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Erfahrungsbericht JA 8/2021

Von Jana Trapp, Alena Gallmetzer, Miriam Schäfer | Jul 19, 2021

Die virtuelle Hauptverhandlung als Pilotprojekt im Rahmen des StPO-Planspiels



Im Wintersemester 2020/2021 fand an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) zum fünften Mal das StPOPlanspiel im Rahmen der Vorlesung Strafprozessrecht von Prof. Dr. Christoph Safferling, LL.M., Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht, in Kooperation mit dem Lehrstuhl von Prof. Dr. Felix Freiling für IT-Sicherheitsinfrastrukturen, statt. Seit dem Sommersemester 2015 wird mithilfe einer fiktiven Strafakte und deren Bearbeitung durch teilnehmende Studierende ein Strafprozess möglichst realistisch nachempfunden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, betreut und angeleitet durch Lehrstuhlmitarbeiterinnen, nehmen in drei unterschiedlichen Gruppen die Rolle der Verfahrensbeteiligten ein und gestalten das Strafverfahren von Ermittlungsverfahren bis hin zur Hauptverhandlung weitestgehend eigenständig (für Details vgl. Erfahrungsbericht Trapp/Gallmetzer JA 10/2020, IV ff., abrufbar unter:
https://rsw.beck.de/zeitschriften/ja/japlus/erfahrungsberichte/2020/09/14/erfahrungsbericht-ja-10-2020).

Ausgehend von der »Urform« des Planspiels als vorlesungsbegleitende Simulation eines Strafprozesses, stellte die aktuelle Pandemiesituation das Organisations- und Durchführungsteam vor die besondere Herausforderung, das praxisorientierte Planspiel in den digitalen Raum zu überführen. Jana Trapp, Alena Gallmetzer sowie Miriam Schäfer organisierten und führten das Planspiel im vergangenen Semester durch und versuchten sich an einer Neukonzeption der Lehrveranstaltung in digitaler Form. Der Beitrag verfolgt das Ziel, in einem ersten Teil (A.) die Umplanung des Planspielverfahrens von einem Schwurgerichtsverfahren zu einem Strafbefehlsverfahren anlässlich der digitalen Situation zu erläutern, in einem zweiten Teil (B.) den Ablauf sowie die Organisation der virtuellen Hauptverhandlung mit insgesamt über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern darzustellen und in einem abschließenden Teil (C.) einige Gedanken zur Reproduktionsfähigkeit dieses Formats in der »Lehre der Zukunft«, aber auch in Gerichtssälen anzubringen.

A. Das Planspiel als Strafbefehlsverfahren


Um den Entwicklungen rund um die Covid-19-Pandemie und den damit einhergehenden Veränderungen für die Lehre, insbesondere die Digitalisierung und Vermeidung von Präsenzveranstaltungen, gerecht zu werden, war bereits früh erkennbar, dass ein Planspiel »nach alter Spielart« im Wintersemester 2020/2021 nicht möglich sein würde. Das Planspiel, das schon immer in die Vorlesung eingebettet war, musste sich in diesem Durchlauf an die veränderte Vorlesungssituation anpassen: Kurze Podcast-Einheiten zur Vermittlung des theoretischen Stoffs, die durch anschließende wöchentliche Live-Videokonferenzen mit der Software »Zoom« zur Fallbesprechung und mit vielen Gästen aus der gerichtlichen Praxis ergänzt wurden, bildeten den organisatorischen Rahmen für die digitale Umsetzung der StPO-Vorlesung. Diese »Zoom-Veranstaltung« stellte zudem die »örtliche« Schnittstelle zum Planspiel dar. Daher war in diesem Durchgang die enge Zusammenarbeit des Organisations- und Durchführungsteam mit Prof. Safferling von besonderer Bedeutung und führte angesichts der Sorge um eine ausbleibende Beteiligung zu einer noch feineren Abstimmung von Vorlesung, Fallbesprechung und Planspiel. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren angehalten, ihre Kamera anzuschalten und auf diese Weise ein »Klima der (virtuellen) Anwesenheit« zu schaffen.

Um gleichzeitig einen Realitätsbezug zu den pandemiebedingten Maßnahmen der (bayerischen) Justiz herzustellen, entwickelte sich, ausgehend von der Empfehlung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz an die Landesstaatsanwaltschaften, im Rahmen der Covid-19-Pandemie (in geeigneten Fällen) vermehrt auf die Erledigung im Strafbefehlswege zur Verringerung der mündlichen Hauptverhandlungstage zu setzen, die Idee, das virtuelle Planspiel in Form eines Strafbefehlsverfahrens durchzuführen.

