Von
Dr. Enno Mensching, Maître en Droit | Aug 19, 2024
Zwischen Recht und Diplomatie: Als Nachwuchsjurist zu internationalen Organisationen – Ein Erfahrungsbericht am Beispiel von NATO, UN und EU
I. Einleitung
Nachwuchsjuristen scheint es häufig nicht bewusst zu sein, dass bereits im Zuge des Studiums oder des Referendariats vielfältige Möglichkeiten bestehen, Arbeitserfahrungen bei internationalen Organisationen zu sammeln. Doch sollten sich gerade politik- und völkerrechtlich interessierte Studenten und Referendare eine solche Gelegenheit keineswegs entgehen lassen, wenn sie schon früh einen Blick über den juristischen Tellerrand wagen und die Luft der internationalen Diplomatie schnuppern wollen. Mit diesem Beitrag möchte ich jenen, die sich für Auslandseinsätze im Rahmen von Praktika oder Referendarstationen interessieren, einen beispielhaften Überblick zu den möglichen Tätigkeiten während oder zwischen den juristischen Ausbildungsstationen bei internationalen Organisationen geben. Hierfür teile ich meine Erfahrungen aus den Tätigkeiten bei der NATO, der UN und der EU, um Nachwuchsjuristen in Hinblick auf die eigene Gestaltung ihres Ausbildungsweges zu inspirieren.
Dabei soll deutlich werden, dass sich viele Wege bieten, bei internationalen Organisationen zu arbeiten – nicht nur in einer internationalen Organisation selbst, sondern auch in Vertretungen der Mitgliedstaaten bei einer solchen Organisation oder in unabhängigen Organen derselben. Zu jedem dieser Wege gewähre ich im Folgenden einen beispielhaften Einblick: zunächst zur praktischen Erfahrung in einer Rechtsabteilung der NATO, nachfolgend zur Arbeit bei einer Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen und zuletzt zur Tätigkeit in einem Kabinett des Gerichts bzw. Gerichtshofs der Europäischen Union.
(Dieser Beitrag enthält ausschließlich der Öffentlichkeit zugängliche Informationen. Es werden keine Informationen geteilt, die den Inhalt der Tätigkeit betreffen und entsprechenden Geheimhaltungsvereinbarungen unterliegen.)
II. Im Dienst der internationalen Sicherheit: Meine Erfahrung bei der NATO
Zum Ende meiner Promotionszeit und noch vor dem Einstieg in das Referendariat zog es mich in das NATO-Hauptquartier nach Brüssel. Dort nahm ich am offiziellen Praktikantenprogramm der NATO teil und arbeitete für sechs Monate in der Rechtsabteilung des Internationalen Militärstabes.
Der lohnenswerte Weg dorthin verlangte Geduld und war von vielen Unsicherheiten geprägt. Nachdem das Bewerbungsverfahren schon mehr als ein halbes Jahr in Anspruch genommen hatte, musste mein Arbeitsbeginn aufgrund von Corona-Schutzmaßnahmen und des langen Wartens auf die vorzunehmende Sicherheitsüberprüfung wiederholt nach hinten verschoben werden. Dies führte dazu, dass zwischen Bewerbung und erstem Arbeitstag fast zwei Jahre vergingen. Da ich während dieser langen Phase der Ungewissheit jedoch das Manuskript meiner Doktorarbeit fertigstellte, hatte ich das große Glück, diese Zeit produktiv nutzen zu können. Aufgrund dieser Erfahrung empfehle ich jedem, der sich für ein Praktikum bei einer internationalen Organisation wie der NATO interessiert, schon frühzeitig in die Planung zu gehen und sich auf eine nicht unwesentliche Wartezeit nach Absenden der Bewerbungsunterlagen einzustellen.
Die Stellen im Rahmen des offiziellen Praktikantenprogramms der NATO werden einmal im Jahr für das jeweils nachfolgende Jahr ausgeschrieben. Die Bewerbung erfolgt über die Karriere-Website und richtet sich auf die konkret ausgeschriebene Stelle der jeweiligen Abteilung. Praktikumsstellen sind – wie grundsätzliche jede Position bei internationalen Organisationen – hart umkämpft und unterliegen einem sehr kompetitiven Auswahlverfahren. Schließlich konkurriert man nicht nur mit den Bewerbern aus Deutschland, sondern auch mit Bewerbern aus allen anderen Mitgliedstaaten um die jeweilige Stelle(n). So waren es über 7.000 eingegangene Bewerbungen und nur 60 Praktikumsstellen, die in meinem Jahr vergeben wurden. Alternativ ist es möglich, sich über das DAAD-finanzierte Carlo-Schmid-Programm zu bewerben, im Rahmen dessen die Bezahlung durch das Programm und nicht durch die NATO selbst erfolgt.
