden die Fragen prägnant formuliert, um die Komplexität zu reduzieren und Gegenfragen entbehrlich zu machen. Thematisch wurden die klassischen Bereiche des Handelsrechts, wie auch einige Gegebenheiten des internationalen Rechts abgefragt. Die Befragten waren Mitarbeitende bei Wirtschaftsunternehmen, die berufsbedingt mit kaufmännischen Aspekten befasst sind, aber keine rechtswissenschaftliche Ausbildung hatten. An der Umfrage beteiligten sich ausweislich der Datenerfassung nahezu 600 Personen, wobei allerdings der weit überwiegende Teil die Beantwortung der Fragen vorzeitig abbrach. Komplett beantwortet hat nur etwa ein Drittel der Personen die gestellten Fragen. Dem Rest schien die Befassung mit der rechtlichen Materie (zu) schwer zu fallen. Dies zeigt bereits die unzulängliche Verknüpfung zwischen rechtlichem Wissen und wirtschaftlichem Handeln bei Unternehmen.

C. Fehlende Kenntnisse vom HGB

Unser »Sonderrecht der Kaufleute« wurde explizit im Jahr 1900 geschaffen, um den Besonderheiten des Handels zu entsprechen (unter anderem Schnelligkeit, Vertrauensschutz, Gewinnstreben). Es ist jedoch Mitarbeitenden in Wirtschaftsunternehmen zu unbekannt. Einige Vorgaben scheinen nicht mit dem Rechtsverständnis juristischer Laien im Einklang zu sein, obwohl sie beruflich damit befasst sind. Wie bereits 2022 waren die empirischen Erkenntnisse aus juristischer Sicht signifikant und aufschlussreich, da eindeutig ein Grundverständnis fehlt. Im Einzelnen:

■ Dass das HGB den Vertragsabschluss als solchen nicht regelt, sondern gegebenenfalls das BGB, erkannte nur etwa die Hälfte der Antwortenden.

■ Dass das HGB bei internationalen Verträgen für Privatpersonen grundsätzlich nicht relevant ist, erkannte ebenfalls nur etwa die Hälfte.

■ Dass nicht alle Warenhändler dem HGB unterliegen (nämlich keine Kleingewerbetreibenden), erkannte abermals lediglich etwa die Hälfte.

■ Dass die Namenswahl (Firmierung) eines Unternehmens nicht frei erfolgen kann, wusste zumindest mehr als zwei Drittel.

■ Dass ein Prokurist trotz Verbots durch die Gesellschafter verbindlich Verträge abschließen kann (Innen- und Außenverhältnis), wusste weniger als die Hälfte.

■ Dass das Handelsregister einsehbar ist (Publizität), war weniger als der Hälfte klar.

■ Dass ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben bindend sein kann, wusste ebenfalls weniger als die Hälfte.

■ Dass ein Auftrag durch einseitige Unterstellung entstehen kann (Schweigen im Geschäftsverkehr), wusste mehr als die Hälfte.

■ Dass Unternehmen bei mangelhafter Ware nicht immer 14 Tage Zeit zur Reklamation haben (Rügeobliegenheit), wusste etwa die Hälfte.

■ Dass Jahresabschlüsse (Handelsbriefe) gegebenenfalls länger als fünf Jahre aufgehoben werden müssen, erkannten mehr als zwei Drittel der Befragten.

■ Dass Kaufleute Anspruch auf höhere Verzugszinsen haben, wusste deutlich weniger als die Hälfte.

■ Dass eine Handelsvertretung gegebenenfalls Abfindung (Handelsvertreterausgleichsanspruch) verlangen kann, wusste etwa weniger als die Hälfte.

■ Dass Forderungsabtretungen nach den HGB nicht untersagt werden können (kaufmännisches Abtretungsverbot) wusste nur etwa ein Viertel.

■ Dass Geschäftsführer einer OHG Geschäftsanteile besitzen müssen (Verbot der Fremdorganschaft), erkannte weniger als die Hälfte.

■ Dass Richterinnen und Richter bei den Kammern für Handelssachen (Handelsrichterinnen und Handelsrichter) zwar wirtschaftlichen Sachverstand, aber keine juristische Ausbildung haben müssen, erkannte weniger als die Hälfte. Durch die unzulängliche Bekanntheit solcher HGB-Vorgaben in der Wirtschaft, erreicht es den Zweck der Regulierung und Befriedigung nicht.

