Erfahrungsbericht JA 3/2017
Von
Dr. Navideh Maleki, JA-Redaktion, und Dr. Nassim Eslami, wiss. Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht (Prof. Dr. Christian Wolf) an der Leibniz Universität Hannover | Feb 15, 2017
Tagungsbericht Juristenausbildungsreform 24.11.2016, München
Die Juristenausbildung ist ein streitbares Thema. Streitbar schon deshalb, weil das Leitbild der Juristenausbildung hierfür die Grundlage schafft. Absolventen der juristischen Fakultät werden in Deutschland nämlich nicht auf eine bestimmte Berufsqualifikation vorbereitet, sondern sollen am Ende ihrer Ausbildung die Voraussetzungen eines Einheitsjuristen, im Idealfall die eines Richters, erfüllen. Hierfür setzt das Deutsche Richtergesetz die Rahmenbedingungen fest. Die konkrete Ausgestaltung der Juristenausbildung wiederum liegt in dem Verantwortungsbereich der einzelnen Bundesländer, die zur Konzipierung eines nach Maßgabe des § 5d I 1 DRiG sachgerechten Ausbildungsplans verpflichtet sind.
Diesem Harmonierungsgedanken des Gesetzgebers sind die Bundesländer insoweit nachgekommen, als sie die Grundstruktur des Ausbildungsplans im Sinne einer bundeseinheitlichen Regelung festgelegt haben. Zu verzeichnen sind aber weiterhin differente Lehrpläne der juristischen Fakultäten und damit einhergehend die unterschiedlichen Ausgestaltungen der Prüfungsordnungen.
Dieses zentrale Thema wurde zum Anlass genommen, um auf der von den Zeitschriften Neue Juristische Wochenschrift (NJW) und Juristische Arbeitsblätter (JA) sowie der Leibniz-Universität Hannover veranstalteten Tagung in den Räumen des Verlags C.H.Beck in München am 24.11.2016 mit den Verantwortlichen aus Justiz, Wissenschaft und Praxis richtungsweisende Ansätze für die geplante Juristenausbildungsreform zu erarbeiten.
In seiner Begrüßungsansprache betonte Dr. Hans Dieter Beck, Verleger des Verlages C.H.Beck, die gelungene Organisation der Tagung mit hochkarätigen Vertretern aus Lehre und Praxis. Die Juristenausbildungsreform sei eines der zentralen Themen an den Universitäten und in der Justiz. Aufgrund der gesellschaftlich-politischen Bedeutung sei er überaus erfreut, dass der Verlag Vahlen ein geeignetes Forum für entscheidungsträchtige Diskussionen geschaffen hat.
Diskussionsgrundlage der Tagung war der von Frau Gudrun Schäpers, Präsidentin des Landesjustizprüfungsamtes NRW und Vorsitzende des Koordinierungsausschusses, vorgestellte Bericht des Ausschusses der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung. Dieser erarbeitet bereits seit 2012 Vorschläge für eine weitere Annäherung der Ausbildungs- und Prüfungsordnungen in den Ländern. Ein wichtiger Maßstab für die Bewertung und eine Angleichung bzw. Harmonisierung der Prüfungsordnungen sei nach diesem Bericht der Grundsatz der Gleichwertigkeit der Bedingungen und der Chancengleichheit für die Prüflinge. Allerdings müsse hierbei berücksichtigt werden, dass eine Angleichung angesichts der föderalen Struktur nur begrenzt möglich sei und lediglich Rahmenbedingungen geschaffen werden könnten, um zum einen den Prüflingen Wahlmöglichkeiten im Sinne der Chancengleichheit einzuräumen, und zum anderen Fehlentwicklungen frühzeitig entgegenzusteuern.
