Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, Universität Regensburg
Plädoyer für eine Ausweitung der DNA-Analyse: Deutschland sollte von seinen Nachbarländern lernen und rasch die Ermittlung der biographischen Herkunft zulassen
Bei schweren Straftaten sollten den Ermittlern alle rechtsstaatlich möglichen Mittel zur Verfügung stehen! Das ist der Staat den Opfern schuldig!
Die Entdeckung der DNA im Jahre 1953 gilt als Meilenstein der medizinischen Kriminalistik. Die DNA-Analyse ermöglicht es, einen Spurenleger positiv zu identifizieren. Der unbestritten hohe Identifizierungsgrad der DNA-Analyse gegenüber dem früher herkömmlichen Blutgruppen-Differenzierungsverfahren gilt als eine Art Superbeweismittel, dessen rechtliche Zulässigkeit im Laufe der Jahre immer mehr erweitert wurde. Schon mithilfe der klassischen forensischen DNA-Analyse kam es in den vergangenen Jahrzehnten zu vielen wichtigen Aufklärungserfolgen. Nicht zu übersehen ist aber, dass die Ergebnisse von DNA-Analysen auch zu krassen und für den jeweils Beschuldigten schwerwiegenden Fehlinterpretationen führten. Aber es gibt auch schwerste unaufgeklärte Straftaten, bei denen die Ermittler nach wie vor nicht vorankommen, weil der DNA-Analyse zumal verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt sind (Stichwort: Überschussinformationen).
Seit der Gesetzesnovelle 2019 ist die sog. DNA-Phänotypisierung (auch: erweiterte DNA-Analyse) zulässig. Ist unbekannt, von welcher Person das Spurenmaterial stammt, dürfen nach § 81e II 2 StPO zusätzliche Feststellungen über die Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie das Alter der Person getroffen werden. Das mögliche Alter des Täters kann mit einer Abweichung von mehr oder minder sechs Jahren bestimmt werden. Auch eine dunkle Hautfarbe lässt sich mit 99%, eine blasse Hautfarbe mit 75% Testgenauigkeit vorhersagen; braune Augen mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% und blaue Augen von 94%. Bei schwarzen Haaren liegt die Testgenauigkeit bei 86%, bei blonden Haaren bei 81%. Derartige Feststellungen können eine wertvolle Vorarbeit für eine DNA-Reihenuntersuchung nach § 81h StPO sein. Dabei geht es um Ermittlungshinweise zum unbekannten Spurenleger, indem Informationen zu seinem möglichen Alter und Aussehen den Ermittlern zur Verfügung gestellt werden, nicht um dessen Identifizierung.
Angesichts der Entwicklungen der Humangenom-Forschung sah der Gesetzgeber sogar die Notwendigkeit, Bürgerinnen und Bürger mit dem Gendiagnostikgesetz vom 1.2.2010 in die Lage zu versetzen, ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung (auch) in diesem Bereich auszuüben.
Was medizinisch machbar ist, nämlich die biographische Herkunft zu ermitteln, lässt die StPO aktuell nicht zu, um eine Diskriminierung auszuschließen, obwohl Tatverdächtige mit Migrationshintergrund dadurch auch entlastet werden können. Die biogeographische Herkunft kann anhand von Weltregionen bestimmt werden, also ob der Täter zB aus Asien, Amerika oder der Nordsahara stammt. Nicht bestimmt werden können insbesondere die Ethnien.
Seitens der Ermittlungsbehörden, die aufgrund der bestehenden Rechtslage nicht alle wissenschaftlich validierten Methoden nutzen dürfen, und auch von der Rechtsmedizin wird diese Forderung immer lauter erhoben, auch die Ermittlung der biographischen Herkunft zuzulassen. Aus der Politik hört man dazu bislang nichts, obwohl viel über Sicherheit und (Un-)Sicherheitsgefühl diskutiert wird. Den Ermittlern stehen de lege lata jedenfalls wichtige Ermittlungsansätze nicht zur Verfügung.
Einige europäische Nachbarländer wie Österreich oder die Niederlande und seit August 2023 auch die Schweiz sind da weiter. In diesen Ländern ist bei ungelösten Kapitalverbrechen die Phänotypisierung einschließlich der biogeographischen Herkunft des unbekannten Täters erlaubt.
Wenn dem Ermittler die biographische Herkunft des unbekannten Täters bekannt ist, kann er diesen investigativen Mehrwert für die Strukturierung seiner Ermittlungen nutzen, weil auszuschließen ist, dass die Ermittlungen in die völlig falsche Richtung gehen. Zeugenaussagen können auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden. So wurden in den Niederlanden nach einem Mord an einer Sechzehnjährigen die Bewohner einer Asylunterkunft entlastet, weil die Phänotypisierung einen blonden blauäugigen Täter mit Wurzeln in Nordwesteuropa nahelegte, der dann ermittelt werden konnte.
Die Forschung im Bereich der Phänotypisierung schreitet rasch voran. Noch lange sind die Möglichkeiten nicht ausgeschöpft. In einem nächsten Schritt wird es möglich sein, Aussagen zu den Augenbrauen, Sommersprossen, Haarform, Glatzköpfigkeit bei Männern sowie zur Körpergröße treffen zu können. Und eines Tages wird es sogar möglich sein, ein genetisches Phantombild zu erstellen.