Als ehemaliger Teilnehmer kann ich insbesondere auf die Entstehung dieser Idee während des Planspiels im Wintersemester 2020/2021 eingehen und bin besonders froh, dass ich nun als Teil des Organisationsteams die Verwirklichung dieser Idee begleiten durfte.
Der dem Planspiel in zweiter Generation zugrunde liegende »Fall Kunz« beschreibt eine angespannte familiäre Situation, in deren Folge es eines Abends zu Handgreiflichkeiten zwischen dem Angeklagten und seinem Schwiegersohn kommt. Unklar ist vor allem der zeitliche Ablauf des Geschehens. Die bestimmende Frage bezieht sich somit darauf, wer von den beiden als Erster zugeschlagen und wer sich lediglich verteidigt hat (juristisch gesprochen: welcher der beiden Männer in Notwehr gem. § 32 StGB gehandelt hat). In erster Instanz wurde der Angeklagte Kurt Kunz (im Wintersemester 2020/2021, wie auch 2021/2022) sodann der gefährlichen Körperverletzung für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt.
Nach einem intensiven und zum Teil hitzigen Schlagabtausch in der Hauptverhandlung kam es auch im Wintersemester 2020/2021 zu einem Schuldspruch und einer Verurteilung. Als Teil der damaligen Gerichtsgruppe weiß ich, wie schwer es uns aufgrund der unklaren Beweislage gefallen ist, ein Urteil zu verkünden. Aus nach der Hauptverhandlung stattfindenden Gesprächen mit Teilnehmenden der anderen Gruppen (Staatsanwaltschaft und Verteidigung) wurde klar, dass viele Planspielteilnehmende anders entschieden hätten, die Entscheidung nicht nachvollziehen konnten oder sogar empört waren über den Ausgang des Verfahrens. Dabei entstand vonseiten der Teilnehmenden die Idee, teilweise wohl auch getragen durch die noch nicht abgeklungenen Emotionen aus der Hauptverhandlung, unser Planspielurteil vor einer weiteren Instanz überprüfen lassen zu können.
I. Auftakt und Einführung in die Thematik
Als am Ende der erstinstanzlichen Hauptverhandlung die Absicht verkündet wurde, ein anschließendes, zweitinstanzliches Planspiel im darauffolgenden Sommersemester durchführen zu wollen, zeichnete sich bereits ein großes Interesse der teilnehmenden Studierenden an einer Fortführung ab. Organisatorisch konnte die Planspiel-Fortführung nicht mehr an eine wöchentliche Vorlesung angebunden werden und hatte somit als Sonderveranstaltung mit wenigen Blockterminen stattzufinden. So kam es, dass »alte Planspiel-Hasen« auch den Großteil der Besetzung des Planspiels 2.0. bildeten und bereits sehr früh nach der endgültigen Vorstellung des Projekts eine stattliche Anzahl an Teilnehmenden feststand. Sehr zu unserer Freude kamen aber auch neue Gesichter dazu, die sich an der Veranstaltung interessiert zeigten, welche auch als Teil des strafrechtlichen Schwerpunktstudiums besucht werden konnte.
Einführungsveranstaltung mit Prof. Dr. Kudlich und Prof. Dr. Safferling
Den Auftakt des Planspiels bildete ein zweistündiger Vortrag von Prof. Dr. Christoph Safferling, LL.M. (LSE) und Prof. Dr. Hans Kudlich in Form einer »klassischen« Lehrveranstaltung, welche in die theoretischen Hintergründe der Rechtsmittel einführte. Es wurden abermals Teams gebildet, wobei die meisten Studierenden ihre »Ursprungsrolle« beibehalten wollten und nur zwei Teilnehmer von der Verteidigung in die Staatsanwaltschaft wechselten. Das hatte einerseits den Vorteil, dass diejenigen, die in ihrer alten Gruppe blieben, sehr gut mit der Ansicht und der Verfahrenstaktik und -perspektive dieser Gruppe vertraut waren. Andererseits war es für die wenigen, die sich bereit erklärten, in eine andere Gruppe zu wechseln, um eine für die Planspielarbeit geeignete Aufstellung zu erreichen, eine gute Übung zur neutralen Herangehensweise an rechtliche Sachverhalte, mussten sie sich schließlich von jeglichen früheren Emotionen befreien und einen neuen Blickwinkel einnehmen.
