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Erfahrungsbericht JA 10/2017

Von Ass. jur. Julia Martini, Speyer | Okt 16, 2017
    

Wahlstation London – Leben wie ein London City Lawyer


Die letzten drei Monate meines Referendariats verbrachte ich in London bei Fried, Frank, Harris, Shriver & Jacobson LLP (kurz Fried Frank) in der Kartellrechtspraxis. Dort erlebte ich die beste Wahlstation, die ich mir hätte wünschen können. Ich wurde schnell Teil des Teams und verbrachte während drei ereignisreicher Monate meinen Arbeitsalltag in einem altehrwürdigen Bürogebäude mit Blick auf die Bank of England und den Royal Exchange, nur einen Steinwurf entfernt von Themse und St Paul’s Cathedral.

Wie es dazu kam?
Drei Monate Ausland waren für mein Referendariat schon eingeplant, als ich noch nicht einmal die erste Staatsprüfung bestanden hatte. Zu Beginn des Jurastudiums hatte ich im Rahmen der fachspezifischen Fremdsprachenausbildung vier Semester anglo-amerikanisches Recht studiert, mein Schwerpunkt war das internationale Privatrecht. Dennoch hatte es mich nie gereizt, im Ausland zu studieren. Lieber wollte ich dort im Referendariat erste Arbeitserfahrung sammeln.
    
Es zog mich nach London, in das Finanz- und Geschäftszentrum Europas. Die Stadt mit ihrem britischen Charme, dem stets wechselnden Kulturangebot und der großen Geschäftigkeit hatte bereits bei meinen früheren Besuchen eine unfassbare Faszination auf mich ausgeübt. So entstand der Wunsch dort mein Wahlfach zu absolvieren, ich hatte mich für das deutsche und europäische Kartell- und Wettbewerbsrecht entschieden.

Stellensuche in London – Vorteile eines Telefoninterviews
Doch welche war für mich die Richtige unter den zahlreichen in London angesiedelten Großkanzleien? Ich besann mich auf meine bisherigen
Erfahrungen. Es sollte eine Großkanzlei mit kleinen aber feinen Teams sein, denn ich war nicht der Typ für einen anonymen »Großbetrieb«. Dieses Kriterium erleichterte meine Suche, Fried Frank war meine erste Wahl. Die amerikanische Großkanzlei hat eine Dependance mit rund 60 Anwälten in der City of London. Die dortige Kartellrechtspraxis wird von einem deutschen Partner geführt und ist klein und hochkarätig besetzt. Indem ich die Bewerbung direkt an den Partner sendete, sprach ich jemanden an, der selbst das Referendariat absolviert hatte und dem die deutsche Juristenausbildung aus eigener Erfahrung sehr gut bekannt war.
   
Das Bewerbungsverfahren konfrontierte mich zunächst mit einem Fragebogen: Hatte ich Stipendien? Welche Preise hatte ich während meiner Ausbildung gewonnen? Was waren meine Erfolge außerhalb des Studiums? Zu guter Letzt hatte ich mein wirtschaftliches sowie politisches Verständnis unter Beweis zu stellen. Auch ohne Stipendien aufweisen zu können und mithilfe von Kreativität und eines kurzen Blickes in den »Economist« bewältigte ich diese erste Hürde. Das folgende Telefoninterview absolvierte ich mit meinem zukünftigen Chef, also dem deutschen Partner, und einer Dame aus der Human-Resources-Abteilung. Am Ende war mir die Wahlstation in London sicher.
   
Aus eigener Erfahrung sei kurz auf die Vorteile eines Telefoninterviews hingewiesen: Nachdem ich den Kanzleinamen unwissentlich mehrfach englisch ausgesprochen hatte, klärte mein zukünftiger Chef mich auf: »Julia, you are doing a great job pronouncing Fried Frank in English, but it is not like ›Fried Chicken‹. Fried is a Jewish name.« Geplättet stellte ich fest, dass mich meine »Gegenüber« nun wenigstens nicht rot anlaufen sahen. Wunderbar!

