Dr. iur. h.c. Barbara Lange, LL.M. (London)
Examen erfolgreich – Mit Plan zum Ziel
Die Erste Juristische Prüfung ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Das hört man immer wieder. Wer sie erfolgreich bestehen will, braucht nicht nur Ausdauer, sondern muss auch wissen, wie man seine Kräfte richtig einteilt. Denn die eigentliche Herausforderung liegt nicht nur im Stoffumfang, sondern vor allem in der klugen Planung: Wann beginnt man mit der Vorbereitung? Wie setzt man Schwerpunkte? Und welche Strategie bringt einen sicher ins Ziel?
Dr. iur. h.c. Barbara Lange, LL.M. (London), Rechtsanwältin, Lehrbeauftragte an den Universitäten Bochum, Halle-Wittenberg und Passau und Autorin des Studienratgebers Jurastudium erfolgreich (9. Auflage im Erscheinen), erklärt, worauf es in der Vorbereitung auf die schriftlichen Klausuren wirklich ankommt, welche Fehler man vermeiden sollte – und warum am Ende nicht nur Wissen, sondern auch die richtige Herangehensweise über den Erfolg entscheidet.
JA-Redaktion: Frau Lange, das Staatsexamen, genau gesagt die schriftliche Staatsprüfung, gilt als größte Hürde im Jurastudium. Wann sollte man mit der gezielten Vorbereitung beginnen?
Dr. Barbara Lange: Vorab möchte ich betonen, dass Studienverläufe sehr unterschiedlich sind. Erfolgreiche Studierende haben sich auf ganz unterschiedliche Arten auf ihr Examen vorbereitet. Viele individuelle Lernaktivitäten führen zum Erfolg. Daher sind auch alle meine Anregungen immer an die persönliche Situation anzupassen.
Doch jetzt zu Ihrer Frage: Die meisten Studienpläne unterscheiden zwischen dem Studium und der anschließenden Examensvorbereitungsphase. Diese »eigentliche« Examensvorbereitungsphase dauert bei den meisten Studierenden zwischen 12 und 18 Monaten. In dieser Phase steht das Lernen auf die schriftlichen Klausuren der Staatsprüfung ganz eindeutig im Vordergrund. Wenn möglich, sollte diese Phase frei von anderen Prüfungen zB im Schwerpunktbereich sein. In diese Phase der gezielten Vorbereitung sollte also spätestens 12 Monate vor den Klausuren eingestiegen werden.
Genau genommen muss man aber die Frage, wann man mit der gezielten Vorbereitung beginnt, anders beantworten. Das gesamte Studium ist eine Vorbereitung für das Examen. Denn das Vorwissen und die Kompetenzen, die man schon in die Examensvorbereitungsphase mitbringt, ermöglichen es, die eigentliche Examensvorbereitungsphase viel besser zu nutzen. Größere Lücken im Grundlagenwissen aus den sechs bis acht Semestern vorher kann man in einer 12-monatigen Examensvorbereitungsphase kaum so aufholen, um gut abzuschneiden.
Eine gezielte Vorbereitung auf das Examen bedeutet, vom ersten Semester an systematisch Rechtsgebiet für Rechtsgebiet zu erarbeiten, sich konkrete Studien- und Lernziele für die Rechtsgebiete zu setzen und Grundlagenverständnis zu entwickeln. Auf diese Weise schaffen Sie eine solide Wissensbasis für die Examensvorbereitungsphase. Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass man alle Versäumnisse aus dem Studium in der »langen« Zeit der Examensvorbereitung nachholen kann. Je früher man das im Studium begreift, desto besser.
Zur Veranschaulichung rechne ich Studierenden manchmal vor, wie schnell 12 Monate Examensvorbereitung vergehen. Der Prüfungsstoff in der Staatsprüfung umfasst nach den Prüfungsordnungen ungefähr 25 (Teil-)Rechtsgebiete. Wenn Sie also ein Jahr Examensvorbereitungsphase planen, sind das 52 Wochen abzüglich mindestens vier Wochen Ausfallzeiten für Weihnachten, Ostern, Krankheit, Erholungsbedarf etc. Bleiben also maximal 48 Wochen. Vier bis sechs Wochen vor dem Termin beginnen Sie mit einer Gesamtwiederholung. Bleiben also 42 bis 44 Wochen. Wenn Sie 42 Wochen durch 25 Rechtsgebiete teilen, kommen rein rechnerisch nicht einmal zwei Wochen für jedes Rechtsgebiet heraus. Nur um ein Missverständnis zu vermeiden: Tatsächlich lernen Sie nicht jedes Rechtsgebiet in der Examensvorbereitung dann genau innerhalb der knapp zwei Wochen, sondern Sie nehmen sich für zentrale Rechtsgebiete mehr und für Nebengebiete weniger Zeit. Während des Studiums hatten Sie aber zum systematischen Erarbeiten eines Rechtsgebiets in der Regel ein ganzes Semester zur Verfügung.
