Interview mit Rechtsanwalt Simon Ahammer
Simon Ahammer
Die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Recht, aber auch auf den Arbeitsalltag von Juristinnen und Juristen, werden seit einigen Jahren in, aber auch außerhalb der juristischen Fachpresse diskutiert. Was sind die wichtigsten Veränderungen, die Sie in diesem Zusammenhang festgestellt haben?
Die Digitalisierung wird die bisherigen Geschäftsmodelle der Anwaltskanzleien, gleich welcher Größenordnung, tiefgreifend verändern.
In kleineren Einheiten werden die Umsätze durch Tätigkeiten, die inhaltlich weniger juristisches Fachwissen, als vielmehr prozessuale Kenntnisse im Rechtsumfeld, zB Forderungsbeitreibung, Bußgeldverfahren, Schadensregulierung, erfordern, regelrecht »einbrechen«, da in diesen Bereichen Online-Dienstleister, heute zB geblitzt.de, weniger-miete.de, anwalt-prime.de, schnell und günstig tätig sein werden und dadurch signifikante Marktanteile erreichen werden.
Da bislang die genannten Mandatierungen bei den kleinen Anwaltskanzleien meist das finanzielle »Grundrauschen« darstellen, müssen diese, wenn sie nicht vollständig aus dem Markt gedrängt werden möchten, ihre Beratungsschwerpunkte auf Tätigkeiten verlagern, die rechtlich anspruchsvolle menschliche Beurteilungen erfordern und/oder eine hohe Präsenz vor Gericht bedingen. Aber auch bei mittelständischen Kanzleien und den »Big Playern« am Markt wird die Digitalisierung sich deutlich bemerkbar machen. Zum einen werden diese Kanzleien in der Zukunft weniger Berufsträger benötigen, da computerunterstützte juristische Textanalyse die bisherige Prüfungstätigkeiten von Verträgen vielerAssociates, zB bei M&A Transaktionen, obsolet machen werden, zum anderen werden neue Technologien auch kleineren Einheiten ermöglichen, anwaltliche Dienstleistungen in der Rechtsberatung zu erbringen, die bislang nur mit der »Manpower« von Großkanzleien möglich gewesen waren.
Auf Ihrer Homepage schreiben Sie über sich: »Parallel zu meiner anwaltlichen Tätigkeit berate ich bereits seit dem Studium Anwaltskanzleien aller Größenordnungen bei der Implementierung von branchenspezifischen Softwarelösungen und programmiere entsprechende Anwendungen.« Gibt es Bereiche abseits der »klassischen« Gebiete wie Schriftsatzerstellung und Mandatsverwaltung, in denen sich Kanzleien heute für eine Unterstützung durch Software entscheiden, und wenn ja, um welche handelt es sich?
Zum einen werden von Kanzleien immer mehr Tools für die Unterstützung von speziellen Teilbereichen bei der anwaltlichen Mandatsbearbeitung, zB familienrechtliche Berechnungsprogramme, Onlinedienste zur schnellen und fehlerfreien Honorarnotenerstellung, eingesetzt. Zum anderen gewinnt der Aspekt der Zusammenarbeit sowohl zwischen Berufsträgern untereinander als auch im Verhältnis Anwalt und Mandant bei der Auswahl von Softwarelösungen und Services zusehends an Bedeutung. Neben sicheren Plattformen zum einfachen allgemeinen Informationsaustausch zwischen den genannten Personengruppen, und damit ist nicht das beA [besonderes elektronisches Anwaltspostfach, Anm. der Red.] gemeint, gibt es mittlerweile webbasierte Projektsoftware für den Rechtsmarkt, auf denen auch der Informationsaustausch aller Beteiligten organisiert wird. Aber auch Services, die mittels künstlicher Intelligenz bei der Analyse von juristischen Informationen unterstützen, finden immer mehr den Einzug in Anwaltskanzleien und Rechtsabteilungen.
Welche heute noch nicht erschlossenen Bereiche anwaltlicher Tätigkeit werden in Zukunft von der Digitalisierung besonders betroffen sein?