Der aktuelle Zustand der Ausbildungs- und Prüfungsbedingungen, der in Zusammenarbeit mit den zuständigen Justizverwaltungen ermittelt wurde, weise jedenfalls konkrete Abweichungen auf, die sich vor allem bei den folgenden Themen ergeben: universitäre Schwerpunktbereichsprüfung, Zulassungsvoraussetzungen zur mündlichen Prüfung und Punktedifferenz zwischen Erst- und Zweitkorrektur. Hinsichtlich der zweiten Staatsprüfung wurden ähnliche Unterschiede wie bei der ersten Staatsprüfung festgestellt, die allerdings nur das Prüfungsverfahren, aber nicht den Vorbereitungsdienst selbst betreffen. Ein weiterer zentraler Untersuchungsgegenstand waren Inhalt und Umfang des Prüfungsstoffs (1. und 2. Staatsprüfung) sowie deren Eignung für ein exemplarisches und methodisches Lehren, ihre Praxisrelevanz und Prüfbarkeit.
In diesem Zusammenhang sprach sich Professor Dr. Joachim Lege von der Universität Greifswald und Vorsitzender des Juristen-Fakultätentages dafür aus, den Katalog des Pflichtstoffs auszuweiten, mit der Konsequenz, dass nur noch Grundkenntnisse der einzelnen Rechtsbereiche und keine detaillierten Rechtsfragen mehr geprüft werden. Ein solides Grundwissen entspreche dem heutigen Leit- und Berufsbild eines Juristen als Generalisten, weshalb auch die Grundlagenfächer zur Vermittlung methodischer Kompetenzen als Pflichtfach obligatorisch sein sollten. Dieser Aspekt wurde von den Teilnehmern mehrheitlich befürwortet, denn es sei sowohl in den Klausuren als auch in der Bearbeitung von Gerichts- und Mandatsakten festzustellen, dass die Grundarbeitstechnik der Studierenden, Referendare und Berufsanfänger erhebliche Defizite aufweise.
Frau Anja Kersting, Richterin am Oberlandesgericht München und Leiterin der Ausbildung für Rechtsreferendare, wies darauf hin, dass neben der juristischen Arbeitsmethodik und Kenntnissen im materiellen Recht, deren Vermittlung dem Bildungsauftrag der Hochschulen zuzurechnen sei, auch das Erlernen von Schlüsselqualifikationen eine besondere Rolle spielen sollte, denn sowohl der fachliche als auch der persönliche Umgang mit Parteien und Mandanten seien essentiell für eine erfolgreiche Rechtsberatung. Eine frühzeitige Vernetzung von Studium und Praxis sei daher ein wichtiger Aspekt, der koordiniert werden sollte. Damit könne nach Auffassung von Frau Miriam Angelstorf vom Personalrat der Rechtsreferendare in Nordrhein-Westfalen zudem vermieden werden, dass das Referendariat wie ein »losgelöster Ausbildungsabschnitt« empfunden wird. Dieser »Loslösung« könne nach Ansicht mehrerer Teilnehmer auch entgegengewirkt werden, indem Prüfungsformate überdacht werden oder auch das Prozessrecht im Rahmen der universitären Ausbildung nicht nur abstrakt, sondern verstärkt mit den Fällen des materiellen Rechts »verzahnt« werde.
Ein weiterer Themenschwerpunkt der Tagung betraf die in dem Bericht enthaltenen Ausführungen zu den Abweichungen im Schwerpunktbereichsstudium der Universitäten. Es wurden nicht unerhebliche Unterschiede bei Umfang, Inhalt und Prüfungsbedingungen des Schwerpunktbereichsstudiums (beispielsweise drei bis sechs Wochen Bearbeitungszeit für die Seminararbeit, Wiederholungsmöglichkeiten) sowie die Uneinheitlichkeit der Leistungsbewertung in der universitären Schwerpunktbereichsprüfung und in der staatlichen Pflichtfachprüfung festgestellt, aber auch zwischen den einzelnen Universitäten.