Wohnungssuche und Organisatorisches – Referenzen und andere Hürden
Bevor es losgehen konnte, war die wichtigste Frage, wo ich wohnen sollte. Ich wollte auch neben der Arbeit Anschluss an »locals« finden. Deshalb suchte ich eine Zwischenmiete in einer Londoner WG. Zum Glück bekam ich einen unschlagbaren Tipp: Spareroom.uk ist das britische Pendant zu den einschlägigen deutschen Websites. Mit der übersichtlichen App fiel mir die Suche leicht, es gab sogar eine Filterfunktion, die ausschließlich Wohnungen nahe ausgewählter U-Bahn-Linien und weiterer öffentlicher Verkehrsmittel anzeigte. Meine anfängliche Panik, ich könnte in London obdachlos werden, wurde durch die zahlreichen Horrorgeschichten über die Wohnsituation in der englischen Hauptstadt auf Social-Media-Plattformen geradezu beflügelt. Ich schrieb zunächst alle Anbieter an, die seriös wirkten und deren Angebote ansatzweise bezahlbar waren. Als ich erstaunlich viele Rückmeldungen bekam, wurde ich wählerischer. Ich wollte neben dem Full-Time-Job in der Kanzlei schließlich weder Gesellschafterin älterer Herrschaften noch Kindermädchen für junge Familien werden. Am Ende fand ich, was ich gesucht hatte: eine WG im verrückten und aufstrebenden Stadtteil Hackney mit entspannten und liebenswerten berufstätigen Londonern meines Alters, die einem gelegentlichen Glas Wein am Abend nicht abgeneigt waren. Zudem betrug mein Arbeitsweg Tür zu Tür dank Overground (eine oberirdische Londoner S-Bahn) insgesamt nur 35 Minuten. Für mich absolut wichtig, da ich die wenige Zeit, die mir in London blieb, auf keinen Fall an lange Wege verschwenden wollte. So war ich zusätzlich auch an den Wochenenden gut angebunden.
   
Noch etwas habe ich bei der Suche gelernt: Sobald die Zwischenmiete offiziell bei der zuständigen Immobilienagentur eingetragen wird, fallen hierfür Gebühren an, die gut und gerne 400 GBP betragen. Außerdem werden über Gehaltsabrechnungen und Bankbelege der letzten drei Jahre bis hin zu Vermieter- und Arbeitgeberreferenzen alle erdenklichen Nachweise gefordert. Da ich fürchtete, die Agentur würde mein mageres Referendargehalt wohl kaum als ausreichende Sicherheit ansehen, versuchte ich verständlich zu machen, dass ich in London natürlich auch ein Gehalt bekommen würde. Auch suchte ich einen Ausweg dafür, meine etwas betagte deutsche Vermieterin um eine englischsprachige Referenz bitten zu müssen. Zum Glück blieb mir dies alles erspart, und es ergab sich in letzter Sekunde eine Lösung außerhalb des Kompetenzbereichs der Agentur. Hier hilft vor allem Kreativität.
   
Der übrige organisatorische Aufwand war sehr überschaubar. Die zusätzliche Auslandskrankenversicherung schloss ich unkompliziert online ab. Vor Ort musste ich schließlich nur noch eine National Insurance Number beantragen – dies umfasste einen persönlichen Termin bei dem für mich zuständigen Londoner Job Center – und ein Konto eröffnen. Auch finanziell war der Aufenthalt gut zu bewältigen. Zu dem deutschen Referendargehalt kam ein kleines englisches Gehalt dazu, zudem gewährte mir das Land Rheinland-Pfalz, wie andere Bundesländer es ebenfalls handhaben, Trennungsgeld und eine Reisekostenerstattung.

