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Erfahrungsbericht JA 3/2022

Von Ass. iur. Marco Meyer, bis Januar 2022 Rechtsreferendar im Bezirk des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts | Feb 18, 2022

Wahlstation beim Europäischen Auswärtigen Dienst


Da die Möglichkeit Referendariats-Stationen im Ausland zu absolvieren, auch in der zweiten Jahreshälfte 2021 noch nur sehr eingeschränkt bestand, bin ich sehr froh, auf eine aufregende und sehr lehrreiche Station beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) in Brüssel zurückblicken zu können.


Mein Interesse an der Wahlstation beim EAD ergab sich nach mehrjähriger Tätigkeit an einem völker- und europarechtlichen Lehrstuhl schon aus der Aufgabenbeschreibung des Dienstes: Er hat die Aufgabe, den Hohen Vertreter der Union für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) bei der Erfüllung seines Auftrags zu unterstützen (Art. 27 III EUV). Dies umfasst auch die Unterstützung des Hohen Vertreters im Rahmen seiner Aufgaben als Vorsitzender des Außenministerrats sowie als Vize-Präsident der Kommission. Der EAD ist eine funktional autonome Einrichtung der Europäischen Union, also nicht mit einer Generaldirektion der Kommission zu verwechseln. Die Brüsseler Zentrale und die weltweit verteilten EU-Delegationen bei Drittstaaten und internationalen Organisationen bilden funktionell den »diplomatischen Dienst« der EU. Weitere Aufgaben wären auf nationaler Ebene eher im Bereich des Verteidigungsministeriums oder der Nachrichtendienste angesiedelt. Hinsichtlich der Personalstruktur ist besonders interessant, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl aus Beamtinnen und Beamten der Union als auch aus von den Mitgliedstaaten für mehrere Jahre abgeordneten Diplomatinnen und Diplomaten rekrutieren. Hinzu kommen einige Seconded National Experts, also zB aus anderen nationalen Behörden abgeordnete Beamtinnen und Beamte.

Seit der Umstrukturierung zum 1.9.2021 wurde die bisher einzige originär juristisch arbeitende Organisationseinheit, die Legal Affairs Division (LAD), als eines von mehreren Referaten einem Director for General Affairs & Chief Legal Officer unterstellt und hat mit einem Fokus auf dem Recht der EU-Außenbeziehungen und dem Völkerrecht einen noch präziseren Aufgabenzuschnitt erhalten.

Ihr obliegt es damit, die Beratung der übrigen Organisationseinheiten, der Delegationen und des Hohen Vertreters selbst in allen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der GASP (einschließlich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik – GSVP) und den auswärtigen Beziehungen der EU sicherzustellen. Darüber hinaus übernimmt die LAD die Prozessvertretung des EAD und des Hohen Vertreters in beamten- bzw. personalrechtlichen Angelegenheiten, Informationszugangsstreitigkeiten und Organstreitigkeiten vor dem Gerichtshof der EU.

In der Sache konzentriert sich die Tätigkeit in der LAD im Rahmen der EU-Außenbeziehungen zB auf die institutionelle Position des Hohen Vertreters, sein Vorschlags- und Initiativrecht, das Verfahren zur Verhandlung und zum Abschluss völkerrechtlicher Abkommen der EU. Völkerrechtlich bilden Fragen im Zusammenhang mit dem auswärtigen Handeln der EU insbesondere im Bereich der GASP, wie etwa das Völkervertragsrecht, das Recht der diplomatischen Beziehungen, humanitäres Völkerrecht, internationale Strafgerichtsbarkeit, das Recht der internationalen Organisationen und das Recht der Sanktionen den Schwerpunkt.

Die faktische Arbeitssprache beim EAD ist Englisch (ein sicheres Beherrschen in Wort und Schrift ist also für eine Bewerbung unabdingbar), insbesondere beim Kontakt mit den anderen Institutionen (vor allem Kommission und Rat), für die täglichen Abläufe sind aber auch fortgeschrittene Französischkenntnisse von unschätzbarem Wert.

