Interview mit Rechtsanwältin Dr. Petra Linsmeier
Prof. Dr. Christian Wolf, Leibniz Universität Hannover; Dr. Petra Linsmeier, Rechtsanwältin und Partnerin bei der Rechtsanwaltskanzlei Gleiss Lutz München
Prof. Dr. Christian Wolf: Frau Linsmeier, Sie sind Partnerin einer der besten Kanzleien in Deutschland und dort unter anderem für die Einstellung von jungen Associates zuständig. Welche Anforderungen muss man mitbringen, um bei Gleiss Lutz in die engere Wahl zu kommen?
Dr. Petra Linsmeier: Grundvoraussetzung für eine Einstellung bei Gleiss Lutz sind exzellente juristische Kenntnisse (dh mindestens zweimal »vollbefriedigend«). Außerdem sollte ein Associate sehr gute Englischkenntnisse, wirtschaftliches Verständnis und Interesse sowie Neugier, Leistungsbereitschaft und Eigenmotivation mitbringen. Und nicht zuletzt ist eine gute Sozialkompetenz für den Umgang mit Mandanten, Behörden und Gerichten sowie im Kollegenkreis wichtig.
Gute Noten nennen Sie als Grundvoraussetzung! Welche Rolle spielen dabei die im Schwerpunkt erzielten Ergebnisse? Haben diese für Sie einen Aussagewert?
Wir schauen auf die Examensnoten als Ganzes, dh auf den Staatsund den Schwerpunktteil. Wenn allerdings die Note im Schwerpunkt deutlich besser ist als die Note des Staatsteils, hinterfragen wir das kritisch. Uns ist auch bewusst, dass die Noten aus dem Schwerpunktbereich nur sehr schwer vergleichbar sind und bereits innerhalb einer Universität stark divergieren. Wenn wir die betreffenden Kandidaten bereits im Studium und Referendariat in der Praxis kennengelernt haben, ist es in der Regel für beide Seiten am besten. In diesen Fällen können wir dann wesentlich besser einschätzen, ob der Kandidat zu uns passt, und umgekehrt ist es genauso.
Und die thematische Ausrichtung des gewählten Schwerpunkts? Kann man mit einem Schwerpunktstudium im Römischen Recht auch im Kartellrecht reüssieren?
Natürlich ist es für unseren kartellrechtlichen Bereich schön, wenn der Bewerber bereits eine Vorbildung im Kartellrecht mitbringt. Allerdings lehnen wir Bewerber, die unsere Kriterien erfüllen, nicht etwa ab, weil sie den »falschen« Schwerpunkt im ersten Staatsexamen gewählt haben. Gerade in den Spezialgebieten wie Kartellrecht oder gewerblicher Rechtsschutz bilden die Schwerpunktbereiche jedoch häufig den Grundstein für das Interesse an dem bestimmten Fachgebiet: Es wird dann häufig weiter im zweiten Examen und/oder durch eine Dissertation vertieft. Das ist aus meiner Sicht die wichtigste Funktion des Schwerpunkts. Er gibt den Studierenden die Möglichkeit, sich intensiv mit einem Bereich zu befassen. Außerdem zwingt es die Studierenden, sich frühzeitig zu überlegen, welche Fächer von besonderem Interesse für sie sein könnten.
Welche Eigenschaften sind erforderlich, um im Anwaltsberuf zu reüssieren?
Um im Anwaltsberuf erfolgreich zu sein, braucht es dieselben Eigenschaften, die wir von unseren neuen Mitarbeitern fordern. Dazu gehören hervorragende juristische Kenntnisse und Kreativität, ein gutes Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge und Probleme sowie die Fähigkeit, auch komplexe Sachverhalte auf den Punkt zu bringen und Lösungen in verständlicher Form dem Mandanten zu kommunizieren. Wichtig sind natürlich auch Einsatzbereitschaft, Empathie sowie die Identifikation mit dem Mandat und der Mandantin. Die Mandanten merken, ob der Anwalt wirklich für ihren Fall brennt.
Was ist aus Ihrer Sicht der größte Praxisschock für junge Rechtsanwälte?
Nach meinem Eindruck fällt es vielen Berufseinsteigern anfangs schwer, komplexe Sachverhalte gut aufzubereiten, juristisch genau zu analysieren und dem Mandanten eine klare Empfehlung zu geben. Viele Berufseinsteiger unterschätzen, dass Anwälte vor allem Dienstleister für die Mandanten sind. Gerade nach dem Referendariat, das noch immer stark auf den Richterberuf ausgerichtet ist, sind Berufseinsteiger häufig überrascht, dass ein großer Teil der Arbeit nicht nur formal »juristisch«, sondern eben auch Mandantenhandling und -kommunikation ist. In der Regel sind die Berufsanfänger jedoch hochmotiviert und genießen es sehr, endlich als »richtiger Anwalt/Anwältin« Fälle zu bearbeiten und das jahrelang erlernte Wissen in der Praxis anwenden zu können.
An den Fakultäten wird die Hausarbeit in den großen Übungen zunehmend infrage gestellt. In Köln hat man sie ganz abgeschafft und meine eigene Fakultät hat diese im Strafrecht gestrichen, wie sehen Sie diese Entwicklung?
Wir legen als Kanzlei großen Wert auf eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung, idealerweise ausgewiesen durch eine Promotion. Insoweit sehen wir die mögliche Abschaffung von Hausarbeiten in den großen Übungen kritisch. Über die Hausarbeiten lernen die Studierenden erstmals, genau zu recherchieren, sauber zu zitieren und sich größere Themenkomplexe strukturiert zu erarbeiten. All dies sind Fähigkeiten, die im Anwaltsberuf täglich gefordert werden und nicht früh genug gelernt werden können.
Der Gesetzgeber zwingt die Fakultäten, sogenannte Schlüsselqualifikationen anzubieten, zB Rhetorik. Die Kurse werden häufig durch Schlüsselqualifikationszentren von Nichtjuristen angeboten, was halten Sie davon?
Wir begrüßen es, dass versucht wird, auch Schlüsselqualifikationen anzubieten. Wir sehen im Vergleich mit englischen Absolventen einen gewissen Nachholbedarf im Bereich Rhetorik und Debattierkunst. Ob diese Kurse von Juristen oder Nichtjuristen angeboten werden, ist aus unserer Sicht nicht entscheidend. Wichtig ist, dass die Dozenten didaktisch und fachlich gut sind und typische Situationen, die für Juristen wichtig sind, verstehen und umsetzen können. Auch ist natürlich wichtig, dass die betreffenden Gruppen nicht zu groß sind, sondern eine möglichst individuelle Förderung erlauben.
Welche Wünsche haben Sie an die Reform der juristischen Ausbildung?
Unser größter Wunsch ist – unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Reform –, dass den Studierenden vermittelt wird, wie juristisch und wissenschaftlich sauber gearbeitet wird. Für uns ist das juristische Handwerkszeug die Pflicht, alles andere ist Kür. Völlig unabhängig vom späteren Tätigkeitsgebiet müssen Studierende juristisch sauber arbeiten können, dh die zentralen Fundstellen finden, lesen und auswerten, richtig zitieren und in gut verständlicher Sprache darstellen. Detail- und Spezialwissen kommt durch die Praxis später hinzu.