Ist ein früher Start also immer von Vorteil – oder kann man sich auch zu früh vorbereiten? Ein zu früher Start liegt vor, wenn die Lücken in den Rechtsgebieten noch so groß sind, dass nicht zu erwarten ist, sie in der geplanten Zeit der Examensvorbereitung schließen zu können. Ungünstig ist auch, wenn man ohne richtigen Plan einfach anfängt, dann aber den Prüfungstermin immer wieder nach hinten verschiebt. In der Regel sollte die intensive Examensvorbereitungsphase nicht länger als 24 Monate dauern. Bei einer zu langen Dauer steigt die Gefahr, dass Motivation und Konzentration sinken.
In Ihrem Buch Jurastudium erfolgreich betonen Sie die Bedeutung einer klugen Planung. Was ist der erste sinnvolle Schritt in der Examensvorbereitung?
Das alte Sprichwort »Gut geplant ist halb gewonnen« gilt unbedingt. Der erste Schritt ist eine gut durchdachte Planung. Zu dieser Planung gehört es, sich ganz bewusst Zeit zu nehmen für folgende Punkte:
(1) Machen Sie sich Gedanken über Ihr persönliches Modell der Examensvorbereitung. Welche Lernquellen will ich wie verwenden, zB will ich die Unterstützung durch ein Unirepetitorium, durch ein privates Repetitorium oder durch eine private Examensvorbereitungs- Arbeitsgemeinschaft in Anspruch nehmen.
(2) Erstellen Sie spätestens jetzt eine eigene Übersicht, welcher prüfungsrelevante Stoff in welchem Umfang und in welcher Tiefe zu können ist.
(3) Führen Sie darauf aufbauend eine individuelle Stärken-Schwächen- Analyse der bisher erlangten Kompetenzen in allen prüfungsrelevanten Rechtsgebieten durch (welchen Stoff kann ich in welchem Umfang, wo sind Lücken, wo fühle ich mich besonders unsicher).
(4) Stellen Sie fest, wieviel Zeit Sie überhaupt für die Examensvorbereitung zur Verfügung haben, und zwar insgesamt, pro Woche und auch pro Wochentag.
(5) Zudem ist der Beginn der Examensvorbereitungsphase der späteste Zeitpunkt, an dem Sie sich grundsätzlich damit befassen sollten, wie effektives, effizientes, langfristiges Lernen funktioniert. Der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer hat einmal gesagt, Lernende könnten es sich nicht leisten, sich nicht mit dem Gehirn und dem Lernen zu beschäftigen. Ich bin der Auffassung, jedenfalls Jurastudierende vor der Examensvorbereitungsphase sollten es sich nicht leisten, lernförderliche Faktoren für langfristiges Lernen zu ignorieren. Reflektieren Sie daher, welche Lernaktivitäten (zB Karteikarten, Diskussionen, Mindmaps) und Lernstrategien bei Ihnen wirken und wie Sie Ihr Lernverhalten in der Examensvorbereitungsphase optimieren können. Spätestens mit dem Beginn der Examensvorbereitung muss man Abschied vom Bulimielernen nehmen und sich intensiv mit lernfördernden Techniken und Strategien beschäftigen, damit man langfristig Wissen (das bis zum Zweiten Examen »hält«) aufbauen und in Klausuren umsetzen kann.
(6) Zur Planung gehört auch, sich Gedanken zu machen, wie Sie sich körperlich fit halten. Ich nenne hier nur Stichworte wie Ernährung, Bewegung, Entspannung, Pausen und Freizeit ohne Reue.
Zusammengefasst: Der erste sinnvolle Schritt ist also die Vorbereitung der Examensvorbereitung.
Wie detailliert sollte ein langfristiger Lernplan sein – und wann ist es sinnvoll, flexibel zu bleiben?