Im Vergleich zum »Normalverfahren« stellt das Strafbefehlsverfahren eine vereinfachte Form des Strafprozesses dar, das eine mündliche Hauptverhandlung regelmäßig nicht vorsieht (sofern das zuständige Gericht wegen Zweifeln am Strafbefehl keinen Termin anberaumt, § 408 III 2 StPO, oder durch die Beschuldigte/den Beschuldigten bzw. ihre/seine Verteidigung kein Einspruch eingelegt wird, § 411 I 2 StPO). Mithilfe einer echten Strafakte eines bereits abgeschlossenen Verfahrens wurde eine neue »Strafakte Kunz« entwickelt. Die gegenständlichen Straftatbestände in diesem Verfahren waren daher konsequenterweise keine Kapitaldelikte (wie sonst im Planspiel üblich), sondern Körperverletzungs- und Beleidigungsdelikte.

I. Sachverhalt und Ausgangssituation


Kurz umrissen lautete der Sachverhalt wie folgt: Zwischen dem bereits in die Jahre gekommenen Beschuldigten und seinem von ihm verhassten Schwiegersohn soll es in der Nacht vom 27.10. 2020 zu Handgreiflichkeiten gekommen sein. Zentrale Frage, die durch das Gegenlesen der Akte bei den Studierenden aufkam, war die des zeitlichen Geschehensablaufs; während der Beschuldigte Kunz behauptete, lediglich zugeschlagen zu haben, um sich zu verteidigen, sagte sein Gegenüber das genaue Gegenteil aus. Die vom Lehrstuhl an die Studierenden ausgehändigte Akte zum Fall Kunz umfasste ca. 40 Seiten und spiegelte ein Ermittlungsverfahren in einem recht späten Stadium wider: Enthalten waren bereits diverse Zeugenaussagen, am Tatabend aufgenommene Lichtbilder, Arztbriefe sowie weitere Ermittlungsergebnisse. Ebenfalls angelegt war, wie auch in den Jahren zuvor, ein IT-Beweismittel (Smartphone mit WhatsApp-Dialogen), das die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Kooperation mit dem Lehrstuhl für IT-Sicherheitsinfrastrukturen von Prof. Dr. Felix Freiling und den Studierenden der Vorlesung »Fortgeschrittene Forensische Informatik« zu verwerten hatten. Dabei schlüpften die IT-Studierenden in die Rolle einer bzw. eines Sachverständigen, die/der zunächst das IT-Beweismittel mit Blick auf konkrete Fragen der Staatsanwaltschaft auszuwerten hatte und auch im weiteren Verlauf für Fragen der Juristinnen und Juristen zur Verfügung stand. Etwaige prozessuale Maßnahmen sowie die »Würdigung« des durch die Akte angelegten Sachverhalts aus der Perspektive der unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten, insbesondere die Frage nach der Erledigung des Verfahrens, lagen nun allein in den Händen unserer 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Fiktiver Zeitungsartikel zum Tatgeschehen
Fiktiver Zeitungsartikel zum Tatgeschehen

II. Konkreter Ablauf des digitalen Planspiels


Um die Studierenden auf die anstehenden prozessualen Entscheidungen bestmöglich vorzubereiten, wurde die ausgehändigte Planspiel-Akte zunächst im Rahmen der virtuellen Vorlesung sukzessive, Woche für Woche, nach inhaltlichen Kategorien (bspw. »Personalbeweis«, »Urkundsbeweis«, »Augenscheinsbeweis«) besprochen. Dabei sollten nicht nur tatsächliche Sachverhaltsfragen herausgearbeitet, sondern darüber hinaus auch materiell-rechtliche und strafprozessuale Problemstellungen angerissen werden, um den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei der eigenverantwortlichen Arbeit mit der Akte eine Hilfestellung an die Hand zu geben. Diese »Planspiel-Einheiten«, durch das Organisationsteam in Abstimmung mit Prof. Safferling vorbereitet, rekapituliert und flexibel an den Verlauf des Planspiels angepasst, fanden im Anschluss an die »Zoom-Vorlesungssequenz« statt und dauerten maximal fünfzehn Minuten. Zur Vertiefung des Stoffs wurde sich zusätzlich regelmäßig mit allen Mitgliedern der jeweiligen »Verfahrensgruppe« online getroffen. Jedem Team (Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht) war auch dieses Jahr eine Teambetreuerin an die Seite gestellt, die die Leitung dieser Meetings übernahm und als Ansprechpartnerin für konkrete Fragen und Probleme agierte. So konnten die konkreten Arbeitsaufträge für die jeweiligen Teams bestmöglich abgestimmt und unmittelbar aufkommende Fragen effizient geklärt werden. Die Abfassung der Schriftsätze oblag den Studierenden dann weitestgehend in Eigenregie, wobei diese sich selbstständig über virtuelle Plattformen und Kommunikationsmittel verabreden und absprechen mussten.