Arbeitsalltag Großkanzlei – »Maybe Julia can help«
Von der ersten Sekunde an – ich hatte gerade erst die beiden Associates kennengelernt – war ich mitten drin. Zu meinem Einstand wurde die meist mehrmals wöchentlich stattfindende Besprechung des Kartellrechtsteams ausführlicher gestaltet und ich bekam anhand der Projektliste einen Überblick über die laufenden Projekte.
   
Es war ein bunter Strauß aus Fusionen in den verschiedensten Phasen von Due Diligence über die weltweite Fusionskontrollprüfung bis hin zur Anmeldung bei nationalen Kartellbehörden, der Gründung eines Joint Ventures sowie verschiedenen allgemein kartellrechtlichen Fragestellungen. Dabei fungiert das Londoner Team stets als Schnittstelle und Koordinator. Es ist verantwortlich für die weltweite Fusionskontrolle und mögliche Anmeldungen und Verfahren. Zumeist – besonders in südamerikanischen und asiatischen Ländern – arbeitet es dabei mit lokalen Kanzleien zusammen. Nordamerika wird von den dortigen Fried-Frank-Teams in Washington und New York abgedeckt, mit denen ein täglicher Austausch besteht. Hinzu kamen Aufgaben aus dem Bereich »Business Development«. Hierunter fallen beispielsweise die Aktualisierung interner Datenbanken sowie das Verfassen von Artikeln, die als »News Alert« die Mandanten zu aktuellen Rechtsentwicklungen informieren.
   
Bereits während der Besprechung stand fest, dass mir nicht langweilig werden würde. Bei vielen der für mich völlig neuen Projekte vermerkte mein Chef gegenüber den beiden Associates »Maybe Julia can help«. Damit war das Motto meiner Wahlstation geschaffen. Vom ersten bis zum letzten Tag sorgte dieser neue Lieblingssatz meines Chefs dafür, dass ich bei den meisten Projekten involviert war. Und das war das Beste, was mir passieren konnte. So bekam ich einen umfassenden Einblick in die verschiedenen Projekte und Aufgaben und erlebte die Vielfältigkeit des Arbeitsalltags der Kartellpraxis.
   
Getreu dem Motto arbeitete ich abwechselnd für die beiden Associates und meinen Chef. Mein Arbeitsalltag gestaltete sich abwechslungsreich. Neben den mir übertragenen Aufgaben war ich bei Telefonkonferenzen dabei, bei wichtigen Gesprächen fertigte ich Protokolle an. Das wurde besonders spannend und manchmal sogar nervenaufreibend, wenn die Teilnehmer der Telefonkonferenz mit mehr oder minder ausgeprägtem Akzent bei schlechter Tonqualität englische Fachtermini verwendeten. Auch an Gesprächen mit möglichen Geschäftspartnern oder einem informellen Mittagessen mit einem Mandanten nahm ich teil. Schließlich gehörte zum Arbeitsalltag die regelmäßige Teilnahme an sogenannten Lecture Series. Auch dies ermöglichte mir die Kanzlei. So hörte ich beispielsweise einen Vortrag von Prof. Dr. Dr. Baudenbacher, dem Präsidenten des EFTA-Gerichtshofs, zu »Shortcuts in Competition Law« vor der eindrucksvollen Kulisse der Gebäude der Gray’s Inn, einer der vier englischen Anwaltskammern.
   
Eine meiner ersten Aufgaben war die Erstellung einer Produktmarktdefinition für Aluminium anhand von Entscheidungen der Europäischen Kommission sowie nationaler Kartellbehörden, insbesondere der britischen Competition and Market Authority (CMA). So erhielt ich einen ausführlichen Einblick in den Aluminiummarkt; ein Bereich der mir – wer hätte es gedacht – mangels Vorkenntnissen absolut fremd war. Entsprechend erschloss ich mir die Fachtermini, die die jeweiligen Produkte bezeichneten, anschaulich anhand von Bilddarstellungen. Für meine Kollegen war dies nicht das erste Projekt auf diesem Gebiet, sodass mein Chef sich nicht nur an einzelne Entscheidungen erinnerte, ihm waren sogar die einzelnen Produktgruppen und Kriterien geläufig. Dies half mir enorm weiter und ich überstand diese erste Aufgabe unbeschadet.