Auch hier gilt: Es gibt unterschiedliche Planungstypen. Manche brauchen eher detailliertere Pläne, andere fühlen sich mit solchen Plänen unwohl. Allgemein ist der langfristige Lernplan ein Gesamtplan oder Grobplan für die Examensvorbereitungsphase. Dieser hat die wichtige Funktion des Überblicks und der Orientierung. Er ist noch nicht sehr detailliert, sondern legt die groben Eckdaten fest, zB wann die Erarbeitungsphase endet und die Gesamtwiederholungsphase kurz vor den Klausuren beginnt. Planen bedeutet, aus heutiger Sicht vorläufig zukünftige Tätigkeiten festzulegen. Gute realistische Pläne lassen immer Raum für Flexibilität. Viele Studierende planen lieber nicht langfristig, weil sie Angst haben, dass der Plan »schiefgeht«. Pläne gehen aber nicht schief, sondern waren entweder unrealistisch oder die Umstände haben sich geändert. Im Gesamtplan verteilt man den Stoff auf die zur Verfügung stehende Zeit. Aus dem Gesamtplan entwickeln sich dann Quartalspläne und Monatspläne, die deutlich detaillierter werden. Am Ende nutzen die meisten einen Wochenplan, der wie ein Stundenplan aufgebaut ist, aber auch konkrete Tagesziele enthalten sollte.
Wie geht man mit der enormen Stoffmenge um, ohne sich in Einzelheiten zu verlieren?
Hier hilft die ständige Ausrichtung des Lernens auf die konkrete Prüfungsanforderung, dh das, was in einer schriftlichen Klausurbearbeitung erwartet wird. Das steht mit ähnlichem Wortlaut in allen Ausbildungsgesetzen oder Prüfungsordnungen der Bundesländer. Ziel und Anforderung ist, am Ende des Studiums das Recht zu verstehen und es mit Verständnis anwenden zu können. Wesentlich für den Erfolg in Klausuren ist also das Verstehen der Gesetzessystematik, der Grundstrukturen und der wesentlichen Normen sowie die Kompetenz zur methodisch richtigen Anwendung der Normen. Es geht also beim täglichen Lernen nicht darum, Skripte oder Lehrbücher »abzuarbeiten«, um sie abhaken zu können, sondern immer darum, sich mit den zentralen Normen im jeweiligen Rechtsgebiet zu beschäftigen, deren Sinn und Zweck (ratio) zu verstehen, deren Auslegungsmöglichkeiten und deren Relevanz für eine gelungene Fallbearbeitung zu verstehen. Dogmatik und Methodik, Querschnittwissen und Transferfähigkeit sind das A und O in der Vorbereitung. Dann können Sie in den Klausuren auch mit unbekannten Problemen umgehen.
Viele Studierende lernen »auf Lücke«. Ist das eine legitime Strategie – oder ein gefährliches Spiel?
Wenn es um Wissen geht, das erforderlich ist, um eine Klausur zu bestehen, ist Lernen auf Lücke stets ein gefährliches Spiel. Lernen auf Lücke ist meines Erachtens keine Strategie, sondern eine Notlösung, wenn man zum Examen angemeldet ist und die Vorbereitungszeit aus welchen Gründen auch immer plötzlich nicht mehr für alles Erforderliche reicht. Dann muss man entscheiden, auf was man am ehesten verzichten kann. Aber größere Lücken können sich leider rächen, entweder zeitnah in der mündlichen Staatsprüfung oder später im Zweiten Staatsexamen. Um auch hier nicht missverstanden zu werden: Es geht nicht darum, alles ins Detail zu lernen, vielmehr geht es um die Schwerpunktsetzung und die passenden Lernmethoden.
Wie setzt man allgemein Schwerpunkte und wie setzt man persönliche Schwerpunkte?