Aufgrund meines völkerrechtlichen Interesses, das sich zu diesem Zeitpunkt sowohl in meinem Schwerpunkt- und Masterstudium als auch in meiner Doktorarbeit zur historischen Entwicklung des Luftkriegsrechts äußerte, bewarb ich mich für ein sechsmonatiges Praktikum in einer Rechtsabteilung des NATO-Hauptquartiers. Nach Abschluss des aufwändigen Bewerbungsverfahrens durfte ich sodann die Rechtabteilung des Internationalen Militärstabes unterstützen, die zur Aufgabe hat, den Internationalen Militärstab (International Military Staff) sowie den Militärausschuss (Military Committee) in allen rechtlichen Fragen und Angelegenheiten zu beraten. Meine Aufgaben bestanden darin, mein Team bei der Durchführung von Rechtsrecherchen und der Erstellung von Rechtsgutachten im Bereich des Völkerrechts, insbesondere im Humanitären Völkerrecht, zu assistieren. Dabei spielten die rechtlichen Auswirkungen von NATO-Missionen und -Operationen sowie die Einsatzpläne und -regeln im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten eine maßgebliche Rolle. Außerdem durfte ich juristische Beiträge zu aktuellen rechtlichen Fragen entwerfen und Hintergrundpapiere für Sitzungen mit anderen (Rechts-)Abteilungen der NATO vorbereiten. Darüber hinaus saß ich fast täglich mit Kollegen oder stellvertretend für die Abteilung in Besprechungen des Militärstabes, führte Protokoll und berichtete anschließend an meine Vorgesetzten.
Aufgrund des schnelllebigen Umfelds, der spannenden rechtlichen und politischen Fragen sowie des Teamgeists zwischen den Mitarbeitern und Praktikanten stellte die Zeit bei der NATO eine sowohl persönliche als auch fachliche Bereicherung für mich dar. Gerade aus völkerrechtlicher Perspektive war es nach der Promotionsphase spannend zu sehen, welche Rolle das Recht in der täglichen Arbeitspraxis einer internationalen Organisation wie der NATO einnimmt. Aber auch die Freizeit ließ sich mit in Brüssel und den umliegenden belgischen Städten (Gent, Brügge, Löwen, Antwerpen) vielfältig gestalten, weshalb der Abschied entsprechend schwerfiel.
III. Globale Herausforderungen meistern: Meine Erfahrung bei der UN
Neben der Tätigkeit für die Internationale Organisation selbst ist auch ein Einsatz als Nachwuchsjurist in der Vertretung eines Mitgliedstaates bei einer internationalen Organisation möglich. Die Tätigkeit an einer Auslandsvertretung unterscheidet sich insofern, als es um die Vertretung der Interessen eines Landes im Rahmen der Verhandlungen der jeweiligen Organisation geht. Dies gewährt einen durchaus noch tieferen Einblick in den Arbeits- und Verhandlungsalltag eines Diplomaten. Für Studenten und Referendare bietet sich hierfür ein Praktikum oder eine Verwaltungs- bzw. Wahlstation bei einer Auslandsvertretung des Auswärtigen Amtes an. Ich selbst habe meine dreimonatige Verwaltungsstation bei der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen in New York City (USA) absolviert.
Mit dem Bewerbungsprozess sollte mindestens sieben Monate vor Beginn des jeweiligen Praktikums oder der Referendarstation über die offizielle AA-Website begonnen werden. Wichtig ist dabei die Angabe der priorisierten Einsatzorte. Im Rahmen der Bewerbung ist zu empfehlen, seine Sprach- und Rechtskenntnisse sowie Erfahrungen im internationalen Kontext herauszustellen. Aufgrund meines völkerrechtlichen Interesses stellte die deutsche Vertretung bei den Vereinten Nationen ein Traumziel für mich dar. Umso erfreulicher war es, als ich erfuhr, dass ich die drei Monate meiner Verwaltungsstation bei der »StÄV« in New York City verbringen durfte. Die Beantragung des US-Visums über das Auswärtige Amt war schnell erledigt und dank früher Planung verlief auch die Wohnungssuche unkomplizierter als gedacht – fündig geworden bin ich im Kolping House an der Upper East Side, in dem auch viele andere Deutsche, insbesondere Referendare, untergebracht waren.
