Prof. Dr. Julian Krüper, Bochum
Schutz und Risiko im Grundrechtsraum Hochschule
Die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre spielt in den Vorlesungen zu den Grundrechten zumeist keine besonders große Rolle. Das ist erstaunlich, denn die Wissenschaftsgrundrechte des Art. 5 III GG prägen den Alltag von Hochschullehrern und Studenten stark. Schaut man auf die Wissenschaftsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, zeigt sich allerdings, warum Art. 5 III GG jenseits der Kunstfreiheit im Studium eher randständig bleibt. Denn es geht in der Praxis oft um eine Dimension der Grundrechte, die nicht einfach zu fassen ist, nämlich um die Bedeutung von Organisation und Verfahren für die Wirksamkeit von Grundrechten. Konkret geht es dann um die Gestaltung des Hochschulorganisationsrechts, etwa um die Frage wer, was, wann, wie zu entscheiden hat: der Rektor, der Senat, der Dekan, der Professor, der Fakultätsrat oder der Hochschulrat? Meist werden in der Ausbildungsliteratur zu den Grundrechten als Beispiel für den Grundrechtsschutz durch Organisation und Verfahren die Genehmigungsverfahren für große und emissionsträchtige Industrie- und Energieanlagen genannt. Die Bedeutung dieser Grundrechtsdimension ist aber nicht auf diese Fälle beschränkt.
Das zeigt aktuell die Diskussion über den Entwurf eines neuen Hochschulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen, den die Landesregierung Ende 2024 vorgelegt hat und der Vorbildwirkung auch für das Hochschulrecht anderer Länder haben könnte. Geregelt werden soll unter anderem das Miteinander von Hochschullehrern und ihren Studenten und Doktoranden in einem neuen eigenen Teil, dem »Hochschulsicherheitsrecht«. Dahinter stehen zwei Überzeugungen, eine politische und eine juristische:
1. Die große grundrechtliche Freiheit, die das Grundgesetz den Hochschullehrern in Art. 5 III GG einräumt, werde von manchen in einer Weise missbraucht, dass die Hochschule zu einem unsicheren Raum für Studenten und Doktoranden werde.
2. Eine Sanktionierung dieses Verhaltens sei rechtlich nicht befriedigend möglich, weil die Grundrechte des Art. 5 III GG manche effektive Sanktion verböten.
Ob bzw. in welchem Maße diese Annahmen zutreffend sind, wird sehr unterschiedlich beurteilt, auch wenn unbestritten ist, dass es immer wieder zu inakzeptablen Übergriffen von Hochschullehrern kommt, die nicht folgenlos bleiben dürfen – und es auch regelmäßig nicht bleiben. Diese Übergriffe reichen von der Ausnutzung wissenschaftlicher Abhängigkeitsverhältnisse und gehen über die Ausübung psychischen Drucks bis hin zu sexueller Belästigung und echtem Missbrauch.
Um problematisches Verhalten besser als bislang ahnden zu können, sieht der Gesetzentwurf bestimmte neue Rechtsfolgen vor, die der unmittelbaren Abwehr von Gefahren dienen sollen, etwa Campusbetretungsverbote oder die Beschränkung von Prüfungsmöglichkeiten für Dozenten. Zugleich sollen auch Sanktionen möglich werden, die sonst eher im hoch formalisierten Disziplinarverfahren verhängt werden können, etwa bestimmte Formen der Kürzung von Bezügen.
Dazu sind im Ursprungsentwurf eigene, komplexe neue Verfahren vorgesehen (»Sicherungsverfahren«), die sich unter anderem dadurch auszeichnen, dass etwaigen Betroffenen bessere Mitwirkungsrechte eingeräumt werden, etwa Informationsansprüche, die sie in einem regulären Disziplinarverfahren nicht hätten. Gegen all diese Vorhaben wird man auf den ersten Blick wenig einwenden können. Und doch hat der Entwurf massiven Widerspruch ausgelöst.
Zum einen, weil das »Sicherungsverfahren« die Hochschulverwaltungen zu hoch aufwendigen, quasi-gerichtlichem Handeln zwingen würde, zu dem sie sich schon aus Kapazitätsgründen nicht in der Lage sehen. Zum anderen und vor allem formierte sich Widerspruch, weil der Ursprungsentwurf die Verhängung der neuen Rechtsfolgen an unpassend scheinende Tatbestände knüpft, nämlich unter anderem an die »Beeinträchtigung des sozialen Geltungsanspruchs und der Handlungs- und Entschlussfreiheit hinsichtlich ihrer persönlichen Lebensgestaltung« von Studenten durch Hochschullehrer. Zudem verbindet der Ursprungsentwurf die Verhängung von Rechtsfolgen an ausgesprochen niedrige Eingriffsschwellen und lässt sie auch dann zu, wenn der vorgeworfene »Sicherheitsverstoß« nicht erwiesen ist.
Angesichts der auch an den Hochschulen hoch aufgeheizten Diskussionsatmosphäre, etwa zum Gaza-Konflikt, aber auch zu Fragen der biologischen Mehrgeschlechtlichkeit oder dem sog. Gendern, ist die Befürchtung vieler Hochschullehrer, dass das geplante neue Recht nicht nur Grundlage für die Eindämmung übergriffigen Verhaltens, sondern für den politischen Meinungskampf eingesetzt werden würde und unliebsame oder kritische Lehrmeinungen oder sogar schlechte Bewertungen unter Rückgriff auf die im Ursprungsentwurf vorgesehenen Tatbestände angegriffen würden. Die aktuell laufenden Gespräche mit den Hochschulen drehen sich daher wesentlich auch darum, wie man dem Anliegen, übergriffiges Verhalten effektiv zu ahnden, gerecht werden kann, ohne das wissenschaftliche Miteinander an der Hochschule, das anstrengend und herausfordernd sein muss und sein darf, unnötig zu gefährden.
Darin scheint ein weiterer im Studium kaum thematisierter Aspekt auf, nämlich Fragen der Gesetzgebungslehre: Wie muss ein Gesetz abgefasst sein, damit die Fälle erfasst werden, die erfasst werden sollen und die Wirkungen erzielt werden, die man sich erhofft? Es geht also um das »How to« der Umformung eines politischen Willens in Gesetze, wie es Alltag aber auch ständige Herausforderung in einem demokratischen Rechtsstaat ist. Konkret geht es um die Frage, welchen Schutz die Freiheitssphären der verschiedenen Hochschulangehörigen benötigen und wieviel Offenheit und Risiko notwendig sind, damit sie sich im Sinne eines Leitbilds freier Wissenschaft, Forschung und Lehre und der Freiheit des Studiums entfalten können. Eine klare Antwort darauf gibt es, wie so häufig, nicht.