Editorial JA 6/2022
Von
Prof. Dr. Christian Wolf, Hannover | Mai 16, 2022
Vom Hashtag #WirSindHanna zum Hashtag #DaSindWirMalRaus – ein Loblied auf unsere wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
#IchBinHanna boomte auf Twitter. In beindruckender Schlichtheit wurde in einem YouTube-Video vom BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) erklärt. Hanna, eine Zeichenfigur, ist Biologin, die an ihrer Doktorarbeit schreibt. Das WissZeitVG begrenzt Nachwuchsstellen auf sechs Jahre für jeweils eine Qualifikationsstufe (Promotion oder Habilitation). Hierdurch soll, so das Erklärvideo, das System nicht für nachfolgende Generationen verstopft werden. Insbesondere an dieser Wortwahl entzündete sich die Kritik. Unter dem Hashtag #IchBinHanna haben eine ganze Reihe von Nachwuchswissenschaftlern ihre Lebenssituation beschrieben, wie sie sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten durch das Leben kämpfen und, statt die Qualifizierungsarbeiten voranzutreiben, Drittmittelanträge schreiben.
Der juristische Nachwuchs hat sich an dieser Diskussion deutlich weniger beteiligt. Dabei unterscheidet sich die Situation von derjenigen anderer Disziplinen nicht wesentlich, zumindest wenn man eine Hochschullehrerkarriere anstrebt. Die Mitarbeiter wollen aber nicht an den Universitäten bleiben. Sie wollen promovieren und anschließend eine Tätigkeit als Richter, Staatsanwalt, Rechtsanwalt oder in der Verwaltung aufnehmen. Viele unterbrechen ihren Weg zur Befähigung zum Richteramt (§ 5 DRiG) zwischen der ersten juristischen Prüfung und dem Vorbereitungsdienst, um als wiss. Mit. an der Uni zu arbeiten und zu promovieren.
Ohne die wiss. Mit. wäre eine (juristische) Fakultät kaum arbeits- und funktionsfähig. Wie baue ich eine Klausur auf? Was verbirgt sich hinter dem Gutachtenstil? Zwingt er dazu, immer im Konjunktiv zu schreiben oder gibt es Alternativen? Was ist BGHZ? Wie baut sich ein Aktenzeichen des BGH auf? Wie zitiere ich richtig? Was steht denn im Mugdan? Aber auch: Wann kann eine Vorschrift analog angewendet werden? Wie legt man einen Vertrag aus? Was versteht man unter objektiver Auslegung?
Die Fragen ließen sich beliebig fortsetzen. Meist werden solche Fragen an die wiss. Mit. in den Arbeitsgemeinschaften adressiert, selten an Professoren in den Vorlesungen. Wiss. Mit. sind zugleich Sparringspartner für die Professoren: »Wie sehen Sie das…?« An einem Lehrstuhl wird diskutiert, es werden Literatur- und Rechtsprechungsrecherchen durchgeführt und besprochen, Veröffentlichungen gemeinsam verfasst, Seminare organisiert, Vorlesungsunterlagen aktualisiert und last but not least: In den Arbeitsgemeinschaften gilt es, die Studierenden in die Technik der Falllösung einzuführen. Kurz: Wiss. Mit. sind für die Qualität der juristischen Ausbildung von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
An den juristischen Fakultäten sollte man den Hashtag #IchBinHanna um den Hashtag ergänzen #DaSindWirMalRaus. In Juve, Azur und jüngst in einem Interview im Spiegel mit einem Managing Partner einer amerikanischen Kanzlei lassen sich wahre Gehalts-Rekord-Rallys verfolgen. Nach dem zweiten Staatsexamen werden inzwischen bis zu 175.000 EUR geboten. Wohlgemerkt: Das ist das Startgehalt für Berufsanfänger, nicht für Berufserfahrene oder gar Partner. Letzteres ist wohl undenkbar. Da man sich bei dem Gehalt schwertut, einen Anzug zu kaufen, gibt’s noch einen Start-Bonus von 15.000 EUR obendrauf.
