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Editorial JA 4/2019

Von Prof. Dr. Hans Kudlich, Universität Erlangen-Nürnberg | Mrz 28, 2019

Gesetzgebung – Schwierige Kompromisse und unverblümte Heuchelei


Die Große Koalition hat einen Kompromiss zur Neufassung des § 219a StGB (Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft) gefunden. Im Anschluss an die Verurteilung einer Gynäkologin, die auf ihrer Internetseite angegeben hatte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt, ist es zu einer intensiven politischen Diskussion gekommen. Am einen Ende des Spektrums standen diejenigen, die § 219a StGB unverändert bestehen lassen wollten, am anderen Ende diejenigen, die für seine vollständige Abschaffung eingetreten sind. Der Kompromiss erhält die Strafdrohung aufrecht, gestattet aber die Information über die Tatsache, dass Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a StGB in einer medizinischen Einrichtung vorgenommen werden.

Gesetzgebung – Schwierige Kompromisse und unverblümte Heuchelei


Die Große Koalition hat einen Kompromiss zur Neufassung des § 219a StGB (Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft) gefunden. Im Anschluss an die Verurteilung einer Gynäkologin, die auf ihrer Internetseite angegeben hatte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt, ist es zu einer intensiven politischen Diskussion gekommen. Am einen Ende des Spektrums standen diejenigen, die § 219a StGB unverändert bestehen lassen wollten, am anderen Ende diejenigen, die für seine vollständige Abschaffung eingetreten sind. Der Kompromiss erhält die Strafdrohung aufrecht, gestattet aber die Information über die Tatsache, dass Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a StGB in einer medizinischen Einrichtung vorgenommen werden.

Der Kompromiss erscheint auf den ersten Blick nicht ganz befriedigend, da eine Abgrenzung zwischen diesem Hinweis und einer nach wie vor verbotenen »Werbung« im Einzelfall nicht ganz einfach sein dürfte. Allerdings spiegelt dies letztlich nur die ebenfalls nicht ganz einfache Rechtslage beim Schwangerschaftsabbruch und insbesondere seiner Straflosigkeit nach der sog. Fristenlösung wieder. Bekanntlich ist hier insbesondere § 218a I StGB problematisch, der Abbrüche innerhalb einer bestimmten Frist und nach einer erfolgten Beratung explizit nicht etwa als rechtmäßig, sondern »nur« als tatbestandslos beurteilt.

Das daraus resultierende Spannungsverhältnis spiegelt sich wenig überraschend auch im Streit um § 219a StGB wider: Wäre § 218a StGB ein Ausdruck davon, dass Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der gesetzlichen Frist in jeder Hinsicht rechtlich unproblematisch wären, dann wäre auch absolut unverständlich, weshalb eine Werbung jedenfalls für solche Eingriffe irgendwie eingeschränkt sein sollte; so ist es indes nicht, sondern das Bundesverfassungsgericht hat in der zur jetzigen Gesetzeslage führenden Entscheidung durchaus klargestellt, dass das ungeborene Leben auch in den ersten Schwangerschaftswochen nicht per se schutzlos gestellt sein soll (BVerfGE 88, 203). Würde man umgekehrt davon ausgehen, dass die Straflosigkeit eines Abbruchs innerhalb der Frist nur eine absolute Notlösung trotz eines »an sich« uneingeschränkt strafwürdig erscheinenden Verhaltens darstellen würde, so wäre gut nachvollziehbar, dass die Werbung dafür gleichwohl untersagt bleibt; aber auch so einfach ist es nicht, denn natürlich gibt es auch schützenswerte Interessen der werdenden Mutter, die nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, und der Schutz der Leibesfrucht in dieser frühen Phase ist keineswegs ontologisch (oder aus dem klaren Wortlaut des GG) vorgegeben, sondern eine rechtspolitische Einschätzung, über die man diskutieren kann. Deshalb gilt: Unabhängig davon, wie man selbst zum Thema Schwangerschaftsabbruch steht, ist wohl anzuerkennen, dass es sich um eine sehr schwierige Gemengelage von Rechtspositionen handelt, die keine wirklich befriedigende Lösung ermöglicht, was letztlich auch auf den Umgang mit einer Werbung dafür durchschlagen muss (bzw. zumindest: wenig erstaunlich durchschlägt).

Was deshalb viel mehr erstaunt als die Schwierigkeit, eine wirklich befriedigende gesetzliche Regelung zu finden, ist das Gebaren zumindest einiger Parteien, die diesen »Kompromiss« politisch nicht mittragen wollen, sondern vehement für eine Aufhebung des § 219a StGB bzw. für eine weitergehende Einschränkung der Strafbarkeit eingetreten sind (vgl. etwa zum Gesetzesentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN BT-Drs. 19/630; zu demjenigen der FDP BT-Drs. 19/820). Um nicht falsch verstanden zu werden: Es mag sehr gute Gründe für diese strikte Ablehnung geben (vgl. zu Nachweisen zur Diskussion und zu verschiedenen Stellungnahmen etwa die Aufstellung unter https://kripoz.de/Kategorie/stellungahmen/schwangerschaftsabbruch-stellungnahmen/), aber es ist doch überraschend, wenn nun im Zuge eines Gesetzgebungsverfahrens diese Gründe auch von solchen Parteien vorgetragen werden, welche während der gut 25-jährigen Geltungsdauer des § 219a StGB jeweils mehrere Jahre auch selbst Regierungsverantwortung getragen haben und Teil einer parlamentarischen Mehrheit waren, ohne dass intensive Bemühungen um die ersatzlose Streichung der Vorschrift im Mittelpunkt der politischen Agenden gestanden hätte. Natürlich kann das auch nur Zeichen eines Gesinnungswandels (und mancher würde sagen: ein Anflug von Vernunft) sein. Es entsteht doch leicht der Eindruck, dass es diesen Stimmen gar nicht um eine rechtsstaatliche Zurückdrängung strafrechtlicher Verbote geht, sondern dass eben gerade wieder eine »Sau durchs politische Dorf getrieben« wird, mit der publikumswirksam die Handlungsfähigkeit der großen Koalition in Zweifel gezogen wird.

Denn eines ist klar: Wäre es schon zu Zeiten vor der Großen Koalition zu einer Liberalisierung des § 219a StGB auch nur im Sinne des jetzigen Kompromissvorschlags gekommen, hätte es die Verurteilung, die die aktuelle Diskussion ausgelöst hat, mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht gegeben.

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