Wichtig sind die Kernbereiche in jedem Rechtsbereich, zB im Zivilrecht die ersten drei Bücher des BGB, zB im Öffentlichen Recht die Grundrechte und das Allgemeine Verwaltungsrecht sowie die Prozessordnungen, zB im Strafrecht die häufig geprüften Delikte und die Standardprobleme im Allgemeinen Teil. In diesen Kernbereichen wiederum sind die zentralen Normen und deren Zusammenspiel besonders relevant. Besonders wichtig aber ist, die persönlichen Schwerpunkte so zu setzen, dass man den Stoff so gut und umfassend wie erforderlich auch durchdringt. Da hilft es, sich vorab einen Überblick über das Rechtsgebiet zu verschaffen, die wesentlichen Lerninhalte festzustellen und eine Stärken-/Schwächenanalyse vorzunehmen. Nehmen wir das Rechtsgebiet BGB Allgemeiner Teil: Wenn Sie im ersten Studienjahr eine Klausur und zusätzlich noch eine Hausarbeit zum Stellvertretungsrecht geschrieben hatten, wissen Sie dazu vielleicht mehr als zu den anderen Bereichen im Allgemeinen Teil, konkret zu Geschäftsfähigkeit und Willensmängeln. Das würde bedeuten: In der Examensvorbereitung sollten Sie mehr Lernaufwand für die Vertiefung der §§ 104 – 144 BGB als auf das Stellvertretungsrecht in §§ 168 – 181 BGB einplanen. Ich nenne hier bewusst die Normen, weil mir in mündlichen Prüfungen auffällt, dass Studierende sich teilweise wenig oder auch weniger als früher wirklich im Gesetz auskennen. Grundsätzlich ist eine große Gefahr in der knappen Zeit der Examensvorbereitung, sich zu viele Details merken zu wollen oder bei der Vertiefung eines Rechtsgebiets an Detailfragen hängen zu bleiben. Dann sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Erfolgreiche Examenskandidaten sagen, sie hätten sich vor allem auf die Grundstrukturen fokussiert. Es nützt Ihnen nichts, wenn Sie zu einem Streitstand zahlreiche Einzelmeinungen kennen, aber nicht alle wirklich verstanden haben. Sie müssen gut argumentieren können und in der knappen Klausurzeit einige Argumente sehr überzeugend formulieren können. In Klausuren fehlt es in der Regel nicht an Wissen, sondern an der Methode.
Welche Rolle spielt das Klausurtraining in der Vorbereitung – und wie baut man es am besten in den Lernplan ein?
Das Klausurtraining spielt eine sehr wichtige Rolle. Eine »spontane« gelungene Umsetzung ihres Wissens in Klausuren gelingt nur ganz wenigen Studierenden. Das ist auch absolut nachvollziehbar. Niemand läuft einen Marathon, ohne das Laufen vorher trainiert zu haben. Zum Klausurtraining gehört aber nicht nur das Schreiben von fünfstündigen Probeklausuren. Extrem wichtig ist die nachträgliche Analyse der Klausur und das Lernen aus seinen Fehlern. Hierzu gibt es wertvolle Hilfestellungen. Erstellen Sie nach und nach eine persönliche Checkliste, was Sie bei der Klausurbearbeitung besonders beachten müssen. Einen besonderen Lerneffekt hat man, wenn man Klausuren im Abstand von zwei bis drei Wochen noch einmal liest und dann nicht gelungene Klausurteile erneut formuliert. Dies kann man gut in andere Lerntage einbauen, weil man hier kürzere Einheiten vorsehen kann. Konkretes Beispiel: In der Klausur waren vertragliche und gesetzliche Ansprüche zu prüfen. Die gesetzlichen Ansprüche wurden unbefriedigend geprüft. Die erneute Formulierung zwei Wochen später dauert dann nur ca. eine Stunde, weil der Sachverhalt und der Lösungsweg schon bekannt sind, und es jetzt darum geht, eine möglichst gelungene Lösung zu formulieren. Manchen erscheint so etwas als total überflüssig. Aber Sportler trainieren auch gezielt das, was sie nicht gut konnten. Zur Analyse der Klausurbearbeitung gibt es im Übrigen sehr gute Angebote der Universitäten, zB Klausurenkliniken oder Einzelcoachings. Zum Klausurtraining zähle ich auch ein konkretes Argumentationstraining. Darunter verstehe ich, dass man schon direkt nach der Erarbeitung von Streitständen anhand eines konkreten Fallbeispiels eigene Formulierungen entwirft, die den Streitstand in überzeugender Form darstellen. Viele Studierende sind in der Lage, zu einem Streitstand abstrakt die wichtigsten Argumente aufzuzählen, aber die überzeugende, stringente Darstellung in der Klausur kostet dann (zu) viel Zeit oder misslingt sogar. Strategisch sollte man bei vielen Argumenten auch überlegen, welche Argumente bei knapper Schreibzeit besonders geeignet sein können und wie man diese Argumente in einer Gesamtwürdigung überzeugend zur Geltung bringen kann. Um Missverständnisse an dieser Stelle zu vermeiden: Es geht um ein Training, nicht um das Erstellen von Textbausteinen und erst recht nicht um das Auswendiglernen dieser Textbausteine. Jede Argumentation ist immer auf den Einzelfall bezogen aufzubauen. Ein solches Argumentationstraining findet also immer statt, wenn man beim Lernen auf einen Streitstand trifft.
