CHB_RSW_Logo_mit_Welle_trans
jaheader_neu

Editorial JA 7/2015

Von Professor Dr. Christoph Safferling, LL.M. (LSE), Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg | Feb 16, 2016

»Die Todesstrafe ist abgeschafft.«


Diese klaren, unzweideutigen Worte sind in Art. 102 die Antwort des Grundgesetzes auf die zehntausendfachen Exekutionen von politischen Dissidenten und Widerstandskämpfern, von Deserteuren und »Wehrkraftzersetzern«, von »Gewaltverbrechern« und solchen, die kleinere Vergehen unter vermeintlicher Ausnutzung der Kriegssituation begangen hatten. Verantwortlich dafür war die »Justiz« der Nationalsozialisten am Volksgerichtshof, in Sondergerichten, Militärgerichten, SS-Standgerichten aber auch in der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Art. 102 GG ist die einzig richtige Reaktion auf den nationalsozialistischen Justizterror. Diesem Standpunkt des Grundgesetzes liegt nicht zuletzt die Erkenntnis zugrunde, dass wegen der Anfälligkeit der Justiz für politische Verführung, aber auch für menschliche Irrtümer die Endgültigkeit der Todesstrafe in einem Rechtsstaat nicht zu rechtfertigen ist. Weder die Schwere des Verbrechens noch die Größe der Schuld ändert hieran etwas.

Im internationalen Vergleich wird diese Erkenntnis bedauerlicherweise nicht überall geteilt. In den letzten Wochen erst wurde dies wieder deutlich. Der Attentäter auf den Bostoner Marathon vom 15.4.2013, Zarnajew, wurde von einem Geschworenengericht in Boston zum Tode verurteilt. Dabei hatte der Bundesstaat Massachusetts bereits 1982 die Kapitalstrafe abgeschafft. Nur, dieser Fall wurde vor einem Bundesgericht verhandelt und von der US-Regierung in Washington selbst angeklagt. Diese darf auf Todesstrafe plädieren. Die neue US-amerikanische Justizministerin Loretta Lynch bezeichnete die Strafe dann auch als angemessen. Allerdings fand das Urteil nicht nur im vergleichsweise liberalen Massachusetts, sondern insbesondere auch im Kreise der Hinterbliebenen nicht nur Zustimmung.

In einem Massenprozess gegen den ägyptischen Ex-Präsidenten Mohammed Mursi und weitere 106 Muslimbrüder wurden alle Angeklagten zum Tode verurteilt. Hier war die internationale Kritik – auch seitens der US-Regierung – groß, aber weniger wegen der Strafen als wegen der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens und wegen des Verdachts eines rein politischen Prozesses.

Im April wurde in Indonesien die Todesstrafe gegen acht Drogenhändler vollstreckt. Im Jahr 2013 wurden in China 2.400 Exekutionen vorgenommen; immerhin ein erheblicher Rückgang im Vergleich zu den Vorjahren. Und vor wenigen Wochen schockierte der Ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán mit der Idee, die Todesstrafe in dem Mitgliedstaat der EU und des Europarates wieder einzuführen.

Ganz entgegen dem kategorischen Ausgangspunkt des Grundgesetzes ist die Todesstrafe weltweit Realität. Unlängst hat eine Studie des emeritierten Erlanger Professors Franz Streng gezeigt, dass auch in der bundesdeutschen Gesellschaft die Akzeptanz der Todesstrafe in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen hat (vgl. Franz Streng, Kriminalitätswahrnehmung und Punitivität im Wandel, 2014). Dieser empirische Befund sagt natürlich nichts über die Akzeptabilität der Todesstrafe aus, ist aber vor dem Hintergrund des weltweiten Umgangs mit der Todesstrafe durchaus zur Kenntnis zu nehmen. Diese Entwicklung zeigt deutlich, dass der Art. 102 GG keine Selbstverständlichkeit ist, sondern einen besonderen kategorischen Anspruch erhebt, der begründet werden muss. Mit anderen Worten, um die Abschaffung der Todesstrafe muss stets neu gerungen werden. Als normatives Postulat darf die Abschaffung der Todesstrafe allerdings nicht von wechselnden Mehrheiten abhängig gemacht werden.

Ebenso wie im Grundgesetz, zeugt auch die Entwicklung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) von diesem Ringen gegen staatlich organisierte Tötungen. Während das ursprüngliche Dokument von 1950 noch kein Verbot der Todesstrafe enthielt, folgte ein solches im 6. Zusatzprotokoll von 1983 für das gewöhnliche Strafrecht sowie im 13. Zusatzprotokoll im Jahr 2002 auch für das Kriegsrecht. Im Jahr 1989 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits die Auslieferung aus dem Geltungsbereich der EMRK in ein Land, in dem die Todesstrafe droht, untersagt und die Vollstreckung der Todesstrafe, vor allem den Aufenthalt in der Todeszelle, als erniedrigende und unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bezeichnet (Entscheidung Soering gegen das Vereinigte Königreich EGMR Bd. 1, S. 573 zuletzt bestätigt im Fall Al-Saadoon & Mufdhi gegen das Vereinigte Königreich Appl. Nr. 61498/08).

Diese Rechtsprechung verdeutlicht uns immer wieder, warum ein Rechtsstaat keine Todesstrafe verhängen darf – die Todesstrafe ist unmenschlich und entwürdigend. Auch wenn der Angeklagte sich schwerste Verfehlungen gegen die Rechte seiner Mitmenschen zuschulden hat kommen lassen, darf der Staat ihn nicht entwürdigen. Er darf sich nicht auf dieselbe Stufe mit denen stellen, über die er urteilt. Er würde selbst verrohen. So wie es in Deutschland unter der Herrschaft des NS-Regimes so furchtbare Realität geworden ist. Von Verfassungs wegen kann es deshalb nur eine Antwort geben: Die Todesstrafe ist abgeschafft! Und sie muss es bleiben.

Kommentar abgeben

Bewerbertag Jura 2023

BTJ 2023 Anzeigen

Anzeigen

JA_Banner_animiert_300x130

JA_Premium_bo_Banner_animiert_300x130

BECK Stellenmarkt

Teilen:

Menü