Um nicht zuletzt die Motivation zur virtuellen Zusammenarbeit anzukurbeln und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern darüber hinaus weitere Einblicke in die Praxis zu ermöglichen, wurden erstmals Workshop-Einheiten angeboten:

In vier abendlichen Einheiten durften die Studierenden, losgelöst vom Planspiel und betreut durch Referentinnen und Referenten aus der Praxis, Sondersituationen einzelner Verfahrensbeteiligter näher analysieren und in deren »Rolle« schlüpfen, um so vor allem praktisch relevante Fragen des Strafprozesses zu beantworten: Während RA Franz Heinz mit den Studierenden erarbeitete, wie als Verteidigerin bzw. Verteidiger mit Sonderwissen des Beschuldigten bzw. der Beschuldigten umzugehen ist, stellte Ri’inLG Svenja Ottmann die staatsanwaltschaftliche Abschlussverfügung ins Zentrum ihrer Einheit. Prof. Dr. Felix Freiling leistete in seiner Einheit erste Vorarbeit, um die (gerade in der Praxis) oftmals defizitäre Kommunikation zwischen IT- sowie Jura-Studierenden zu verbessern und Berührungsängste zwischen den beiden Disziplinen abzubauen. Frau Ri’inAG Dr. Andrea Jaretzke gab den Studierenden, insbesondere den Richterinnen und Richtern des Planspiels, erste Anhaltspunkte zur Abfassung eines Urteils an die Hand.
Online-Videokonferenz via »Zoom« mit den Teammitgliedern der Gruppe »Gericht«
Online-Videokonferenz via »Zoom« mit den Teammitgliedern der Gruppe »Gericht«

Durch das Modul  »Planspiel« mit seinen Teilmodulen »allgemeine Aktenbesprechung«, »Gruppentreffen« und »Workshops« konnte über das gesamte Semester, trotz – oder vielleicht gerade wegen – der räumlichen Distanz, im virtuellen Raum besonders eng mit den Studierenden gearbeitet werden. Wenige Wochen vor Ende des Semesters war die Akte in ihrem Umfang aufgrund der studentischen Arbeit erheblich gewachsen. Das Gericht hatte sodann einen Termin für die virtuelle Hauptverhandlung anzuberaumen, da die Verteidigung sich mit dem zuvor erlassenen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft nicht zufriedengeben wollte und Einspruch einlegt hatte …

B. Die digitale Hauptverhandlung

Screenshot des virtuellen Hauptverhandlungstags
Screenshot des virtuellen Hauptverhandlungstags

Um auch die Hauptverhandlung pandemiegerecht durchführen zu können, musste zunächst ein virtueller »Modus« gefunden werden, der die Situation im digitalen Gerichtssaal möglichst vergleichbar zur Präsenzsituation abbildet. Ziel war es, die Erfahrungspotentiale für die Studierenden besonders realitätsgetreu zu schaffen, dh einen »öffentlichen« Raum zu bespielen, in dem Zuschauerinnen und Zuschauersowie  Verfahrensbeteiligte optisch und somit funktional klar voneinander getrennt an dem vom Gericht geleiteten Verfahren teilnehmen konnten; die Kommunikationssituation sollte der im realenLeben bestmöglich nachempfunden werden.

