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Interview mit Marina Arntzen

Marina Arntzen

Mut zur Vereinbarkeit: Marina Arntzen im Interview

Kind oder Karriere? Dass es kein Entweder-oder sein muss, zeigt Marina Arntzen, Partnerin mit dem Beratungsschwerpunkt M&A in einer internationalen Großkanzlei, Mutter von drei Kindern und Autorin des Buches »Family-Work-Balance für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte«. Damit will sie vor allem eines: jungen Anwältinnen und Anwälten Mut machen. Im Interview spricht sie über Vorbilder, Vereinbarkeit und Resilienz im Jurastudium.

JA-Redaktion: Frau Arntzen, hatten Sie ein Vorbild, das Ihre Karriere geprägt hat?

Marina Arntzen: Das eine Vorbild gab es nicht. Ich hatte vielmehr das Glück, dass mich auf meinem bisherigen Berufsweg Menschen unterstützt und gefördert haben, die sich wirklich mit mir auseinandergesetzt haben. Die genau hingeschaut haben, wo meine Stärken liegen und wie ich mich persönlich weiterentwickeln kann. Und vor allem auch Menschen, von denen ich lernen konnte – auch heute ist es mir noch wichtig, mich auszutauschen, Feedback einzuholen und weiterzuentwickeln. Viele haben mir gesagt: »M&A mit Kindern? Das wird schwierig.« Davon habe ich mich nicht abhalten lassen. Ich hätte aber gerne ein paar mehr Vorbilder gehabt, die mir einen Weg aufgezeigt hätten, wie Vereinbarkeit in Großkanzleien gelingen kann.

Ist das der Grund, warum Sie sich bei der Initiative »breaking.through« engagieren, einer Karriereplattform für Juristinnen, die Vorbilder aus dem juristischen Bereich sichtbar machen möchte, Veranstaltungen zu bestimmten Themen organisiert und Ratsuchende mit ratgebenden Juristinnen vernetzt?

Die Initiative breaking.through ist eine wunderbare Plattform insbesondere für Juristinnen, um einen Eindruck unterschiedlicher juristischer Lebenswege zu erhalten – und daraus Impulse für den eigenen Weg mitzunehmen. Außerdem sind wir ein tolles Team von mittlerweile über 30 Personen, die sich auch untereinander vernetzen und austauschen. Dadurch und durch die Leitung der Ratvermittlung kann ich nicht nur meine Erfahrungen einbringen, sondern auch über den »Tellerrand« meiner Tätigkeit in der Kanzlei schauen.

An wen richtet sich dieses Angebot?

Grundsätzlich an alle, die zu einem bestimmten Thema den beruflichen Rat einer erfahrenen Juristin suchen. Die Fragen drehen sich häufig um die Themen, ob eine Promotion oder ein LL.M. der passende nächste Schritt für die Ratsuchende ist oder ein Austausch, wenn die Entscheidung zwischen zwei Jobangeboten ansteht. Wir vermitteln dann eine passende Gesprächspartnerin aus unserem Netzwerk, die ihre Erfahrungen einmalig, unverbindlich und kosten- los weitergeben kann. Regelmäßig ist ein Rat von außen sehr hilfreich, um verschiedene Perspektiven und Möglichkeiten zu sehen, insbesondere auch für diejenigen, die in der Familie und/oder dem Freundeskreis keine Personen mit ähnlicher Profession fragen können, die Tipps geben könnten.

Heute sind Sie Partnerin in einer international tätigen Großkanzlei, Mutter von drei Kindern und haben nebenbei noch ein Buch zum Thema »Family-Work-Balance« geschrieben. Was ist Ihr Geheimrezept?

Mein Mann und ich sind ein gutes Team, ohne unseren gemeinsamen Terminkalender wäre ich aufgeschmissen (lacht). Außerdem arbeite ich in der Kanzlei ebenfalls mit einem hervorragenden Team zusammen. Darüber hinaus habe ich Freude an meinem Beruf, und ich liebe es, Mutter zu sein. Ich versuche, mein Leben so zu gestalten, dass ich beides miteinander vereinbaren kann. Das gelingt an manchen Tagen besser und an manchen Tagen ehrlicherweise auch nicht so gut. Ein wesentlicher Punkt, um einen arbeitsintensiven Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, ist aus meiner Sicht vor allem Flexibilität, Gelassenheit und damit klarzukommen, dass nicht alles auf einmal gelingt. Es ist hilfreich schon damit zu rechnen, dass der Tag nicht so geplant abläuft, wie man sich das vorstellt – entweder wird ein Kind kurzfristig krank, Termine verschieben sich, eine kurzfristige Dienstreise steht an oder ein Kind hat eine Aufführung, zu der man gehen möchte, eine Sportveranstaltung oder ein Arbeitstermin dauert länger. Diese bunten Tage sind abwechslungsreich und machen mir Spaß. »Tickt« man ebenfalls so, dass man diese Dynamik mag und nicht die streng geplanten Tage bevorzugt, ist möglicherweise auch kein Geheimrezept für diese intensiven Tage erforderlich. Meiner Erfahrung nach hilft es darüber hinaus, für alle Eventualitäten einen (oder auch zwei) Ersatzpläne zu haben, Prioritäten zu setzen und sich in der Situation, in der man ist – beruflich oder privat, ganz auf diese zu fokussieren. Eine gute Organisation und die Bereitschaft Unterstützung anzunehmen (was auch bedeutet zu akzeptieren, dass andere Menschen Dinge mitunter anders erledigen als man selbst), zB bei der Kinderbetreuung oder im Haushalt, machen die Vereinbarkeit erfahrungsgemäß erst möglich.