Die Aufnahme in das Team der LAD war sehr herzlich, und obwohl man als deutscher Jurist in der Regel mit dem Recht der GASP typischerweise erst einmal unbekanntes Terrain betritt, findet man schnell in die Materie und kann sinnvolle Zuarbeit zu Fragen der institutionellen Stellung des Hohen Vertreters und den Kompetenzen des auswärtigen Handelns der EU leisten.

Hierbei besteht die Arbeit zunächst in der Analyse und rechtlichen Beurteilung aktueller Entwicklungen und der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH in Vermerkform. Dies geschieht entweder auf eigene Initiative oder auf Anfrage anderer Organisationseinheiten. Natürlich beschränkt sich die Arbeit nicht auf das tagtägliche Abfassen von Vermerken, sondern man nimmt an vielfältigen Sitzungen verschiedener Institutionen und Arbeitseinheiten teil, um auf Nachfrage eine rechtliche Einschätzung zu den stets hochpolitischen Themen abgeben zu können.

So durfte ich beispielsweise gleich in meiner ersten Woche an Verhandlungen der EU mit einem südamerikanischen Staat über den Abschluss eines Assoziierungsabkommens teilnehmen. Aus dem Bereich der GASP hervorzuheben sind außerdem die Teilnahme an Sitzungen der Political and Military Group des Rates zur Frage der Beteiligung Dritter an Projekten der »Ständigen strukturierten Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit und Verteidigung« (engl. Permanent Structured Cooperation – PESCO) sowie die Beratung des zuständigen Referats des EAD bei der Überarbeitung des Ratsbeschlusses zum Europäischen Satellitenzentrum (European Union Satellite Centre), das für die satellitengestützte Informationsgewinnung und -auswertung zuständig ist.

Im Bereich des Völkerrechts arbeitete ich zu verschiedensten aktuellen Themen, wie zB zur Rechtmäßigkeit einseitiger Sanktionen, zu Hafenzugangs- und Landerechten in besetzten Gebieten, zur Vereinbarkeit indirekter Beschränkungen mit der Wiener Diplomatenrechtskonvention und zum Entwurf einer Schlussfolgerung des Rates zum Völkerrecht. Besonders beeindruckend war die Teilnahme an den Verhandlungen der Ratsarbeitsgruppe für Außenbeziehungen (sog. RELEX-Gruppe) zu Fragen des Beitritts der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

Ich empfand die Arbeit innerhalb der LAD als sehr anspruchsvoll und spannend: Auf teilweise völlig neue Fragen mussten zeitnah juristisch fundierte Antworten gefunden und zugleich in einer Sprache abgefasst werden, die der politischen und diplomatischen Stellung des EAD gerecht wird. Dabei legten die Mitglieder der LAD trotz meiner kurzen Aufenthaltsdauer stets großen Wert darauf, mich als Kollegen und vollwertiges Teammitglied zu behandeln. Trotzdem behielt man stets das Bewusstsein dafür, eine sachgerechte Ausbildung zu gewährleisten, die nicht einfach bloß im Schreiben von Vermerken bestand, sondern zB auch durch die Teilnahme an sehr bereichernden und fachlich hochinteressanten Veranstaltungen, wie etwa dem EU-US Legal Advisors Dialogue mit den Juristen des US State Department und dem Seminar der Rechtsberater der zivilen EU-GASP-Missionen, ermöglicht wurde.

Grundsätzlich können Referendarinnen und Referendare die Beamtinnen und Beamten der LAD auch zu Sitzungsterminen vor dem EuG und dem EuGH begleiten; obwohl es zunächst gut aussah, war dies in meinem Fall aufgrund der Pandemiebeschränkungen leider nicht möglich.

Was die Arbeit in all diesen Bereichen besonders interessant macht, ist die Notwendigkeit des Auffindens eines nicht nur rechtlich vertretbaren, sondern auch politisch gangbaren Weges im Gefüge zwischen den europäischen Institutionen bzw. unter Berücksichtigung der teils sehr unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten, während gleichzeitig in die Bewertung mit einfließen muss, wie das Handeln der Union von Drittstaaten und anderen Akteuren bewertet werden wird.

