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Erfahrungsbericht JA 7/2016

Von Eray Gündüz, Tübingen | Jun 24, 2016

»Club der toten Richter« – Erfahrungen mit dem Lernen anhand von Urteilen

I. Einleitung

Die richtige Lernmethode zu finden ist die wichtigste Grundvoraussetzung für einen guten Lernerfolg. Neben Lehrbüchern, Fallbüchern, didaktischen Zeitschriften und Skripten spielen Urteile bzw. Urteilsanmerkungen in diesem Zusammenhang jedoch meist eine geringe Rolle. Zu Unrecht, wie ich meine. Gerade Urteile, insbesondere höchstinstanzliche, sind vorbildhafte Quellen, in welchen exemplarisch auf konkrete Rechtsprobleme eingegangen wird. Gerade ein Gespür für und ein Verständnis von konkreten Rechtsproblemen sind dabei wichtige Voraussetzungen für ein solides Examen. Der gewinnbringende Umgang mit solchen – zwar bekannten, aber nur unregelmäßig genutzten –  Quellen erfordert jedoch einiges an Erfahrung, wenn man einen profitablen Nutzen daraus ziehen möchte. An der Universität Tübingen hat sich im Wintersemester 2014/2015 – in namentlicher Anlehnung an einen bekannten Spielfilm – ein (inoffizieller) »Club der toten Richter« gegründet, der gerade mit dieser Lernmethode das Rechtsverständnis über den Tellerrand hinaus schulen möchte. Anfangs noch ein zäher und mühseliger Pflichttermin, inzwischen jedoch eine spaßige, kleine Runde von Studenten, die sich regelmäßig zum Diskutieren von Urteilen treffen.  Der folgende Bericht soll einige methodische Erfahrungen mit diesem Lernprinzip an andere Jurastudenten weitergeben, damit sie diese nicht selbst machen müssen und von Beginn an effektiv lernen können. Zugleich sollen die Leser ermutigt werden, selbst einen »Club der toten Richter« ins Leben zu rufen. Die Beschränkung auf das Zivilrecht ist lediglich eine persönliche Vorliebe – die Methode lässt sich selbstverständlich in allen Rechtsgebieten anwenden.

II. Die richtige Literatur

Ohne die richtige Literaturgrundlage ist ein solches Projekt zum Scheitern verurteilt. Die deutschen Gerichte verkünden jedoch täglich unzählige Urteile. Welche soll man nun nehmen? Zum einen lohnt es sich in Lehrbüchern, Skripten und Zeitschriften in die Fußnoten zu schauen. Wenn dort Rechtsprechung zitiert wird, dann lohnt sich mit Sicherheit ein Blick in die aufgeführten Urteile. Wenn Anmerkungen dazu vorhanden sind, dann lohnt es sich gleich doppelt: Die Chance, dass es sich um ein diskussionswürdiges Urteil handelt, ist sehr hoch. Erfreulicherweise kann man es sich aber auch einfach machen und auf vorhandene Urteilssammlungen zurückgreifen. Das ist auch meine Empfehlung. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Zusammenstellung von Schack/Ackmann mit dem Titel »Das Bürgerliche Recht in 100 Leitentscheidungen«, 6. Aufl. 2011. Dabei handelt es sich nicht nur um eine exzellente Auswahl an besonders wichtigen Klassikerurteilen mit besonders hoher Examensrelevanz. Die Autoren geben am Ende jedes Urteils Hinweise auf Anmerkungen, weiterführende Literatur und Rückfragen, die zu einer  lebhaften Diskussion anregen. Auch wenn der Preis mit 32 EUR für den Studenten nicht auffällig erschwinglich ist, lohnt sich die Anschaffung allemal: Das eigenständige Heraussuchen der Urteile, um diese danach zu kopieren würde je nach Höhe der zugrunde zu legenden Kopierpreise ohnehin geschätzt ca. 15–25 EUR kosten und ist dabei um ein vielfaches aufwendiger. Der Griff in den Geldbeutel sollte sich deshalb in der Regel nicht als Fehlgriff erweisen.