Welche Rahmenbedingungen müssen gegeben sein, damit Vereinbarkeit gelingt?

Aus meiner Sicht gibt es grundsätzlich drei Ebenen, die ineinandergreifen müssen: Da ist zum einen die gesellschaftlich-politische Ebene. Die Gesellschaft sollte sich von dem traditionellen Rollenverständnis verabschieden, dass die Frau für die Kinderbetreuung zuständig ist, während der Mann das Geld verdient. Wichtig ist mir an dieser Stelle zu betonen, dass auch diese traditionelle Rollenverteilung ein passendes Modell ist, wenn beide Partner mit dieser Aufteilung glücklich sind. Zu einem Kulturwandel gehört vielmehr ein Familienbild, das alle Modelle zulässt und nicht in die ein oder andere Richtung bewertet, es gibt also kein »richtig« oder »falsch«, sondern das Ziel sollte sein, dass die Eltern mit dem von ihnen gewählten Modell zufrieden sind. Außerdem müssen Eltern problemlos Zugang zu guten Kinderbetreuungsplätzen erhalten. Auf der zweiten, der betrieblichen Ebene, ist es essenziell für das Gelingen der Vereinbarkeit, wenn Unternehmen und Kanzleien eine moderne Arbeitskultur etablieren.

Wie sollte so eine moderne Arbeitskultur aussehen?

Vereinbarkeit gelingt besser in Kanzleien, die eine familienfreundliche Kultur leben, dh zum Beispiel flexible Arbeitsmodelle anbieten, gegebenenfalls auch bestimmte Angebote für (werdende) Eltern haben. Flexibilität in alle Richtungen ist ein Schlüssel für funktionierende Vereinbarkeit, insbesondere um unvorhergesehene Situationen meistern zu können. Auch hier sind Vorbilder wichtig, die zeigen, dass Vereinbarkeit sowohl für Frauen als auch für Männer möglich ist. Flexible Arbeitsmodelle sind übrigens nicht nur ein Thema für Eltern oder werdende Eltern, sondern auch für Menschen mit anderen Lebenszielen, zeitintensiven Hobbies oder etwa für die Pflege von Angehörigen.

Und die dritte Ebene?

Das ist die persönliche Ebene, die voraussetzt, dass man sich selbst einmal gut überlegt, was man möchte und was möglich ist unter Berücksichtigung der eigenen Umstände. Dabei sollte man ganz ehrlich zu sich sein und sich fragen: Wie möchte ich meinen Arbeitsalltag gestalten? Wie viel Zeit möchte ich mit dem Kind/den Kindern verbringen? Wie sollen meine Finanzen aussehen – dh wie viel Geld brauche ich für meinen Lebensstandard in der Stadt, in der ich wohne? Wie sieht Karriere für mich aus? Es empfiehlt sich, die Antworten dann auch mit dem Lebenspartner/der Lebenspartnerin zu besprechen – am besten auch schon bevor das Thema Eltern sein bereits konkret ist, denn dann hat man noch die Möglichkeit zB gemeinsam zu überlegen, wer wann und wie lange Elternzeit nimmt.

»Fest steht: ›One size fits it all‹ und die ›perfekte‹ Vereinbarkeit gibt es nicht« steht im Vorwort Ihres Buches. Wie finde ich die Lösung, die für mich passt?

Das ist ein Prozess. Wenn man die oben angesprochenen Fragen für sich beantwortet hat, kann man sich beruflich danach orientieren. Wenn ich beispielsweise Kinder haben will, aber auch als Anwältin in einer Großkanzlei arbeiten möchte, dann kann ich bei der Wahl meines Arbeitgebers gezielt darauf achten: Welche Arbeitsmodelle gibt es? Welche Benefits gibt es für Familien? Gibt es bereits Anwältinnen und Anwälte in der Kanzlei, die diese Modelle praktizieren und sie funktionieren? Hier lohnt es sich, genau nachzufragen. Darüber hinaus ist das passende Modell auch nicht in Stein gemeißelt, sondern verändert sich und kann jederzeit justiert werden – wie sich die persönliche und berufliche Situation ebenfalls im Laufe der Jahre verändert.