Einige Wochen später konnte ich bei der Erstellung einer Produktmarktdefinition für einen bestimmten Bereich der Modebranche zur Hochform auflaufen. Einerseits war ich mittlerweile vertraut mit der Durchsicht der Entscheidungen und den hierfür verwendeten Portalen. Andererseits verstand ich bereits die Grundbegriffe. Im Zeitraffer schwirrten zahlreiche Bilder bunter Handtaschen, hübscher Kleidung, schicker Schuhe und funkelnden Schmucks durch meinen Kopf. So war es mir ein leichtes, anhand zahlreicher Entscheidungen der Kommission ein anschauliches Cluster der Produktgruppen zu erstellen. Mein Chef quittierte den Arbeitseinsatz scherzhaft mit »Now that it is about fashion, we can’t stop Julia.« Am Ende begeisterte dieses Projekt jedoch auch die in meiner Nähe sitzenden Kolleginnen, die nicht zum unmittelbaren Team gehörten. Für kurze Zeit waren wir einer Meinung mit Karl Lagerfeld: »Stress kennen wir nicht. Wir kennen nur Strass.«
   
Darüber hinaus recherchierte ich zu verschiedenen kartellrechtlichen Fragestellungen und lernte einige Bereiche kennen, die äußerst praxisrelevant sind, jedoch in den universitären Unterlagen zum Kartellrecht ausgeklammert werden. Ich beschäftigte mich zum Beispiel mit Veräußerungszusagen und deren Ausgestaltungsmöglichkeiten und der Auswirkung von Veränderungen des Zusammenschlussvorhabens zwischen Unterzeichnung und Abschluss des Projektes auf eine bereits durchgeführte Anmeldung beim Bundeskartellamt. Im Rahmen der  Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens in Asien wurde ich mangels adäquater Hilfestellung von lokalen Anwälten zum »Korean Expert« ernannt.
   
Meine erste Client Note schrieb ich zu wettbewerblich sensiblen Daten. Ein Mandant wollte wissen, welche Daten zu Verkäufen auf Onlineplattformen zur verkäuferspezifischen Marktanalyse verwendet werden und vor allem an Händler auf diesen Plattformen veräußert werden dürfen. Mein Rechercheergebnis stellte ich zugleich in einem an den Mandanten gerichteten E-Mail-Entwurf dar. Dabei lernte ich folgenden Grundsatz: »Just give the f … answer.« Ich hatte die Ergebnisse aus meinem Memo wie in einem wissenschaftlichen Aufsatz fein säuberlich strukturiert in mehreren Absätzen in eine E-Mail verpackt. Nach dem nicht böse gemeinten Hinweis meines Chefs fiel auch mir wie Schuppen von den Augen: Der Mandant zahlt, damit er schnell und kurz eine Antwort auf seine Frage bekommt. Detailliertere Ausführungen zu dieser Antwort folgen anbei lediglich für den Fall, dass der Mandant mehr erfahren möchte.
   
Zugleich war ich auch an anderer Front gefordert. Bei der monatlichen Telefonkonferenz der Fried-Frank-Kartellpraxis kommen dieTeams aus London, New York und Washington zusammen, um das Tagesgeschäft sowie wichtige rechtliche Neuerungen zu besprechen. Letztere werden im Rahmen von Kurzvorträgen präsentiert. Gleich in meiner ersten Konferenz war ich auserkoren, die umstrittene Altice-Entscheidung der französischen Kartellbehörde darzustellen. Diese hatte wegen gun-jumpings eine Rekordgeldbuße von 80 Millionen EUR verhängt. Nun gab es hierzu zwar eine kurze englische Pressemitteilung der Kartellbehörde sowie einen etwas ausführlichen Artikel auf einer der einschlägigen Datenbanken, jedoch kam ich nicht umhin, mein sehr eingerostetes Schulfranzösisch auszupacken und mangels Übersetzung die etwa 30 Seiten umfassende Entscheidung im Original zu lesen. Allein deshalb ging mein Vortrag wohl als derjenige mit der längsten Vorbereitungszeit in die Fried-Frank-Geschichte ein.
   