Alle Bereiche der Rechtsberatung, die in einem wiederholbaren Prozess ohne viel rechtlichen Ermessensanteil abgebildet werden können, werden im Rahmen der Digitalisierung automatisiert werden. Die Höhe des Automatisierungsgrades wird dabei von Rechtsgebiet zu Rechtsgebiet unterschiedlich sein. Grundsätzlich ist aber keine anwaltliche Tätigkeit davor sicher, nicht in den »Fokus« der Digitalisierung zu geraten.
Sie stehen nicht nur Kanzleien beratend zur Seite, sondern waren auch für juristische Fachverlage im Einsatz. Welche Erfahrungen mit der Digitalisierung haben Sie dort gemacht?
Fachverlage haben grundsätzlich eine hervorragende Ausgangssituation, bei der Digitalisierung der Rechtsberatung weitere neue Geschäftsfelder erschließen zu können. Während heute das Geschäftsmodell der Fachverlage in der Veröffentlichung von Gesetzen, Kommentaren, Aufsätzen und Lernmaterialien als Text entweder analog als Bücher und Zeitschriften oder digital über Online-Bibliotheken fußt, ermöglichen neue Technologien – vor allem aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz – , dass Verlage ihre Inhalte zusätzlich zum »Anlernen« entsprechender Programme verwenden können, um dadurch weitere kostenpflichtige Services, wie zB zur automatisierten juristischen Dokumentenanalyse anzubieten. Viele Verlage haben mittlerweile auch dieses Potenzial erkannt, bei der Umsetzung würde ich mir manchmal ein wenig mehr Experimentierfreude und Risikobereitschaft wünschen.
Wie sind Sie eigentlich zum Programmieren gekommen, oder anders gefragt: Welches Interesse war zuerst da: das an Jura oder das an Informatik?
Ehrlich gesagt, Informatik. Ich habe schon zu Schulzeiten in der 7. Klasse mit dem Programmieren angefangen, Jura kam erst später während der Kollegstufe, als ich als Hauptfach Wirtschaft/Recht belegte, hinzu.
Das Jurastudium ist ohnehin dafür bekannt, mit einem hohen Arbeits- und Zeitaufwand verbunden zu sein. Sollten sich Juristinnen und Juristen, die sich noch in der Ausbildung befinden, nebenher noch mit IT-Fragen, beispielsweise mit Grundlagen der Programmierung befassen?
Auf jeden Fall sollten sich Jurastudierende neben der rechtlichen Ausbildung auch mit IT-Fragen beschäftigen, da sowohl die Beherrschung von Applikationen als auch das Verständnis, wie durch Einsatz von Software die anwaltliche Beratung unterstützt und auch die wirtschaftliche Aufstellung der Kanzlei selbst verbessern kann, zukünftig stark gefragt sein werden.
Meines Erachtens gehört zu diesem »IT-Rüstzeug« auch ein Grundlagenwissen über Softwareprogrammierung. Nur wer weiß, wie Computer »ticken«, dh programmiert werden, kann überhaupt kompetent beurteilen, wie und in welchem Umfang Software sinnvoll in der juristischen Tätigkeit eingesetzt werden kann.
Zudem ist davon auszugehen, dass Technologien wie Blockchain und die damit verbundenen »Smart Contracts« in der zukünftigen Rechtsberatung eine nicht unbedeutende Rolle spielen werden. Da Smart Contracts nichts anderes als Softwareprogramme sind, ist der klar im Vorteil, wer diesen Code zumindest fehlerfrei lesen kann. Diese Qualifikation ist meiner Ansicht nach vergleichbar mit der heutigen Anforderung der Kanzleien an Berufsanfänger nach Beherrschung einer oder mehrerer Fremdsprachen.
Herr Ahammer, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Simon Ahammer ist zugelassener Rechtsanwalt in München. Neben seiner juristischen Ausbildung verfügt Herr Ahammer über mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Softwareentwicklung im anwaltlichen Umfeld, hält Vorträge und Workshops zum Thema und twittert hierzu unter @simmuc.