III. Die richtige Vorbereitung

Hat man sich die passende Literaturgrundlage besorgt, kann man theoretisch schon loslegen. So haben wir es damals gemacht – mit ernüchterndem Ergebnis. Das spontane Treffen mit anschließender gemeinsamer Lektüre hat sich als wenig ergiebig herausgestellt. Wie auch die Autoren Schack/Ackmann, falls man sich für ihr Werk als Grundlage entscheidet, empfehlen, sollte man sich viel Zeit für die Lektüre der Urteile nehmen. Beginnt man damit erst bei der Zusammenkunft, kann eine Sitzung schon einmal drei Stunden auf sich nehmen. Dass die Konzentration und Arbeitsbereitschaft dabei nachlässt, klingt sicher einleuchtend. Es empfiehlt sich daher, das Urteil schon zu Hause sorgfältig zu lesen und aufzubereiten. Dabei sollten Stellen, die man nicht verstanden hat oder mit denen man Probleme hatte, ausnahmslos (!) in Farbe angestrichen werden. Das hat den Vorteil, dass man mit den anderen abgleichen kann, ob diese an ähnlichen Stellen Verständnisprobleme haben. Falls mehrere ersonen an derselben Stelle Probleme haben, kann dies schon ein Indiz für Diskussionsbedarf sein: Argumentiert das Gericht hier überhaupt plausibel oder rühren die Verständnisprobleme daher, dass hier schlicht unplausibel oder sogar logisch falsch argumentiert wird?
Neben der Lektüre des Urteils lohnt es sich, weiterführende Literatur heranzuziehen und vorzubereiten. Ins Auge schießen in diesem Fall natürlich in erster Linie Anmerkungen zu den jeweiligen Urteilen. Diese sollten zwar gelesen werden – es empfiehlt sich jedoch, dass zwei Gruppen gebildet werden: Die eine liest im Vorfeld schlicht das Urteil, die andere liest zusätzlich dazu eine Anmerkung. Das mag zunächst merkwürdig klingen, folgt jedoch aus folgendem Befund: BGH-Richter und Verfasser von Urteilsanmerkungen (meist ohnehin Professoren) sind natürlich deutlich geschultere Juristen als wir Studenten es sind. Sowohl das Urteil als auch eine ggf. kritische Anmerkung klingen deshalb in der Regel wahnsinnig überzeugend. Auffällig war deshalb eine Art »Meinungshopping« der Studenten. Damit ist gemeint, dass die zuletzt gelesene »Instanz« meist am überzeugendsten klang. Während man, nachdem man sich einige eigene Gedanken zum Sachverhalt gemacht hat, das BGH-Urteil liest, findet man dies auffällig oft völlig überzeugend. Selbst Kritik daran zu üben fällt zumindest am Anfang des Studiums ungemein schwer. Liest man danach aber die kritische Anmerkung von »Prof. Dr. XYZ«, dann schickt man die soeben gewonnenen Überzeugungen gerne schnell ins Jenseits. Gibt es eine zweite Anmerkung mit abweichender Meinung, dann glaubt man erneut, eine neue Wahrheit entdeckt zu haben. Die Diskussion könnte deshalb schnell verflachen, wenn alle Teilnehmer die Überzeugung des Anmerkungsverfassers teilen. Bildet man jedoch zwei Gruppen, dann bilden sich schnell zwei Fronten und es entstehen hitzige Debatten. Das schult etztlich das eigenständige Überdenken der jeweiligen Positionen, sodass der »Meinungshopping«-Effekt sich irgendwann einstellen wird.  Für den Beginn empfiehlt sich diese Strategie aber erfahrungsgemäß allemal.

IV. Der organisierte Ablauf

Sind die Vorbereitungen gewissenhaft absolviert, dann ist die Gefahr eines chaotischen Ablaufs zwar schon deutlich minimiert, einige kleine Anweisungen können jedoch helfen, den Ablauf weiter zu optimieren. Als wichtigste hat sich herausgestellt, einen Moderator zu bestimmen. Das kann immer dieselbe Person sein, ein rotierendes System ist jedoch abwechslungsreicher. Der Moderator sollte den Sachverhalt kurz  skizzierend erläutern. Danach soll er – am besten schon zu Hause vorbereitet – versuchen, das konkrete Rechtsproblem bzw. das Hauptproblem in einem Satz offenzulegen. Das wird oft nicht einfach oder sogar beinahe gar nicht zu bewerkstelligen zu sein. Es schult jedoch die Schwerpunktsetzung und den Blick für das Wesentliche. Wenn sogar alle Teilnehmer einen solchen Satz vorbereitet haben, dann kann wieder abgeglichen werden. Falls unterschiedliche Probleme gesehen werden, kann schon jetzt diskutiert werden.
Falls nicht, dann kann die Diskussion beginnen. Der Moderator nimmt zunächst selbst Stellung und gibt dann das Wort weiter. Oft entsteht schon von alleine eine lebhafte Diskussion. Erschlafft diese, dann helfen die Anregungen von Schack/Ackmann – sie sollten ohnehin diskutiert werden, selbst wenn man ohne sie eine lebhafte Diskussion zustande bekommt. Meistens sprechen sie Punkte an, auf die man selbst nur schwer kommt.
Während der Diskussion sollte fleißig mitgeschrieben werden. Notiert man dies alles zusammen mit der Ein-Satz-Zusammenfassung auf einer Karteikarte, dann hat man eine exzellente Wiederholungsgrundlage für die Examensvorbereitung. Sollte man tatsächlich alle einhundert Urteile aus dem Schack/Ackmann auf diese Weise durcharbeiten, dann hat man einen umfassenden Überblick über zivilrechtliche Grundlagen und Klausurprobleme. Es wäre schon fast unwahrscheinlich, auf diese Weise keinen einzigen Treffer zu landen.

V. Vorteile und Zusammenfassung

Wie gesehen kann das Lernen anhand von Urteilen eine ernsthafte Alternative oder Ergänzung zu den konventionelleren Lernmethoden darstellen. Findet man sich in einer Gruppe zusammen, gründetman also auch einen »Club der toten Richter«, dann ist es mit Sicherheit zumindest die spaßigere. Neben juristischem Grundlagenwissen werden so auch elementare »softskills« trainiert: Nicht nur die hartnäckige Verteidigung der eigenen Position, sondern auch das gemeinsame Finden von Kompromisslösungen werden geschult. Außerdem lernt man die juristische Sprache in Urteilen besonders gut kennen. Darüber hinaus werden auch Präsentationskompetenzen verbessert. Alles in allem sollten dies genug Gründe dafür sein, es zumindest einmal auszuprobieren: Wer noch zusätzliche Motivation benötigt, der sei an die Möglichkeit eines gemeinsamen Umtrunkes nach jeder Sitzung erinnert.

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