Sollte man von Anfang an Klausuren schreiben oder erst ein solides Grundlagenwissen aufbauen?
Ja, ich halte es für sinnvoll, von Anfang an Probeklausuren zu schreiben.
Erstens machen Sie sich mit dem Gefühl vertraut, nach dem Lesen des Sachverhalts zu glauben, einfach nichts dazu zu wissen und gleich wieder aufhören zu können. In der Prüfung wollen Sie aber nicht gehen. Daher ist wichtig, Vertrauen in sich selbst zu entwickeln und sich zu sagen: Das wichtigste Hilfsmittel habe ich immer dabei, nämlich das Gesetz. Nach sechs, sieben oder acht Semestern Jurastudium haben Sie auch immer einen gewissen »juristischen Verstand« dabei. Daher stellen Sie sich der Aufgabe. Blättern Sie im Gesetz, suchen Sie Anhaltspunkte, suchen Sie Parallelen, besinnen Sie sich auf die Grundsätze. Ich bin sicher, es wird Ihnen zur Lösung etwas einfallen.
Zweitens können Sie in jeder Klausur drei Dinge trainieren: richtiges Zitieren der Normen, die Ihnen einfallen, die genaue Subsumtion dieser Normen und vor allem das Identifizieren von Schwerpunkten. Auch wenn Ihre Lösung unvollständig oder nicht richtig ist, können Sie sich immer den Problemen stellen und versuchen, diese argumentativ zu lösen. Viele Klausurnoten sind deswegen so niedrig, weil die Bearbeiter die Problempunkte nicht adressieren. Das ist so ähnlich, wie wenn Pferde beim Springreiten den Sprung über das Hindernis verweigern oder dem Hindernis ausweichen.
Drittens bekommen Sie ein Gefühl für die Zeiteinteilung. Nur wenn Ihnen wirklich nichts mehr einfällt, macht es keinen Sinn, die restliche Klausurbearbeitungszeit einfach »abzusitzen«. Dann wechseln Sie lieber zu einer sinnvollen Lernaktivität.
Die Noten der ersten Probeklausuren sind natürlich weit weg von den Erwartungen, die man an seine Examensnoten hat. Aber davon sollten Sie sich nicht verunsichern lassen. Sinnvoll ist, eine Liste über die geschriebenen Probeklausuren zu erstellen, in die man die Ergebnisse aller Probeklausuren einträgt. Dann hat man einen Überblick, wie viele Probeklausuren man in den einzelnen Rechtsbereichen mitgeschrieben hat. Wenn man dazu mehr notieren will, zB Noten, Schwerpunkte der Klausur, eigene Fehler, kann man dies zu einer Art Probeklausurenportfolio ausweiten.
Wie viele Probeklausuren sollte man insgesamt schreiben?
Das hängt von vielen individuellen Faktoren ab, weswegen man keinen verbindlichen Rat geben kann. Eine wirklich grobe Faustregel nennt ca. 40 Klausuren. Wenn man in zwölf Monaten Examensvorbereitungsphase jede Woche eine Probeklausur schreibt, kommt man in etwa auf diese Anzahl (52 Wochen abzüglich die letzten sechs Wochen vor der Prüfung und sechs Ausfallwochen). Erfolgreiche Absolventinnen und Absolventen sagen häufig, sie hätten eher mehr Probeklausuren (60 bis 80 oder darüber) geschrieben.
Übrigens: Nach einer fünfstündigen Probeklausur kann man effektiv nicht mehr viel an diesem Tag lernen, eventuell mit ausreichender Pause noch etwas wiederholen. Ansonsten sollte man diesen Klausurtag dann für Tätigkeiten nutzen, die grundsätzlich auch zu erledigen sind, und die an anderen Tagen wertvolle Lernzeit kosten würden, wie zB Einkauf, Haushalt, Bürokratie.