Von Beginn an war klar, dass die Veranstaltung mittels der Standardsoftware für digitale Lehre an der FAU (»Zoom«) stattfinden würde. Die Frage, die sich stellte, war, welchen Modus, also mithilfe welcher Funktionen, die die Software bietet, man den speziellen Anforderungen am besten gerecht werden würde. Nach eingehender Recherche der zur Verfügung stehenden Optionen fiel die Entscheidung auf eine, organisatorisch nicht unerhebliche, Kombination zweier Modi: Der »Gerichtssaal« befand sich in einem sog. Zoom-Webinar, einem virtuellen Raum, in dem durch unterschiedlich zugewiesenen »Rollen« (sog. Diskussionsteilnehmerin bzw. Diskussionsteilnehmer sowie »Zuschauerin« bzw. »Zuschauer«) eine klare Trennung zwischen den am Planspiel aktiv Teilnehmenden (bspw. die staatsanwaltschaftliche Sitzungsvertretung) sowie den Zuschauerinnen und Zuschauern des Planspiels ermöglicht wurde. Die Studierenden, die nicht aktiv an der Hauptverhandlung beteiligt waren, konnten in der Rolle »Zuschauer« bzw. »Zuschauerin« weder ihr Mikrofon noch ihre Kamera einschalten und ausschließlich über einen Chat am Geschehen teilhaben, weshalb diese von den Hauptakteurinnen und -akteuren weitestgehend unbemerkt blieben. Dadurch entstand eine »virtuelle Bühne«, auf der das »virtuelle Strafprozess-Schauspiel« gut Platz finden konnte. Dies war ausschlaggebend, da auf diese Weise Störungen minimiert und der Fokus – wie in einem echten Gerichtssaal – auf die Verfahrensbeteiligten sowie unseren Angeklagten gerichtet werden konnte. Die Verfahrensbeteiligten waren in der Rolle als »Diskussionsteilnehmer« bzw. »Diskussionsteilnehmerin« sichtbar, mit Rederechten ausgestattet und wurden in einer festen »Sitzordnung« vergleichbar mit derjenigen, die sich im Gerichtsaal regelmäßig erkennen lässt, angeordnet. Das Organisationsteam überwachte und koordinierte die Sitzung in der Rolle des sog. (Co-)Host.

In der Vorbereitung wurden aus den jeweiligen Teams Mitglieder ausgewählt, die als Repräsentantinnen und Repräsentanten in Zweierteams agierten. Durch ein Rotationssystem konnte eine größtmögliche Zahl an Studierenden eine aktive Rolle in der Hauptverhandlung übernehmen und so wertvolle Erfahrung mit Blick auf Rhetorik und Verhalten im »Gerichtssaal« sammeln.

Für die bilaterale Kommunikation der aktiven Verfahrensbeteiligten während der Verhandlung wurde der Chat genutzt; als Simulation einer Besprechung in einer Verfahrensunterbrechung wurde, parallel zum »Zoom-Webinar«, ein weiterer virtueller Raum geöffnet (»Zoom-Meeting«), in dem alle Team-Mitglieder einer jeweiligen Verfahrensbeteiligtengruppe zusammen mit ihren Teambetreuerinnen diskutieren und sich beraten konnten. Zu diesem Zweck wurde in der Vorbereitung eine feste Pause eingeplant und weitere Unterbrechungen dem Gericht überlassen. Das Angebot eines zweiten Raumes trug deutlich zum »Erlebnis Hauptverhandlung« bei, da allen Planspielteilnehmerinnen und -teilnehmern, unabhängig von ihrer konkreten Rolle in der Hauptverhandlung, die Möglichkeit gegeben wurde, sich aktiv in die Hauptverhandlung einzubringen.
Der via »Zoom« teilnehmende Angeklagte Kurt Kunz
Der via »Zoom« teilnehmende Angeklagte Kurt Kunz

Die Verhandlung selbst wurde von den Studierenden weitestgehend eigenverantwortlich geleitet und konnte erfolgreich zu einem Abschluss gebracht werden. Der Angeklagte wurde zu einer Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt. Erstmals wurde in diesem Durchlauf auch ein umfassendes Urteil abgesetzt. Abweichend von der Vorgehensweise in der gerichtlichen Praxis, konnte die (wortlautgenaue) Aufzeichnung der Planspiel-Hauptverhandlung der studentischen Urteilsabfassung Unterstützung bieten. Der Vorteil hierbei war, dass die Richterinnen und Richter sich ausschlaggebende Momente der Verhandlung noch einmal vor Augen führen und so Verunsicherungen bei der Abfassung des Urteils vermieden werden konnten. Darüber hinaus konnten die Studierenden während der Hauptverhandlung den Fokus auf ihre Gedankengänge zu materiell- und prozessrechtlichen Problemen legen, ohne die Konzentration durch die Anfertigung von Mitschriften zu verlieren. Die verantwortlichen Studierenden haben das Angebot der Aufzeichnung gut angenommen und sich somit noch ein zweites Mal mit dem von ihnen durchgeführten Verfahren auseinandergesetzt. Dies hat merklich zur Qualität des Urteils beigetragen. Die Planungen für eine Planspiel-Revisionsinstanz sind nun schon im vollen Gange …

C. »(Planspiel-)Gerichtssaal der Zukunft«?


Der virtuelle Planspiel-Durchgang brachte angesichts der Materialienerstellung und Einarbeitung in die entsprechende Software viel Anstrengung, aber auch großen Ideenreichtum mit sich. Wo schon lange hitzig über die Digitalisierung der Lehre, aber auch des Gerichtsalltags diskutiert wurde, ließ uns Covid-19 keine Wahl: Wir mussten unser Konzept neu denken – und das, obwohl wir erst im Sommersemester 2017 mit einer aufwendigen »Neuauflage« unseres Planspiels in die strafprozessuale Fantasiewelt gestartet waren.