Im weiteren Verlauf des Planspiels erhielten die Teilnehmenden während eines abendlichen Workshops des Weiteren die Möglichkeit im Gespräch mit Prof. Dr. Christoph Knauer ihre (praktischen) revisionsrechtlichen Kenntnisse zu vertiefen. Herr Prof. Dr. Knauer, der sich neben seiner Tätigkeit als Honorarprofessor in der Kanzlei Ufer/Knauer mit Wirtschaftsstrafsachen aber auch der Einlegung von Revisionen beschäftigt, versuchte sich daran,
Zoom-Workshop mit Prof. Dr. Knauer
den Studierenden insbesondere die Praxis der Revision näher zu bringen. Auf eine lockere Art und Weise berichtete Herr Prof. Dr. Knauer von Erfahrungen aus dem Revisionsalltag, beantwortete Fragen und wies die Teilnehmenden insbesondere auf die enorme Wichtigkeit hin, sich emotional freizumachen und auf die formalen Grundlagen der Revision zu stützen.
Nach dieser Einführung in die komplexe Revisionsthematik sowohl von universitärer als auch praktischer Seite aus, durften unsere Teilnehmenden in Kleingruppen in ihre »Rolle« im Revisionsverfahren schlüpfen. Ausgestattet mit einem anhand der Bild-Ton-Aufzeichnung unserer virtuellen Hauptverhandlung (für Details vgl. Trapp/Gallmetzer/Schäfer JA 8/2021) erstellten Protokolls und dem eigens von Studierenden abgefassten Urteil, machte sich die Kleingruppe der Verteidigung zunächst auf die Suche nach möglichen »Rügen«. Dabei wurden unsere fünf Verteidiger und Verteidigerinnen intensiv von mir und Melanie Rosa als Studentische Hilfskraft betreut, die Betreuung unseres zweiköpfigen Gerichts erfolgte durch Jindřich Sedláček, mit meiner Unterstützung, und die Betreuung der Staatsanwaltschaft wurde durch mich allein übernommen. Die Arbeit in allen Kleingruppen konnte dabei extrem davon profitieren, dass unsere Teilnehmenden bereits im erstinstanzlichen Planspiel eng und intensiv zusammengearbeitet hatten und so sowohl den
Exkursion ans BayObLG in Nürnberg
»Fall Kunz«, als auch einander gut kannten. Darauf aufbauend organisierten sich die Studierenden in ihren Teams weitestgehend selbstständig und zeigten – auch gerade im Vergleich zum erstinstanzlichen Planspielverfahren – ein erhöhtes Maß an Selbstständigkeit und Routine. In jeder Gruppe wurde zusätzlich zu den eigens organisierten Treffen noch ein präsentes Gruppentreffen mit Teambetreuer oder -betreuerin abgehalten, in dem die durch die Studierenden gefundenen Rügen und Anknüpfungspunkte nochmals besprochen wurden.
Und damit konnte das Revisionsverfahren auch schon starten: Nach einem durch die Teambetreuerinnen organisierten Präsenztreffen und mehreren eigens organisierten Treffen (über Zoom) reichte die Verteidigung bald einen Revisionsantrag bei Gericht ein, woraufhin die Staatsanwaltschaft eine Erwiderung zu verfassen hatte. Hier arbeiteten sich die Studierenden auch besonders intensiv in – im Regelstudium nur am Rande behandelte – Fragen zur Strafzumessung ein, um die besonders milde Strafe unseres Planspiel-Protagonisten Kurt Kunz zu rügen. Auch die Staatsanwaltschaft besprach die ersten gefundenen Ergebnisse in einem durch mich organisierten Präsenztreffen, die konkrete Arbeitsteilung und finale Absprachen wurden in eigens verantworteten Zoom-Treffen selbstständig organisiert.