Gibt es Lernmethoden, die sich für die Examensvorbereitung besonders bewährt haben? Da Lernen ein individueller Vorgang ist, ist es wichtig, die eigenen Lernstrategien fortlaufend zu optimieren. Bewährt sind vor allem Methoden, die helfen, Normen zu verstehen und das Wissen darüber langfristig zu behalten, sowie Methoden, die helfen, das Wissen zu verknüpfen und Querverbindungen sowie Zusammenhänge zu erkennen. Das Lernen sollte sehr gesetzeszentriert sein. Es geht darum, Strukturen zu erkennen, Parallelen zu ziehen und Unterschiede zu identifizieren, zB Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Gewährleistungsrechte im Besonderen Schuldrecht. Gute Lernerfolge erzielt man bei der Entwicklung von Fragen und Antworten. Zum langfristigen Behalten sind zB digitale Karteikartenprogramme, die individuelle Wiederholungsabstände gestalten, geeignet. Auch die Methode, am nächsten Tag ohne Unterlagen auf einem leeren Blatt aufzuschreiben, was man vor einem oder zwei Tagen gelernt hat, hilft beim Aufbau langfristigen Wissens sehr gut. Nachweislich großen Effekt hat der Austausch mit anderen über den Lernstoff sowie das gegenseitige Korrigieren von Klausuren. Der Perspektivwechsel in die Rolle von Prüfern kann sehr lernförderlich sein.
Eine gute Tages- und Wochenstruktur berücksichtigt die Chronobiologie (Lerche oder Eule), ausreichend Pausen, einen freien Tag in der Woche, Abwechslung in der Lernaktivität und ausreichenden und guten Schlaf. Denn die Langzeitspeicherung der Lerninhalte findet nicht tagsüber, sondern nachts in gewissen Schlafphasen statt.
Hohe Lernerfolge erzielt, wer sich beim Lernen beobachtet (die Lernforschung nennt das metakognitive Regulation): Was gelingt mir gut im Lernalltag, was gelingt weniger gut? Woran liegt das? Was kann ich noch verbessern? Unter welchen Bedingungen kann ich besonders gut lernen? Zu welchen Tageszeiten kann ich mich besonders gut konzentrieren? Wo hakt es und warum? Mit welchen Tagen war ich eher unzufrieden?
Welche typischen Lernmethoden sind verbreitet, aber wenig effektiv?
Es ist nachgewiesen, dass das »einfache« Zusammenfassen von Lerninhalten wenig effektiv ist. Studierende versuchen, ein umfangreiches Skript zu kürzen, und das dann mehr oder weniger auswendig zu lernen. Die Prüfungsaufgabe ist aber keine Themenarbeit, sondern immer eine Fallbearbeitung. Häufig werden Einzelprobleme, Details oder Fallbeispiele gelernt, aber der Gesamtzusammenhang bleibt offen. Juristisches Denken zu lernen, bedeutet aber, das Gesetz zu verstehen und in der Lage zu sein, unbekannte Probleme argumentativ zu lösen. Weiter wird häufig bei einer Wiederholung das Wissen einfach wiedergegeben, dh noch einmal laut vorgesagt oder durchdacht. Das ist meist nicht ausreichend, um das Wissen wirklich zu verstehen und tief im Langzeitgedächtnis zu verankern. In der Lernpsychologie spricht man daher weniger von Wiederholen, sondern von Elaborieren. Darunter wird verstanden, dass man den Stoff einordnet, in größere Zusammenhänge bringt, darüber reflektiert, Parallelen zieht, Anwendungsbeispiele sucht. Dieses Elaborieren kann man in einer privaten Arbeitsgemeinschaft sehr gut durchführen, wenn man gemeinsam über das Wissen diskutiert. Überhaupt lernen viele Examenskandidaten allein vor sich hin. Oft wird dann gesagt, »allein kann ich am besten lernen«. Das stimmt natürlich. Niemand kann für jemanden anders lernen. Aber durch den Austausch, durch das Sprechen über den Stoff, durch das Erklären erkennt man erst, ob man ihn wirklich verstanden hat. Daher sind private Arbeitsgruppen, die sinnvoll gestaltet sind und nicht zum Kaffeekränzchen mutieren, für viele eine der effektivsten Lernmethoden überhaupt. Häufig wird zu lange am Stück ohne Pausen gelernt. Die Lernforschung plädiert für Abwechslung in den Lernaktivitäten, und übrigens auch bei den Lernorten.
Je näher das Examen rückt, desto größer wird oft die Unsicherheit. Was unterscheidet die letzten Wochen vom Rest der Vorbereitung?