Bei der Ständigen Vertretung – die am East River gegenüber dem VN-Hauptquartier verortet ist – wurde ich der Wirtschaftsabteilung und der deutschen Delegation für den fünften Ausschuss der VN-Generalversammlung (Haushalt und Verwaltung) zugewiesen. Das Team setzte sich aus Diplomaten des Auswärtigen Amtes und aus Abgeordneten anderer Bundesministerien zusammen. Meine Hauptaufgaben umfassten vor allem die Teilnahme an Sitzungen der Generalversammlung einschließlich der begleitenden Berichterstattung nach Berlin und der Mitarbeit an Diplomatischen Korrespondenzen. Im fünften Ausschuss – der sich zu diesem Zeitpunkt in den sog. Main Sessions befand – wurde mir die Ehre zuteil, die Resolutionsverhandlungen zu bestimmten Themen eigenständig zu betreuen. Ich durfte somit an manchen Tagen alleine hinter dem »Germany«-Schild sitzen, Protokoll führen, Fragen stellen sowie im Anschluss an mein Team und nach Berlin berichten.
Je nach Einsatzbereich konnte der Arbeitsalltag der Referendare und Praktikanten allerdings unterschiedlich aussehen. Dabei war die Arbeitsbelastung zwischen den Referaten eher ungleich verteilt und schwankte zwischen Hoch- und Tiefphasen, wie es für die Arbeit bei einer internationalen Organisation üblich ist. Daneben wurden im »Deutschen Haus« regelmäßig interne Meetings auf verschiedenen Abteilungsebenen abgehalten. Zugleich fanden regelmäßig Veranstaltungen unter Mithilfe von Praktikanten und Referendaren statt, die Abwechslung neben dem gewöhnlichen Arbeitsalltag boten. Abseits dieser spannenden Zeit an der Ständigen Vertretung suchte auch das abwechslungsreiche (wenngleich kostspielige) Leben in New York seinesgleichen, insbesondere was das kulturelle Programm und die sonstigen Freizeitaktivitäten in und um Manhattan angeht.
Somit waren die drei Monate an der Ständigen Vertretung eine unvergessliche Zeit, in der ich viel über das Leben als Diplomat erfahren und die Arbeit bei einer Auslandsvertretung des Auswärtigen Amtes sowie der Vereinten Nationen gelernt habe. Ich kann daher jedem nur ans Herz legen, sich für ein Praktikum während des Studiums oder eine Station im Referendariat bei einer Vertretung des Auswärtigen Amtes zu bewerben. New York ist dabei sicherlich nicht der einzig interessante und lohnenswerte Standort auf der Welt.
IV. Rechtsprechung für Europa: Meine Erfahrung am Gerichtshof der EU
Eine weitere Option, als Nachwuchsjurist im Rahmen einer internationalen bzw. supranationalen Organisation Erfahrung zu sammeln, ist die Tätigkeit für ein (unabhängiges) Organ derselben. So zog es mich für die Wahlstation im Referendariat zuletzt zum Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg, dem obersten Rechtsprechungsorgan der EU. Genau genommen war ich für drei Monate am Gericht der Europäischen Union (EuG, vormals »Gericht erster Instanz«) im Kabinett des deutschen Richters Johannes Laitenberger tätig. Das EuG ist dem EuGH nachgeordnet und beschäftigt sich vor allem mit Nichtigkeitsklagen seitens natürlicher oder juristischer Personen. EuG und EuGH bilden gemeinsam den »Gerichtshof«, der auf dem Luxemburger Kirchberg-Plateau neben anderen europäischen Institutionen, wie Teilen des EU-Parlaments oder der EU-Kommission sowie dem Rechnungshof, der Europäischen Investitionsbank oder Eurostat, verortet ist.
Die Bewerbung ist – außerhalb des regulären Praktikantenprogramms des Gerichtshofs – unmittelbar an das jeweilige Kabinett zu richten. Der Bewerbungsprozess samt Vorstellungsgespräch verlief in meinem Fall recht zügig und unkompliziert. Vor Ort wurde ich unmittelbar mit den Aspekten der Arbeit eines Richters und des Richterkabinetts vertraut gemacht. Hierzu gehörte die Arbeit an aktuellen Fällen, die Teilnahme an Besprechungen des Kabinetts und der Besuch von Gerichtsverhandlungen am EuG. Inhaltlich war ich insbesondere an der Bearbeitung von Rechtssachen in wettbewerbsrechtlichen, dienstrechtlichen und vergaberechtlichen Verfahren beteiligt, bei denen Richter Laitenberger als Berichterstatter fungierte. Der intensive Einbezug in den täglichen Geschäftsgang des Kabinetts hat mir dabei einen tiefgehenden Einblick in die Arbeitspraxis des Gerichts, dh des Richters sowie seiner Referenten und Assistenten, ermöglicht.