Hierbei arbeitet die LAD als kleines Team von Rechtsberatern auf qualitativ und quantitativ unglaublich hohem Niveau und ich bin sehr froh, dass ich diese beeindruckende Erfahrung machen durfte.

Da man sich als Referendarin bzw. Referendar nicht nach den starren Bewerbungsfristen und -abläufen der europäischen Institutionen für die strukturierten Praktikantenprogramme (zB des Blue Book und des Schuman Traineeship) richten muss, gestaltet sich der Bewerbungsprozess recht einfach: Ein formloses Bewerbungsschreiben (nebst Lebenslauf, Examenszeugnis sowie einem Nachweis über bzw. die Zusage für die Einstellung in den Vorbereitungsdienst) in englischer Sprache genügt. Nach Erhalt der Zusage schließt man einen vom EAD vorbereiteten »Praktikumsvertrag«, in dem die gegenseitigen Grundpflichten festgehalten sind. Da die Praxis beim EAD, Referendarinnen und Referendare auszubilden, noch relativ jung ist (ich war der insgesamt dritte Referendar dort), hat eine Ausbildung bislang immer in der LAD stattgefunden. Denkbar ist aber auch eine Bewerbung für andere einschlägige Divisions (zB die Human Rights Division), wobei man im Vorfeld stets selbst prüfen sollte, ob das einschlägige Landesrecht die Ausbildung durch deutsche Volljuristen fordert.

Der Hauptsitz des EAD liegt in Brüssel direkt am Schuman-Roundabout, schräg gegenüber dem Berlaymont und den Gebäuden des Rates. Es ist sehr gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden (zB die Metro), und es gibt mehrere Verbindungen zum Flughafen und zu den Brüsseler Bahnhöfen.

Die Restaurants in der unmittelbaren Umgebung sind preislich eher an den Gehältern der EU-Beamtinnen und -Beamten ausgerichtet, aber es gibt viele kleine, vor allem inhabergeführte Sandwicheries und andere Möglichkeiten, sich während seiner einstündigen Mittagspause zu versorgen. So bieten die Kantinen der Kommission und des Rates Mahlzeiten auf Restaurantniveau zu unterhaltsbeihilfeverträglichen Preisen.

Insgesamt liegen die Lebenshaltungskosten in Brüssel meines Erachtens leicht über denen in Deutschland. Dies macht sich nicht nur bei den Verpflegungskosten, sondern auch bei denen für eine Unterkunft bemerkbar. Hier hat sich zuletzt zB das Modell des Coliving etabliert, also das Anmieten eines Zimmers in einer größeren Unterkunft mit gemeinsamen Funktionsflächen von einem kommerziellen Anbieter. Je nach Preisniveau und Anbieter sind zB Nebenkosten und wöchentliche Reinigung im Preis inbegriffen.

Hinsichtlich der Suche auf dem freien Markt sollte noch darauf hingewiesen werden, dass das Traineeship Office der Kommission eine Liste mit »trusted landlords« führt. Da man aber nicht an den strukturierten Praktikantenprogrammen (s. oben) teilnimmt, muss man sich im Vorfeld selbstständig an das Traineeship Office wenden, es mag sich lohnen.

Wenn man das Glück hat als sog. stagiaire atypique zu einem Zeitpunkt vor Ort zu sein, zu dem auch die neuen Blue Book Trainees eingestellt werden, besteht die Möglichkeit, am Veranstaltungsprogramm des Blue Book Traineeships teilzunehmen und interessante Kontakte mit den Trainees aus allen denkbaren Fachrichtungen und Mitgliedstaaten zu knüpfen.

Insgesamt bietet Brüssel naturgemäß ein sehr internationales Lebens- und Arbeitsumfeld; nicht nur wegen des Standorts der EU-Institutionen und ihrer Mitarbeiter, sondern wie in jeder Großstadt leben dort auch sonst sehr viele Expats. Dementsprechend vielfältig ist das kulturelle Leben in Brüssel, und nach Feierabend und am Wochenende besteht hinreichend Gelegenheit, die Stadt zu entdecken. Auch jenseits der üblichen und lohnenden donnerstäglichen after work drinks mit den Trainees aus Kommission und EU-Parlament an der Plux (Place du Luxembourg). 

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