D. Fehlende Internationalität

Da unsere Wirtschaft infolge der Globalisierung international weitgehend vernetzt ist, wurde nicht nur die Kenntnis von HGB betrachtet. Auch vor dem Hintergrund zunehmender Handelskonflikte und der leicht abgeschwächten deutschen Wirtschaftskraft sollten diese Gesichtspunkte analysiert werden. Diverse Fragen bezogen sich dabei ergänzend auf typische internationale Rechtsthemen, wie die Möglichkeit der Rechtswahl nach der sog. Rom-Verordnung und die Möglichkeit der Gerichtsstandvereinbarung nach der sog. Brüssel- Verordnung, jeweils also auch EU-Recht in Zeiten zunehmender Relevanz unseres Binnenmarktes. Weitere rechtliche Besonderheiten bei grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeit wurden überdies beleuchtet, im Einzelnen:

■ Dass ein ausländisches Gericht das deutsche HGB auch ohne Rechtswahl nach den Vorgaben des EU-Kollisionsrechts (Conflict of Laws) anwenden kann, wusste nur etwa ein Viertel.

■ Dass Kaufleute die Unzuständigkeit eines ansonsten zuständigen Gerichts vereinbaren können (Derogation), wusste nur knapp ein Drittel. Der Rest hat unklare Vorstellungen über Gerichtsstandvereinbarungen.

■ Dass die »Incoterms« nur Empfehlungen der Internationalen Handelskammer sind, aber nicht verwendet werden müssen, um das Transportrisiko zu regeln, war weniger als der Hälfte bekannt.

■ Dass Allgemeine Geschäftsbedingungen im internationalen Handel eher wirksam sein können, weil das deutsche AGB-Recht verhältnismäßig streng ist, erkannte etwa die Hälfte.

■ Dass UN-Kaufrecht (CISG, Wiener Abkommen) vertraglich ausgeschlossen werden kann, wusste deutlich weniger als die Hälfte.

Durch die angesichts der Studie zu vermutende Unkenntnis in weiten Teilen der deutschen Wirtschaft, ist ein klarer Wettbewerbsnachteil naheliegend. Durch Defizite insbesondere bei der Gestaltungsfreiheit bleiben die Möglichkeiten der Privatautonomie auch bei Auslandsbezug zu weitgehend ungenutzt.

E. Anregungen zur Wissensverknüpfung

Die dargestellte Umfrage indiziert eindeutig, wie schwer es offenbar juristischen Laien fällt, sich intensiver mit rechtlichen Themen zu befassen. Jura ist der Bevölkerung, aber auch den Arbeitnehmenden, im Wesentlichen fremd. Dies ist eine Chance für künftige Generationen von Studierenden der Rechtswissenschaften, wobei im Fokus stehen muss, den Bedarf an Rechtskenntnissen in Gesellschaft und Wirtschaft einschätzen zu können. Dazu soll dieser Erfahrungsbericht ein wenig beitragen, denn Rechtswissenschaft ist nicht akademischer Selbstzweck. Sie muss vielmehr immer auch faktischen Nutzen in Praxis und Alltag der Unternehmen und Menschen bewirken. Defizite und Verbesserungspotenziale lassen sich so skizzieren:

I. Rechtsbildung in Schulen

Bekanntermaßen bietet unser Schulsystem keine ausreichende Grundlage für juristisches Basiswissen. Während unsere Schülerinnen und Schüler beispielsweise in diversen Naturwissenschaften Dinge intensiv lernen, deren Nutzen im späteren Leben – vorsichtig ausgedrückt – fragwürdig ist, verschafft ihnen die Schulbildung keinen Sockel an Rechtskenntnissen, obwohl dieser immens wichtig ist. Zumindest wurden wirtschaftliche Inhalte in Lehrplänen aufgenommen, denn ein Grundwissen in wirtschaftlicher Hinsicht ist gewiss hilfreich, nicht zuletzt für die Teilhabe junger Menschen im Konsumgeschehen. Es kommt hinzu, dass zumindest einige Bundesländer – mit dankenswerter Unterstützung durch die Richterschaft – das Fach »Rechtskunde« zur Ergänzung des Lehrstoffes aufgenommen haben. Allerdings fehlt es deutschlandweit neben dem ohnehin eklatanten Lehrkräftemangel an juristisch qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern, da das Pädagogikstudium Recht allenfalls »in eigener Sache«, also in Gestalt des Schuldrechts, mit einfließen lässt. Fazit: Für angehende Juristinnen und Juristen kann auch der Lehrberuf perspektivisch eine reizvolle Tätigkeit sein, sofern es endlich gelingt, Recht breiter als bislang zu vermitteln, auch durch eine praxisnahe Sprache, die junge Menschen erreicht.

II. Rechtsbildung im kaufmännischen Bereich

Juristische Lehrinhalte finden sich zumindest bei den klassischen Ausbildungsberufen im Handel. Anscheinend ist aber die Effizienz dieser Wissensvermittlung dort außerhalb der Hochschulen nicht hoch. Zwar gibt es Berufslehrerinnen und Berufslehrer, aber deren Zugang zu rechtlicher Materie ist nicht allzu intensiv. Auch hier werden sich künftig Perspektiven für junge Juristinnen und Juristen ergeben. Es bietet sich konkret der Austausch mit den Industrie- und Handelskammern an sowie mit allen berufsvorbereitenden Bildungseinrichtungen.