Um unseren Teilnehmenden ihre Rolle in der Revisionshauptverhandlung sowie den genauen Ablauf noch plastischer vor Augen zu führen, besuchten wir – dank großartiger Unterstützung vonseiten des RiBayObLG Herrn Ulrich Flechtner – am 11.7. 2022 eine echte Revisionshauptverhandlung am BayObLG in Nürnberg. In Bayern ist gem. § 121 I Nr. 1 lit. a GVG iVm Art. 12 I Nr. 1 BayAGGVG für Entscheidungen über Revisionen gegen Urteile des Amtsgerichts grundsätzlich nicht das OLG, sondern das Bayerische Oberste Landgericht (BayObLG) zuständig. Da das erstinstanzliche Planspielurteil ebenfalls vom Strafrichter am Amtsgericht verfasst wurde, hatte folglich auch unsere Planspiel-Revisionsverhandlung in den Gerichtssälen des BayObLG zu spielen. Die Studierenden bekamen so nicht nur einen guten Einblick in die praktische Handhabung des Rechtsmittels der Revision, sondern konnten auch ihre Aufgaben im Rahmen der Hauptverhandlung noch einmal gut beobachten und sich so auf die anstehende Verhandlung einstimmen. Der durch das Gericht auf den 29.7. 2022 terminierten mündlichen Verhandlung konnte damit nichts mehr im Wege stehen.
III. Die Revisionshauptverhandlung
Am 29.7.2022 war es dann für die Teilnehmenden endlich so weit: Die mündliche Revisionshauptverhandlung in den Räumen des BayObLG im Justizpalast Nürnberg konnte stattfinden. Im Vorfeld hatte sich freundlicherweise RiBayObLG Ulrich Flechtner bereit erklärt, der Verhandlung beizuwohnen und die Gruppe vor Ort zu betreuen. Nachdem die von den Gruppen ausgewählten Sprecher und Sprecherinnen ihre Roben angelegt hatten, konnte die Verhandlung pünktlich um 10 Uhr mit dem Aufruf der Sache durch das Gericht beginnen. Nachdem das Gericht zunächst den aktuellen
Gericht und Staatsanwaltschaft
Verfahrensstand anhand der eingereichten Schriftsätze erläutert hatte, erteilte es der Verteidigung als Revisionsführerin das Wort. Die Sprecherin der Verteidigung begann sodann mit ihrem mündlichen Plädoyer. Im Anschluss war es für die Sprecher der Staatsanwaltschaft an der Zeit, mit einem Gegenplädoyer auf die von der Verteidigung vorgebrachten Argumente zu antworten.
Das Plädoyer der Verteidigung
Das Gericht leitete die Verhandlung und schaffte es, durch präzise Nachfragen Struktur in die Verhandlung zu bringen.
Die gesamte Sitzung dauerte einschließlich der Plädoyers etwa 40 Minuten. Die Studierenden passten sich während der Sitzung erstaunlich souverän ihrer jeweiligen Prozessrolle an. Die Teilnehmenden, die keine Sprechrollen übernahmen, konnten der Verhandlung gebannt als Zuschauer und Zuschauerinnen folgen und fieberten dem Verfahrensausgang entgegen. Wo Sprecher und Sprecherinnen zu Beginn des Plädoyers noch leicht unsicher wirkten und die Stimme etwas zitterte, wirkte das Auftreten gegen Ende der Verhandlung, als würden unsere Teilnehmer und Teilnehmerinnen regelmäßig vor dem Revisionsgericht plädieren. Das Gericht unterbrach schließlich die Verhandlung, um sich zur Urteilsberatung zurückzuziehen. Die Sprecher und Sprecherinnen sowie das Publikum verließen gemeinsam den Gerichtssaal, um sich während der Beratungspause auf dem Flur die Beine zu vertreten und über den Ausgang der Beratung zu mutmaßen. Bis es nach nur wenigen Minuten hieß: »Kommando zurück, alle bitte wieder in den Gerichtssaal kommen.« Die Vertreter und Vertreterinnen der Verteidigung und Staatsanwaltschaft hatten im Eifer des Gefechts vergessen, ihre Anträge zu stellen – und ohne Antrag keine Entscheidung. Ein weiterer Beweis dafür, dass theoretisches Wissen nur durch die praktische Anwendung wirklich geübt werden kann – die Teilnehmenden werden in naher oder ferner Zukunft sicher nie wieder vergessen, am Ende ihrer Plädoyers entsprechende Anträge zu stellen.
Nach sodann erfolgreicher Antragsstellung zog sich das Gericht zusammen mit Herrn Flechtner (erneut) zur Beratung zurück. Dieser hatte nach Lektüre der Akte zuvor schon verlauten lassen, es könne »nur ein richtiges Urteil geben«. Bei den Zuschauern und Zuschauerinnen war das Stimmungsbild nicht ganz so eindeutig: Während manche fest von einer Aufrechterhaltung des Urteils ausgingen, glaubten manch andere, den Freispruch schon in der Tasche zu haben.