Es wurde daher die Frage erörtert, ob die Gewichtung von universitärer Schwerpunktbereichsprüfung und staatlicher Pflichtfachprüfung im Verhältnis von 30 zu 70 aufrechterhalten werden solle. Auch die Abschaffung der Schwerpunktbereiche wurde thematisiert. Professor Dr. Christian Wolf von der Universität Hannover sprach sich in seinem Vortrag über die Rolle der Lehre für die Dogmatik für den Erhalt und gegen eine Reduzierung der Schwerpunktprüfung aus. Die Stärkung der Wissenschaftlichkeit sei zwar ein Erwägungsgrund für die Einführung des Schwerpunktbereichs gewesen, aber sie stelle keine essentielle Voraussetzung für wissenschaftliches Arbeiten dar. Allerdings fördere der Schwerpunktbereich eine breitere Fächerung der Interessengebiete für Studenten, die ihrer fachlichen Neigung entsprechend eine selbstbestimmte Auswahl treffen können.
Professor Dr. José Martinez, Studiendekan der Universität Göttingen, führte weiter aus, dass das Schwerpunktbereichsstudium die Voraussetzungen für grundlegende Forschung und Entwicklung schaffe. Frau Rechtsanwältin Dr. Petra Linsmeier (Gleiss Lutz München) bezweifelte die Förderung wissenschaftlichen Arbeitens durch den Schwerpunktbereich. Jedoch werde die frühzeitige Schwerpunktsetzung damit ermöglicht, was von der Rechtsanwaltschaft sehr begrüßt werde. Den Ausführungen von Frau Schäpers zustimmend, wies Frau Dr. Linsmeier auf die sichtbare Notendifferenz zwischen der Schwerpunktbereichsprüfung und dem staatlichen Teil hin, was auch Auswirkungen auf interne Bewerbungsverfahren habe. Mehrheitlich wurde von den Teilnehmern eine Abschaffung des Schwerpunktbereiches trotz der offensichtlichen Defizite abgelehnt, eine Reduzierung sei tragbar.
Ebenfalls thematisiert wurde eine Reduzierung des Pflichtfachstoffes. Professor Dr. Hans Kudlich von der Universität Erlangen-Nürnberg wies in seiner Moderation darauf hin, dass die Masse des Pflichtfachstoffs sich allein durch den gesellschaftlichen und technischen Wandel erheblich erweitert habe (zB durch die Möglichkeit von Vertragsabschlüssen im Internet etc). Insofern sei nach Professor Dr. Stephan Lorenz von der Universität München eine Erleichterung des Prüfungsumfanges in Betracht zu ziehen. Zum einen müsste der Pflichtfachstoff auf seine Prüfungswirklichkeit und -relevanz hin erneut durchdacht werden. So könne er sich beispielsweise aufgrund der hohen praktischen Bedeutung keinesfalls für eine Kürzung des IPR aussprechen. Zum anderen dürften die Examenssachverhalte nicht losgelöst von den Prüfungsinhalten der Universitäten erstellt werden.
Professor Dr. Martin Burgi, Universität München, plädierte wiederum für eine Kürzung im Öffentlichen Recht (zB Streichung Bund-Länder-Streit, Vertragsverletzungsverfahren), weil entsprechende Verfahren in der Rechtsrealität für die Masse der Juristen nicht zur Tagesordnung gehören. In diesem Sinne sprach sich auch Professor Dr. Christian Jäger von der Universität Erlangen für das Strafrecht aus. Es gebe im Strafrecht zahlreiche Bereiche, die keine Prüfungsrelevanz aufwiesen und in denen Kenntnisse von den Studierenden abverlangt würden, die zunächst nicht erforderlich seien. Einigkeit bestand darin, dass Klausuren mit »Augenmaß« erstellt werden und die Korrektoren mehr Flexibilität bei alternativen Lösungen zeigen sollten.
Herr Tobias Freudenberg (NJW-Schriftleiter) bedankte sich abschließend bei den Referenten und Teilnehmern der Tagung für ihr Erscheinen sowie für die rege und kontroverse Diskussion. In seinem Resümee stellte er fest, dass wichtige Aspekte besprochen wurden, die sicherlich für die Juristenausbildungsreform bedeutsam sind und bei deren Umsetzung Berücksichtigung finden sollten.