Über die gleiche Entscheidung berichtete ich auch im Rahmen eines Vortrages, den unser Team als Kartell-Update für die anderen Londoner Teams vorbereitet hatte. Es galt, die Kollegen für die Bedeutung des Kartellrechts zu sensibilisieren und zu zeigen, dass es wichtig ist das Kartell-Team von Beginn an in ein Projekt einzubeziehen. So hatte ich die Rechtsprechung der Altice-Entscheidung mit unseren Standardverträgen abgeglichen, um sicherzustellen, dass nicht bereits einzelne Vertragsklauseln als gun-jumping zu werten waren.
   
Schließlich arbeiteten wir – quasi als Höhepunkt meiner Wahlstation – in meinen letzten Arbeitstagen unter Hochdruck an der Anmeldung einer Fusion beim Bundeskartellamt, die wir an meinem letzten Arbeitstag einreichten. Damit kam inklusive einiger Recherchearbeiten das deutsche Kartellrecht auch in London nicht zu kurz.
   
Herausragend war für mich die Ausarbeitung eines Artikels, der als News Alert publiziert wurde. Die CMA hatte mit der ersten  Werbekampagne ihrer Geschichte auf ihr Bonusprogramm für Whistleblower aufmerksam gemacht. Mich führte dieses unkonventionelle Handeln der CMA gemeinsam mit meinem Chef und einem der Associates zu meiner ersten Publikation.

Arbeitszeiten und Arbeitsatmosphäre – »Julia, what are you still doing here? Bedtime!«
Damit zum vielleicht wichtigsten Teil, Arbeitszeiten und Atmosphäre. Die offiziellen Bürozeiten von Fried Frank London sind 9.30 – 17.30 Uhr. Morgens bedeutete das für mich als Langschläferin wahnsinnigen Luxus. Bezüglich des Feierabends hatte mein Chef von vorneherein klargestellt, dass er von mir keine Überstunden erwartete, schließlich gebe es in London vieles zu erleben. Letzteres stand außer Frage, aber ich war in London, um den Arbeitsalltag zu erleben. Das funktionierte in meiner Welt nur, wenn ich keine Zuschauerrolle einnahm und keine Sonderkonditionen beanspruchte. Ich wollte so gut es ging ein möglichst gleichwertiger Teil des Teams sein und so blieb ich auch nach 17.30 Uhr. Die gut gemeinten Versuche meines Chefs, mich nach Hause zu schicken schlug ich aus, denn das Arbeitspensum unseres Teams – ohne mich wie gesagt nur dreiköpfig – war wahnsinnig hoch. Da wollte ich keine Ausnahme sein.
   
Die Projekte waren teilweise sehr umfangreich, an einem arbeiteten wir während der gesamten drei Monate, in denen ich Teil des Teams war, fast täglich. Hinzu kamen kleinere Projekte und kurzfristige Angelegenheiten. Dies war nicht planbar, vielmehr musste das Allermeiste direkt erledigt werden. Galt es innerhalb weniger Tage eine Stellungnahme für eine kartellbehördliche Prüfung zu fertigen und diese abzuwenden, wurden Nachtschichten eingelegt. Dabei kommt dem Begriff der Nachtschicht bei der allgemein schon hohen Zahl an Arbeitsstunden eine neue Bedeutung zu. Aber auch die entspannteren und ruhigeren Tage wusste unser Chef mit Arbeit zu füllen. Schließlich gab es interne Datenbanken, die aktualisiert werden mussten, Vorträge, die es vorzubereiten galt und rechtliche Neuerungen, über die unsere Mandanten in einem Artikel per News Alert informiert werden sollten.
   