Am Ende wurde Herrn Flechtners Einschätzung bestätigt: Die Mühen der Verteidigung hatten sich gelohnt, denn das Gericht hob das Urteil auf und verwies es zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht zurück. Zur Begründung führte es an, das Tatgericht habe den Sachverhalt nicht umfassend genug aufgeklärt und die Urteilsbegründung äußerst lückenhaft abgefasst. Die Urteilsfeststellungen könnten in dieser Gestalt keine Verurteilung des Angeklagten tragen.
Im Anschluss an die Urteilsverkündung besprach Herr Flechtner mit den Teilnehmenden ausführlich und offen die Verhandlung. Insbesondere ermahnte er die Studierenden nochmals dazu, sich strikt an die formale Natur der Revision zu halten und in Betracht kommende Rügen schrittweise abzuarbeiten. Auch die Staatsanwaltschaft wurde noch einmal darauf hingewiesen, dass es zwingend erforderlich sei, die eigene Position im Auge zu behalten und sich keinesfalls in Widersprüchen zu verstricken. In großer Detailtiefe ging Herr Flechtner auch noch auf sonstige Fehler im Urteil ein und verschaffte allen Studierenden einen guten Überblick über die revisionsrechtliche Perspektive im »Fall Kunz«. Die Studierenden hatten in diesem Rahmen auch die Möglichkeit ihre eigenen Fragen und Erfahrungen anzubringen und Herrn Flechtners praktische Einschätzung einzuholen.
Das Fazit durch die Studierenden an diesem Tag war klar: Revision, das ist gar nicht so einfach wie es aussieht und auch das rhetorische Vortragen von Argumenten erfordert einiges an Übung und Vorarbeit.
In der abschließenden Feedback-Umfrage zeigten sich infolgedessen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer dankbar, diese in der juristischen Praxis kaum wegzudenkende, gleichzeitig im Studium häufig vernachlässigte Fertigkeit im Rahmen der Planspiel-Fortführung noch einmal zusätzlich vertieft zu haben und darüber hinaus auch praktische Einblicke in ein strafprozessual komplexes Thema – die Revision – erlangt zu haben. Die erfolgreiche Durchführung des »Planspiels 2.0« im Sommersemester 2022 zeigt zudem abermals deutlich, wie leicht die Verknüpfung theoretischer Lehrinhalte (insbesondere im praktisch gelebten Prozessrecht) mit praktischem »Ausprobieren« möglich ist, was im Rahmen des juristischen Studiums leider an vielen Stellen erheblich zu kurz kommt. Studierende bekommen im Rahmen der klassischen universitären Ausbildung nur selten die Chance, sich argumentativ auszuprobieren und ihre Ideen rhetorisch vorzutragen und diese (gegen kritische Stimmen) zu verteidigen. Dabei ist gerade diese Fertigkeit Hauptbestandteil fast jeder praktischen juristischen Tätigkeit. Umso wichtiger ist es, mit zusätzlichen Angeboten, wie beispielsweise einem Prozessplanspiel Studierenden weitere Möglichkeiten und Chancen zu bieten, dies zu erlernen und zu vertiefen. Unsere Erfahrungen mit dem StPO-Planspiel zeigen nach all den Jahren eines: Es ist erstaunlich zu was Studierende schon in frühen Semestern fähig sind, sofern man einen sicheren Rahmen schafft, in dem sich ausprobiert und geübt werden darf. Und mit welcher Begeisterung Studierende derartige Angebote wahrnehmen und weiterentwickeln. Somit wird erst die Zukunft zeigen, welche weiteren Dimensionen das StPO-Planspiel in den nächsten Generationen annehmen kann und wird. Solange sich Studierende mit Motivation und Begeisterung an der Weiterentwicklung beteiligen, wird sich wohl auch das »StPO-Planspiel « entsprechend anpassen.
Alena Gallmetzer, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Jindřich Sedláček und Melanie Rosa, studentische Hilfskräfte am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg bei Prof. Dr. Christoph Safferling, LL.M. (LSE)
Abschließendes Gruppenbild mit RiBayObLG Ulrich Flechtner (links) und
Prof. Dr. Christoph Safferling (rechts) in den Räumen des BayObLG Nürnberg