Was konnten wir lernen und welche, zumindest grundlegenden Erkenntnisse können kontroversen Diskussionen rund um »Digitalisierung« zugeführt werden?

Die Gewohnheiten, die wir uns selbst durch die Präsenzlehre mühsam anerzogen haben, werden durch das (plötzliche) Umstellen auf virtuelle Konzepte zunächst meist unangenehm erschüttert. Die spürbar fehlende plastisch-räumliche Anordnung von Studierenden und Lehrenden, der beschränkte persönliche Zugriff auf Personen durch An- und Körpersprache sowie die eigene Situation vor unserem, im Vergleich zur Realität dürftigen, Bildschirm, geben uns gerade zu Anfang das Gefühl, die Kontrolle im digitalen Raum zu verlieren. Mit Fug und Recht kann dem entgegengetreten werden: So kann, muss es aber nicht sein. Das Zusammentreffen von mehreren Personen im Rahmen von Veranstaltungen, die ein bestimmtes Ziel verfolgen, sei es in der Lehre oder – um im Bild zu bleiben – im Gerichtssaal, erfordert immer das Ziehen an einem gemeinsamen Strang. Für uns als Lehrende war dieser Wille allseits wahrnehmbar, waren es doch meist die Studierenden selbst, die uns immer wieder vor Augen geführt haben, wie notwendig die Vermittlung eines »strafprozessualen Werkzeugkastens« zur Erfüllung der an sie gerichteten Aufgaben ist.

Freilich ist nicht zu verkennen, dass unser »Pilotprojekt« vom derzeitigen Ausnahmezustand profitiert, bei dem einerseits der universitäre Rahmen als Ort der Wissensproduktion eine tragende Rolle spielt und die einschneidende soziale Situation der Studierenden einen wesentlichen Faktor bildet. Gleichwohl muss an dieser Stelle festgehalten werden: Digitalisierung lebt, egal von welcher Seite sie gedacht wird, von der Anstrengung, der wir uns mit ihr aussetzen. Die Sorge wird früher oder später mit der Schaffung von realen Potentialen für alle Beteiligten überwunden. Um Ungewissheit und fehlende Planungssicherheit abzufedern, sind auf Investitionsseite ressourcenbezogene Anreize zu schaffen und virtuelle Infrastrukturen auszubauen bzw. bereits etablierte zur Verfügung zu stellen.

Die Nutzung von Videokonferenztechnik konnte beim virtuellen Planspiel in mehrfacher Hinsicht einen Erfolg verbuchen: Mit Blick auf die Bedürfnisse von Universitäten, konnte eine intensive, inhaltliche Zusammenarbeit durch sowohl kleinere Vorgänge, wie das bislang kaum beachtete Dokumenten-Sharing, als auch mit besseren infrastrukturellen Voraussetzungen, wie höhere Beteiligungsraten bei den Online-Veranstaltungen durch den leichteren Zugang von zu Hause aus, erreicht werden. Dabei waren für die Studierenden auch die durch die Aufzeichnungen der Online-Teammeetings sowie der Hauptverhandlung reproduzierbaren Gedankengänge der Lehrenden sowie ihrer Kolleginnen und Kollegen ein wesentlicher Faktor: So konnte noch einmal nachvollzogen werden, wo Fehler unterlaufen oder Meinungen konkret auseinandergegangen waren. Die Urteilsabfassung wurde jedenfalls davon bereichert.

In gerichtlichen Verfahren lägen die Vorteile, ohne freilich naiv die Problemfelder außer Acht zu lassen, voraussichtlich in einer  Verfahrensbeschleunigung und einer zunehmenden Ökonomisierung bei Anwendung der Technik in geeigneten Fällen bzw. Situationen. Auf diese Weise werden wohl auch aus Anwendungsperspektive die entscheidenden Weichen für die hochkontroverse Debatte um die Dokumentation der Hauptverhandlung und die Novellierung des Revisionsrechts gestellt.

Jana Trapp, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Alena Gallmetzer sowie Miriam Schäfer, studentische Hilfskräfte am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg bei Prof. Dr. Christoph Safferling, LL.M. (LSE)

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