Warum ist Ihnen Family-Work-Balance so ein großes Anliegen? Was ist mit Work-Life-Balance?

Wir alle kennen den Begriff »Work-Life-Balance«. Natürlich könnte man unter »Life« auch die Familie subsumieren. Mir ist es ein Anliegen, den Fokus besonders auf die Vereinbarkeit von Familie und Kanzlei zu legen. Zahlen belegen, dass die Quote der weiblichen und männlichen Associates in den Kanzleien sehr ausgeglichen ist. Drei bis vier Jahre nach dem Berufseinstieg verändern sich die Zahlen jedoch: Insbesondere viele Anwältinnen (mit Kind oder Kinderwunsch) wechseln in andere juristische Bereiche, wie in die Justiz oder in die Rechtsabteilung, also in Berufsfelder, die für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Karriere bekannt sind. Aus zahlreichen Gesprächen habe ich erfahren, dass viele denken oder erleben, dass Vereinbarkeit in der Kanzlei nicht zufriedenstellend gelingt. Das finde ich sehr schade. Ich möchte diesen Frauen und Männern Mut machen, dass es mit bestimmten Tools und in dem richtigen Umfeld in Kanzleien gelingen kann, Familie und Arbeit zu vereinbaren.

Ob Work-Life-Balance oder Family-Work-Balance – welche Rolle spielt Selbstfürsorge dabei?

Selbstfürsorge und Resilienz gehören eng zusammen und sind aus meiner Sicht eine Grundvoraussetzung für Leistung. Ich habe das Buch geschrieben, als mein drittes Kind geboren war. Häufig war ich rund um die Uhr mit Arbeit und den Kindern beschäftigt. Da war ich froh, wenn ich mal eine halbe Stunde für mich hatte. Dabei ist es so wichtig, klare Grenzen zu ziehen und sich aktiv Zeit für sich selbst zu nehmen. Ich versuche jeden Tag, ein bisschen Selbstfürsorge in meinen Alltag einzubauen, indem ich Sachen bewusst mache, zB mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre, den Sonnenaufgang im Park genieße – also kontinuierlich kleine Erholungsinseln in den Tag einbaue und dann natürlich auch größere Auszeiten, Sport und andere Aktivitäten. Es ist hilfreich, wenn man seine eigenen Grenzen kennt und weiß, was einem gut tut.

Ist die Vereinbarkeit auch schon im Studium ein Thema?

Sicherlich in mehreren Dimensionen. Manche Studentinnen und Studenten sind zu dem Zeitpunkt bereits Eltern oder werden es. Für sie stellt sich auch die Frage, wie das Studium mit der Familie vereinbar ist. Eine weitere Dimension ist, dass es vielen Studentinnen und Studenten schwerfällt (auch ohne bereits Eltern zu sein), eine Balance zwischen Lernen und Freizeit zu finden. Das ging mir jedenfalls so. Deshalb ist es wichtig, schon früh ein Bewusstsein für einen resilienten Umgang mit der Arbeit für sich selbst zu finden. In puncto Berufswunsch empfehle ich – einfach mal auszuprobieren, also schauen, was einem Spaß macht, viele Praktika absolvieren und einen Eindruck von der jeweiligen Tätigkeit und Profession zu erhalten – und sich nicht von vorneherein Gedanken zu machen, ob die Tätigkeit mit Familie vereinbar ist.

Stichwort: Resilienz. Wie kann diese gelingen?

Ein Thema unserer Zeit ist eine hohe Stressbelastung. Stress wird sehr unterschiedlich empfunden und ebenso ist die Widerstandskraft – die Resilienz – der Menschen sehr individuell. Es gibt Menschen, die unter großem Druck Höchstleistungen abrufen und gelassen neuen Herausforderungen entgegensehen, während es anderen schwerer fällt mit bestimmten Situationen und Druck umzugehen. Aus meiner Sicht ist es daher wichtig zu lernen, Stress zu »managen« und die eigene Resilienz zu trainieren. Hilfreich dafür kann beispielsweise ein wöchentlicher (oder zB in der Examenszeit täglicher) Check-in mit sich selbst sein, um herauszufinden, wie es einem geht und auf diese Weise das eigene Stresslevel einzuschätzen. Entspannung, eine gute Organisation (vor dem Examen zB einen Lernplan erstellen), mentale Strategien für den Umgang mit Stress und Energie – zB durch Sport, frische Luft, Zeit mit der Familie und Freunden, haben mir während des Studiums geholfen und geben mir auch heute noch Kraft, an intensiven Tagen resilient zu bleiben.

Was wünschen Sie sich in Bezug auf Family-Work-Life-Balance?

Dass wir weniger über die Vereinbarkeit reden müssen, sondern sie für Frauen und Männer, Kanzleien, Unternehmen, die Gesellschaft und Politik selbstverständlich wird.

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