Stimme erheben, Hass bekämpfen: Verena Haisch im Interview
Als Anwältin für Presse- und Äußerungsrecht verteidigt Verena Haisch Betroffene gegen Angriffe im Netz. Sie ist Vizepräsidentin des Deutschen Juristinnenbundes e.V. und Korrespondenzanwältin der gemeinnützigen Organisation HateAid. Darüber hinaus setzt sie sich für die Rechte der LGBTIQ-Community und für Geschlechtergerechtigkeit ein. Vor ihrer juristischen Karriere schloss Verena Haisch ihr Schauspielstudium an der Akademie für darstellende Kunst in Ulm ab und war bundesweit an Theatern tätig. Im Interview spricht sie über ihre Motivation, Jura zu studieren, ihren Kampf gegen digitale Gewalt, und darüber, wie wichtig es ist, seine Stimme zu erheben.
Frau Haisch, wie sind Sie dazu gekommen, sich gegen digitale Gewalt einzusetzen?
Zum einen habe ich schon immer im Bereich des Persönlichkeitsrechts gearbeitet: Was macht den Kern der Persönlichkeit aus? Wie weit reicht die Meinungsfreiheit? Welche Angriffe muss ich hinnehmen, welche kann ich abwehren? Zum anderen bin ich bekennende Feministin. Ich bin in den 80 er Jahren in einem eher traditionellen Umfeld aufgewachsen, in einem kleinen Dorf in Bayern. Dort sah man es lieber, wenn die Frauen den Männern zuhören, als wenn sie sich selbst äußern. Das hat mich wahnsinnig geärgert. Aber es ist eben auch so, dass Menschen, die sich äußern, auch angreifbar sind. Gerade im digitalen Bereich kommt es immer wieder zu Angriffen gerade und in besonderer Weise gegen Frauen. Aufgrund der vermeintlichen Anonymität im Netz wird zudem oft heftiger und ungefilterter angegriffen als das im persönlichen Gespräch der Fall wäre. Als der Deutsche Juristinnenbund im Jahr 2016 eine nichtständige Kommission Digitales ins Leben gerufen hat, war für mich klar, dass ich mich dort engagieren möchte. Meine Tätigkeit bei HateAid gibt mir zusätzlich die Möglichkeit, gegen Hatespeech und digitale Gewalt vorzugehen.
Haben Sie persönlich Erfahrungen mit Hass im Netz gemacht?
Wenn ich gegen Hass im Netz vorgehe und jemanden direkt abmahne, kommt es vor, dass ich eine E-Mail mit Beleidigungen bekomme. Oder es wird ein öffentlicher Aufruf gestartet, wer auch schon schlechte Erfahrungen mit mir gemacht hat. Die Bandbreite dessen, was sich Menschen einfallen lassen, ist groß: Von der Beschwerde an die Rechtsanwaltskammer über Strafanzeigen bis hin zu direkten Drohungen.
Wie gehen Sie damit um?
Ich versuche, vieles an mir abprallen zu lassen und professionell damit umzugehen. Wenn es aber zu krass wird, dann zeige ich die Person an und gehe gerichtlich dagegen vor.
Bevor Sie im April 2022 gemeinsam mit Dr. Patricia Cronemeyer die Kanzlei Cronemeyer Haisch gegründet haben, waren Sie als Counsel in verschiedenen Großkanzleien tätig. Wie haben Sie dort Geschlechtergerechtigkeit erlebt?
Ich habe in diesen Großkanzleien eine fantastische Ausbildung genossen: von der Qualität der juristischen Arbeit bis hin zu den Kolleginnen und Kollegen, mit denen man auf sehr hohem Niveau zusammenarbeitet und von denen ich eine Menge lernen konnte. Was mir allerdings aufgefallen ist: Es werden nur wenige Frauen Partnerin und das, obwohl es viele weibliche Associates und Counsel gibt. Die gläserne Decke, von der man immer spricht, die gibt es in vielen solcher Kanzleien weiterhin. Das hat sich zwar in den letzten Jahren etwas gebessert, aber Frauen sind ab einer gewissen Ebene noch immer unterrepräsentiert. Die Kanzlei, in der ich zuletzt tätig war, hat in Deutschland dieses Jahr vier Männer und keine Frau zu Partnern gemacht.
Was können Kanzleien tun, um das zu ändern?
Verbindliche Quoten bei der Partnerernennung einführen. Ich bin der Meinung, dass schon die Leistung von Männern und Frauen nicht gleich bewertet wird. Und dass Menschen, die einem ähnlich sind, besonders gefördert werden. Wenn besonders viele Männer an der Spitze stehen, dann werden auch besonders viele Männer gefördert. Der zweite Punkt ist, dass die Partnerschaft so gestaltet sein muss, dass Frauen diese Karriere überhaupt wollen, indem etwa Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleistet ist.