Für die Arbeit am Gericht sollten ein ausgeprägtes Interesse für das Europarecht mit all seinen Facetten bestehen sowie gute Französisch- Kenntnisse mitgebracht werden. Denn nicht etwa Englisch, sondern Französisch ist Arbeitssprache am Gericht, wenngleich dies in den einzelnen Kabinetten variieren kann. In meinem Fall konnte ich an mein Masterstudium im südfranzösischen Aix-en-Provence im internationalen und europäischen Recht (Maître en Droit international et européen) anknüpfen. Die Belegschaft am Gerichtshof ist daher vor allem frankophon (dh französisch, belgisch, luxemburgisch) geprägt, wenngleich ich unter den Nachwuchsjuristen auch einige deutsche Stagiaires kennenlernte, die entweder am regulären fünfmonatigen Praktikantenprogramm teilnahmen oder wie ich eine Station des Referendariats am EuGH oder EuG verbrachten.
Eine Tätigkeit am Gerichtshof der EU ist insbesondere solchen Nachwuchsjuristen zu empfehlen, die eine Alternative zum geläufigeren Programm als Stagiare bei der EU-Kommission in Brüssel suchen und die Arbeit der Rechtsprechungsorgane sowie auch das EU-Verfahrensrecht näher kennenlernen wollen. Gerade auch der Besuch von wichtigen Verhandlungen des EuGH im atmosphärischen Grande Salle Palais hinterlassen dabei einen bleibenden Eindruck. Als Alternative zu einer Station im Kabinett eines Richters am Gerichtshof ist im Übrigen auch ein Praktikum oder Referendarstation im Kabinett eines Generalanwalts, zB der deutschen Generalanwältin Juliane Kokott, möglich. Dabei konzentriert sich die Tätigkeit in erster Linie auf die Mitarbeit an Schlussanträgen statt Gerichtsentscheidungen. Wie es in Hinblick auf die Tätigkeit in oder bei einer internationalen Organisation regelmäßig der Fall ist, sind die Stellen sehr beliebt, weshalb eine frühzeitige Bewerbung – mindestens ein Jahr vorher – in der Regel unabdingbar ist.
V. Fazit: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt
Nachwuchsjuristen, die sich für eine Tätigkeit in oder bei einer internationalen Organisation interessieren, sollten sich zumindest eine der vielfältigen Arbeitsmöglichkeiten, die sich ihnen schon während des Studiums und Referendariats bieten, nicht entgehen lassen. Von besonderer Bedeutung ist dabei eine frühzeitige Beschäftigung mit den zur Verfügung stehenden Optionen sowie eine rechtzeitige Bewerbung an die jeweilige Stelle. Dabei ist es wichtig, sich schon im Voraus darüber zu informieren, inwiefern die Studienordnung oder das jeweilige Juristenausbildungsgesetz des Landes eine entsprechende Gestaltung der praktischen Ausbildungsphase zulassen. In manchen Bundesländern ist eine solche Stationsgestaltung eher begrenzt, während andere Bundesländer – wie in meinem Fall Hessen – im Rahmen des Referendariats sogar mehrere Auslandsaufenthalte ermöglichen.
Nach meinen verschiedenen Stationen in und bei internationalen Organisationen kann ich einen solchen praktischen Einblick »außerhalb der Norm« und in die Welt der internationalen Beziehungen sowie des internationalen Rechts nur jedem interessierten Studenten oder Referendar empfehlen. Der bisweilen hohe Bewerbungs- und Organisationsaufwand, den es am Anfang zu bewältigen gilt, zahlt sich nach meiner Erfahrung aus und eröffnet die einmalige Chance, einen nachhaltigen Eindruck von den diversen Karrierewegen eines international tätigen Juristen zu gewinnen. Ich hoffe, den oder die ein oder andere durch diesen Erfahrungsbericht möglicherweise inspiriert und ermutigt zu haben, den Weg als Nachwuchsjurist zu einer internationalen Organisation zu wagen – ganz im Sinne des Wahlspruchs meiner Alma Mater, der Universität Tübingen: »Attempto!«