Zur Einordnung: Ein Richter mit der Besoldungsgruppe R 1 und zweiter Erfahrungsstufe verdient 55.795,32 EUR, ein Richter am BGH 127.202,64 EUR und ein Vorsitzender Richter am BGH 140.607,96 EUR. Professoren-Gehälter mit W3 (Lehrstuhlinhaber) liegen zwischen 85.000 EUR und 105.000 EUR. Zumindest der Vorsitzende Richter am BGH kommt dem Gehalt eines Berufsanfängers in der Großkanzlei schon sehr nahe. Dennoch beträgt die Gehaltsdifferenz zwischen der Vergütung des Vorsitzenden Richters am BGH und der des Associate, vulgo des angestellten Rechtsanwalts, der Höhe nach so ziemlich genau das Gehalt einer bzw. eines wiss. Mit. mit einer halben Stelle an einer Universität (25.500 EUR).
#DaSindWirMalRaus. Völlig raus sind die Universitäten bei den Gehältern, die für wissenschaftliche Mitarbeiter in den Großkanzleien gezahlt werden – bis zu 1.500 EUR pro Monatsarbeitstag. Wer in einer solchen Kanzlei auf einer halben Stelle (2,5 Tage/Woche) arbeitet, erhält am Ende des Monats 3.750 EUR (https://www.azuronline.de/gehalt/gehaelter-fuer-wissenschaftliche-mitarbeiter-nachdem-1-examen/). Nicht schlecht, oder? Zur Erinnerung: An der Universität erhalten wissenschaftliche Mitarbeiter auf einer halben Stelle knapp 2.150 EUR.
Die Antwort auf die Frage, weshalb derart hohe Gehälter gezahlt würden, antwortete der Managing Partner im Spiegel, man empfände es als ungerecht, die jungen Kollegen nicht am Erfolg der Kanzlei zu beteiligen. Dies stößt sich irgendwie hart im Raum mit dem Hinweis, Zugang zum Recht könne man sich bei der (selbstgeschaffenen) Kostenstruktur für den kleinen Mann nicht leisten.
Sicherlich, die intrinsische Motivation ist an Universitäten größer, auch mögen wir uns für deutlich sozial kompetenter halten als der Partner in Großkanzleien, aber bereits bei den Soft Facts wird es schwierig mitzuhalten. Den wiss. Mit. auf einen Cappuccino einzuladen klappt noch, mit einem Abendessen wird’s schon schwieriger. Professoren haben hierfür keinen Etat, sondern zahlen privat. Mal eben zu einem Retreat zu fliegen? #DaSindWirMalRaus
Spricht hier der Sozialneid? Vielleicht. Vielmehr aber die Sorge, die besten Köpfe nicht mehr für die Universitäten gewinnen zu können. Diejenigen, die die Hochschullehrerlaufbahn anstreben, erreicht man noch. Wie sollen aber herausragende Absolventen für die Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiter begeistert werden, wenn man bequem aus dem Homeoffice (meist möglich dank Corona) um ein Vielfaches mehr verdienen und promovieren kann?
Man kann sich nicht damit beruhigen, dies beträfe nur wenige. Die Gehälter zwingen auch deutsche mittelständische Kanzleien zur Anpassung. Universitäten, Gerichte, Verwaltung, kurz der Staat, können nicht anpassen und mithalten. #DaSindWirMalRaus. Die Konsequenzen schaden allen. Ohne hochqualifizierte wissenschaftliche Mitarbeiter lässt sich die Qualität der Ausbildung nicht aufrechterhalten. Wer als Großkanzlei Wert auf Spitzenabsolventen legt, sollte auch dafür sorgen, dass die Universitäten künftig noch in der Lage sind, solche Absolventen hervorzubringen. Und dies geht ohne hochqualifizierte Mitarbeiter nicht.