Sie sind auch Teil der Aktion »Gesicht zeigen« und engagieren sich für die Rechte der LGBTIQ-Community. Wie wichtig ist es, ein Zeichen für mehr Sichtbarkeit zu setzen?
Ich bin nie von außen an die Sache herangegangen, sondern bin in meiner eigenen Biografie auf bestimmte Fragen und Probleme gestoßen: Wie gehe ich als Anwältin mit Homosexualität um? Sag ich es meinem Vorgesetzten und der Kollegschaft? Wenn ich eine Mandantschaft habe, die homosexuell oder queer ist, soll ich dann sagen, dass ich es auch bin, oder ist das unprofessionell? Der Grund, warum ich mich engagiere, kommt aus mir selbst heraus, weil ich anderen, jüngeren Menschen dabei helfen möchte, Antworten zu finden, mit solchen Situationen umzugehen und sich darauf vorzubereiten. Denn ich war nicht vorbereitet, als ich mich das erste Mal outen »musste«.
Bevor Sie Ihre juristische Laufbahn eingeschlagen haben, haben Sie Schauspiel studiert und am Theater gearbeitet. Wie kam es zu diesem Wechsel?
Als Schauspielerin war ich vielleicht nicht talentiert genug, um auf den ganz großen Bühnen zu spielen. Ich hatte tolle Engagements, ohne Frage, aber ein Berufsleben mit mittelmäßigen Inszenierungen der Weihnachtsmärchen oder leichten französischen Komödien war für mich nicht wirklich erfüllend. Hinzu kommt, dass man als Schauspielerin unglaublich viel von sich selbst preisgeben muss. Das fiel mir mitunter schwer. Als ich also Mitte 20 frustriert war im Beruf, war es meine große Schwester Julia, die mich ermunterte, noch einmal ganz neue Wege zu gehen: »Du wolltest doch immer Jura machen oder Schauspiel. Jetzt hast Du das eine gemacht, mach halt das andere!« Das war einer der wichtigsten Impulse meines Lebens. Das Studium hat mir sehr viel Spaß gemacht. Und heute, durch meine Arbeit beim Deutschen Juristinnenbund, bei HateAid oder auch mein Engagement bei »Gesicht zeigen«, kann ich mich einbringen, nicht nur juristisch, und dabei sehr authentisch sein.
Welche Erfahrungen aus dem Schauspielstudium haben Ihnen dabei geholfen?
Ich habe erst mit 26 Jahren angefangen, Jura zu studieren. Dass ich schon vorher einen anderen Beruf gesehen und erlebt habe, hat mir während des Studiums eine große Gelassenheit gegeben. Und ich habe gelernt, genau hinzuschauen. Wenn man eine Szene analysiert, muss man wie in der juristischen Fallbearbeitung die Frage beantworten können: Worum geht es eigentlich? Oder wie meine Schauspiel-Lehrerin Nelia Veksel sagte: »Wo ist Konflikt?!« Als Schauspielerin lernt man zudem, mit einer gewissen Präsenz aufzutreten. Das hilft im Studium bei Präsentationen, im Referendariat beim Aktenvortrag und in der anwaltlichen Praxis jeden Tag.
Haben Sie einen Tipp für mehr Präsenz?
Es ist wichtig, sich seiner selbst bewusst zu werden und darauf zu achten: Wie klingt meine Stimme? Wie ist meine Körperhaltung? Es hilft durchaus, vor dem Spiegel zu üben. Und ganz wichtig: Atmen nicht vergessen. Raum nehmen. Ich habe den Eindruck, dass gerade Frauen dazu neigen, in Vorlesungen seltener lautstark zu diskutieren und sich insgesamt weniger Raum für die eigene Meinung zu nehmen als ihre männlichen Kollegen. Eines meiner Wunschprojekte für die Zukunft ist es, gemeinsam mit meinem Freund, Theaterpädagogen und Coach Jens Franke Stimm- und Sprechtraining für angehende Juristinnen anzubieten.
Was sollte sich an der juristischen Ausbildung ändern?
Die Welt, die die Professorinnen und Professoren den Studierenden präsentieren, sollte vielfältig sein. Sie sollte keine Menschen ausschließen oder Stereotypen vorgeben. Vor allem Studentinnen sollten dazu ermutigt werden, sich laut und offen zu äußern. Und sie sollten vorgelebt bekommen, dass weibliche Juristinnen dieselbe Durchsetzungskraft haben wie männliche Juristen. Dass wir da noch lange nicht sind, zeigt unter anderem der Instagram-Kanal »Üble Nachlese«. Er schafft Aufmerksamkeit für das Problem des Sexismus in der juristischen Ausbildung. Das Projekt wurde von Professorin Dr. Dana-Sophia Valentiner, Selma Gather und Lucy Chebout 2017 gestartet und wird seit 2022 vom Arbeitsstab Ausbildung und Beruf des djb bespielt.