III. Fehlender Wirtschaftsbezug des klassischen Jurastudiums

Traditionell fehlt es dem universitären Jurastudium an wirtschaftlichem Bezug. Zwar sind die HGB-Lehrveranstaltungen und diejenigen der Bereiche des sog. Wirtschaftsrechts, also unter anderem gewerblicher Rechtsschutz sowie Urheber-, Gesellschafts-, Wettbewerbs- und Steuerrecht wichtig, aber nicht mit wirtschaftlichem Wissen vergleichbar. Dies umfasst nämlich unter anderem Marketing, Controlling, Statistik, Produktion, Finanzierung, also Vieles, von dem nach dem Ersten Juristischen Staatsexamen junge Assessorinnen und Assessoren kaum Kenntnis haben, selbst dann nicht, wenn sie in den großen Wirtschaftskanzleien bereitend eingebunden werden. Es zeigt sich insbesondere, dass der Wissenstransfer aus den juristischen Fakultäten heraus die Mitarbeitenden bei Wirtschaftsunternehmen nicht in ausreichendem Maße zu erreichen scheint. Ursache hierfür ist, dass die Vernetzung der wirtschaftswissenschaftlichen und der rechtswissenschaftlichen Fakultät zumindest in der Vergangenheit nicht optimal war, nicht zuletzt wegen der stark unterschiedlichen Notenniveaus. Hier muss der Austausch der Wirtschafts- und der Rechtslehrenden vertieft werden.

IV. Nutzen der Studiengänge LL.B. und LL.M.

Vor diesem Hintergrund der unzulänglichen Wissensvermittlung in Schulen und Berufsschulen ist zumindest erfreulich, dass diverse Universitäten, aber auch insbesondere die Fachhochschulen bzw. Universities of Applied Sciences das Studienprogramm um den Bachelor of Law LL.B. und den Master of Law LL.M. erweitert haben. Dabei bieten insbesondere Bachelor-Studiengänge eine sinnvolle Erweiterung klassischer Rechtsbildung, beispielsweise beim »Business Law« als Kombination aus rechtlicher und wirtschaftlicher Basiswissensvermittlung auf akademischem Niveau, insbesondere bei sinnvoller Aufstockung des Praxisbezugs gegenüber der Theorie. Der zentrale Vorteil liegt in der Verknüpfung von rechtlichen und wirtschaftlichen Kenntnissen.

V. Einbindung der Rechtsanwaltschaft

Wie bereits zur Erweiterung der Bürgernähe des BGB könnten HGB-Kenntnisse mithilfe der Rechtsanwaltschaft stärker in Unternehmen gelangen. Durch das Rechtsdienstleistungsgesetz ist dafür eine Grundlage gegeben und als »Organ der Rechtspflege« ist es auch gesellschaftliche Verantwortung der Kolleginnen und Kollegen, an den Universitäten erlangtes Wissen zu vermitteln. Allein: Durch den Einkommensdruck kann kaum verlangt werden, dass ehrenamtlich Pädagogik über das bisherige Maß an Mandantenseminaren usw betrieben wird, denn das Kerngeschäft ist nicht der kollektive, sondern der individuelle Kenntnistransfer gegen Honorar. Deshalb ruht die Hoffnung auf Unterstützung der Wirtschaft hin zu mehr Rechtskompetenz eher auf pädagogischer Motivation der Studienabsolventinnen und Studienabsolventen außerhalb der Rechtsanwaltschaft, zumindest teilweise als Nebentätigkeit.

F. Zusammenfassung

Die Mitarbeitenden in unserer Wirtschaft müssen stärkeren Zugang zum Rechtswissen erhalten. Wirtschaft und Recht sind vollkommen unzulänglich verknüpft und es kann nicht allein Aufgabe hochspezialisierter Großkanzleien sein, fundamentales Verständnis von kaufmännischen Vorgaben, Handelsregister, Prokura usw, wie auch von Gerichtsstandvereinbarungen, Rechtswahl usw zu verbreiten. Hierzu ist vielmehr perspektivisch sinnvoll, dass Absolvierende der rechtswissenschaftlichen Fakultäten sich an der Wissensvermittlung in die Wirtschaft beteiligen, an Schulen und Berufsschulen, mit Lehraufträgen im Hochschulbereich oder in sonstigen Institutionen und Verbänden. Kurzum: Eine rechtliche Bildung ist in der deutschen Wirtschaft dringend geboten, was die empirische Untersuchung veranschaulicht hat.

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