Ich arbeitete zwar bedeutend weniger als unsere Associates, kam aber dennoch des Öfteren in die Gelegenheit, die Annehmlichkeiten der abendlichen Überstunden in Großkanzleien zu genießen. Ab einer bestimmten Uhrzeit ging das Abendessen per Onlinebestellung und Lieferdienst auf Mandantenkosten, ebenso wie die Heimfahrt im Taxi. Eines Abends kam einer unserer Associates – nur unwesentlich älter als ich – an meinem Schreibtisch vorbei und forderte mich auf »Julia, what are you still doing here? It’s bedtime!«
   
So kam der Humor im Team nie zu kurz. Die bereits erwähnte Präsentation unseres Teams für die Londoner Kollegen enthielt eine Folie, auf der die Köpfe der beiden Associates sowie der meinige in das Filmposter von Charlie’s Angels eingefügt waren. Die Überschrift war nach unserem Chef in »Toby’s Angels« umbenannt. Manchmal überwog aber auch Galgenhumor. Zum Beispiel rief eine von uns vorbereitete farblich abgesetzte Excel-Tabelle, die unsere Mandanten perfekt ausgefüllt zurücksendeten, bei unserer Associate wahre Begeisterungsstürme hervor: »I have never seen something more beautiful than this excel sheet.« Leider war das keine Ironie, meine Kollegen waren gewohnt, das solche Hilfestellungen unsererseits ignoriert wurden und uns alle Informationen nur scheibchenweise und teilweise in letzter Minute mitgeteilt wurden.
   
Einen schönen Ausgleich boten zudem die von der Kanzlei organisierten Events, beispielsweise »Office Drinks« oder ein »Cheese and Wine Tasting« mit Quiz. Keine Frage, dass der erste Preis hierfür an unser Kartellrecht-Team ging. Die Vier-Liter-Rotweinflasche zierte einige Wochen den Schreibtisch unserer Associate. Aber auch über solche Veranstaltungen hinaus war die Stimmung in der Kanzlei teamübergreifend kollegial. Soweit die Zeit es zuließ, fanden sich gelegentlich einige Kollegen für ein gemeinsames Mittagessen in einem der zahlreichen nahegelegenen Restaurants oder auf einem der nahen Märkte. Auch abends ergaben sich einige Gelegenheiten, über die freitags obligatorischen After-Work-Drinks hinaus gemeinsam etwas zu unternehmen. Zum Beispiel nahm ich trotz mangelnder Kenntnisse zu »Coronation Street« und anderen britischen TV-Highlights mit einigen Kollegen an einem Pub Quiz teil.

Fazit: die beste Wahlstation, die ich mir hätte wünschen können
Ich bin froh, meinen lange gehegten Plan der Wahlstation in London in die Tat umgesetzt zu haben. Dank hilfsbereiter Kollegen und einem tollen Team habe ich mich schnell einarbeiten können, und auch mein Wunsch, ein Teil des Teams zu werden, hat sich erfüllt. Auch wenn die Arbeitstage stets gut gefüllt waren, war die Arbeit mit den erfahrenen Kollegen für mich inspirierend. Besonders deren Arbeitstempo beeindruckte mich und ich konnte mir einige Kniffe abschauen. So lernte ich nicht nur fachlich, sondern auch praktisch sehr viel.
   
Zudem habe ich es genossen, London einmal nicht als Besucherin, sondern – zumindest für kurze Zeit – als Einwohnerin kennenzulernen. Zurück in meiner deutschen Heimatstadt vermisse ich nicht nurdie unglaubliche kulturelle und kulinarische Vielfalt. Ich vermisse auch Banalitäten wie den schellen Schritt, mit dem ich mich in London morgens den Fußgängern anschließen konnte. Hier bremst mich jeder zweite mit seinem gemütlichen Trott aus. Für mich war der Schritt ins Ausland jede Mühe wert und ein großer Gewinn.

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