Die letzten Wochen bilden die Gesamtwiederholungsphase. Dabei sollte man sich auf seine vorbereiteten Materialien zu den wichtigsten Lerninhalten fokussieren, also zu den zentralen Normen, zu den zivilrechtlichen Ansprüchen und ihren Voraussetzungen, zu den Anspruchs- und Befugnisnormen im Öffentlichen Recht, zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen von Rechtsbehelfen, zu den Tatbestandsmerkmalen in Strafdelikten usw.
In der Wiederholungsphase sollte man auch kurze Formulierungsübungen durchführen, um das intensive handschriftliche Schreiben oder das Schreiben auf einer Tastatur zu trainieren.
Welche Tagesstruktur hat sich in der heißen Phase bewährt?
Der strukturierte Tagesablauf in den letzten Wochen vor der Prüfung sollte einem Klausurtag immer ähnlicher werden. Das bedeutet: Um die Uhrzeit, zu welcher die Klausuren beginnen, sollte man auch mit Lernaktivitäten beginnen und eher kurze Minipausen machen, um sich an fünf Stunden intensive Konzentrationszeit an einem Stück zu gewöhnen. Auch ist hilfreich, sich am Nachmittag bewusst etwas auszuruhen, denn zwischen den Prüfungen können Schlafphasen am Nachmittag sehr nützlich sein (vor allem, wenn man nachts vor Aufregung weniger gut schlafen kann). Anspannung benötigt Entspannung, das geht in der heißen Phase leicht unter.
Sollte man in den letzten Wochen noch Neues lernen oder sich ausschließlich auf die Wiederholung konzentrieren?
Neue Entwicklungen wie aktuelle Rechtsprechung sollte man sich nur dann merken, wenn man dies rechtlich genau verorten kann. Denn oft gehen gerade solche Klausuren schief, zu denen man zwar das Ergebnis kannte, aber nicht den methodischen Lösungsweg. Crashkurse zur neuesten Rechtsprechung kurz vor dem Prüfungstermin sind schon deswegen nicht unbedingt hilfreich, weil die Aufgabenstellungen der Klausuren schon seit längerer Zeit feststehen. Daher empfehle ich, neue Themen nur ausnahmsweise zu erarbeiten, wenn sie noch besonders wichtig erscheinen und sonst eine wirkliche Lücke entstünde; aber eigentlich sollte dies im Idealfall nicht passieren.
Was sind die größten Fehler, die Studierende in den letzten Monaten machen?
Da gibt es einige Fehler, wie etwa hektisch werden, alles auf einmal lernen wollen, oberflächlicher lernen, das Klausurentraining vernachlässigen, sich auf Prophezeiungen, was geprüft werden könnte, verlassen, die Lernphasen ausdehnen und Lernpausen nicht mehr einhalten, pauken statt denken, einsam statt gemeinsam lernen, sich einschüchtern lassen, Unsicherheit und Selbstzweifel entwickeln. Das alles passiert, wenn man sich vorher zu wenig dem Thema Stressmanagement gewidmet hat.
Welche Empfehlung möchten Sie Studierenden mit auf den Weg geben, die sich gerade mitten in der Examensvorbereitung befinden?
Sehr wichtig ist es, zu begreifen, dass Lernaktivität nicht gleich Lernerfolg ist. Wer seine Lernzeit effektiv und effizient nutzt, wird auch in der Examensvorbereitung Freizeit ohne Reue haben und am Ende erfolgreich sein. Wer auf den zurückgelegten Weg und das Erreichte blickt, wird nicht vor dem Berg zurückschrecken, der noch vor einem liegt und motiviert weitergehen. Wer immer wieder seine Lernstrategien reflektiert, wird fortlaufend seine Lernprozesse optimieren.
Die gute Nachricht ist, dass sich mit dem zunehmenden Wissen immer mehr Parallelen und Zusammenhänge erkennen lassen. Im besten Fall macht Ihnen das Lernen in der Examensvorbereitungszeit mehr Spaß als vorher im Studium. Und jeder Tag bringt Sie dem Examen näher. Wenn ich von Studierenden direkt nach der mündlichen Prüfung wissen will, was sie jetzt Erstsemestern über das Jurastudium und die Examensvorbereitung sagen würden, bekomme ich häufig zur Antwort: ein hoher Aufwand, der sich wirklich lohnt. Viel Erfolg!