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Editorial JA 2/2025

Prof. Dr. Markus Ogorek, LL.M. (Berkeley), Att. at Law (NY), Universität zu Köln

Parteiverbot und Reziprozität

Das BVerfG hat das Parteiverbotsverfahren treffend als die »schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde« bezeichnet (BVerfGE 144, 20 Rn. 405). So begründet das Instrument in rechtlicher Hinsicht ist, schafft es politisch doch eine Repräsentationslücke – und birgt das Risiko von Mobilisierungseffekten. Gegebenenfalls kann nämlich der Eindruck entstehen, die etablierten demokratischen Kräfte seien nicht in der Lage gewesen, die Argumente der verbotenen Partei inhaltlich zu widerlegen und hätten den politischen Gegner deshalb »mundtot « machen müssen.

Angesichts dieser Ambivalenz überrascht es kaum, dass das Grundgesetz an ein Verbot hohe Anforderungen stellt. Erforderlich ist, dass die Partei nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik zu gefährden. Vom Verfolgen dieser Ziele in der Breite der betreffenden Partei muss der Antragsteller die Karlsruher Richter nicht weniger als überzeugen. Darüber hinaus hat das BVerfG in seiner zweiten Verbotsentscheidung zur NPD (heute: Die Heimat) konkrete Anhaltspunkte von Gewicht verlangt, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das gegen die Schutzgüter des Art. 21 II GG gerichtete Handeln der Partei erfolgreich sein kann (vgl. BVerfGE 144, 20 Rn. 585). Dieses Kriterium der Potentialität verlangt dem Antragsteller die schwierige Aufgabe ab, den richtigen Zeitpunkt für das Verfahren abzupassen. Anderenfalls ist die Partei vielleicht noch zu klein, um verboten zu werden, oder sie ist bereits so groß, dass ihr Ausschluss aus dem demokratischen Ideenwettbewerb politisch nur schwer darstellbar ist.

Die Potentialität begegnet mit Blick auf die AfD freilich keinen durchgreifenden Bedenken, ist sie doch im Deutschen Bundestag stark vertreten und stellt in mehreren Landtagen jeweils die größte Oppositionsfraktion. Die Erfolgsaussichten eines Verbotsverfahrens hängen somit entscheidend davon ab, ob die Verfassungsfeindlichkeit der Partei belegt werden kann. Anders als bei der früheren NPD, deren Parteiprogramm teils offen antisemitische Inhalte enthielt, gestaltet sich dieser Nachweis bei der AfD als schwierig. Offizielle Verlautbarungen aus Gremien oder von Parteitagen bieten hierfür nur wenig Belastbares. Der Nachweis der Verfassungsfeindlichkeit erfordert daher eine umfassende Beweisaufnahme, in deren Rahmen maßgeblich Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zu zahllosen Einzeläußerungen von Funktionären und Mitgliedern – etwa aus Reden oder Social-Media-Beiträgen – zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammengeführt werden müssen. Eine solche Aufbereitung ist nicht nur mühsam, sondern hinsichtlich der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Äußerungen der Partei zugerechnet werden können und ab welchem Grad ihrer Verbreitung innerhalb der AfD diese für die Ausrichtung der Gesamtpartei stehen, auch methodisch anspruchsvoll.

Unlängst haben 17 Staatsrechtslehrer eine Stellungnahme zu den Erfolgsaussichten eines gegen die AfD gerichteten Parteiverbotsverfahrens an den Bundestagsausschuss für Inneres und Recht übermittelt (abrufbar unter verfassungsblog.de/stellungnahme-parteiverbotsverfahren-afd). Auf der Grundlage einer (nur) 29-seitigen Analyse und Materialsammlung erachten sie ein solches Vorgehen als erfolgversprechend. Sie verweisen insbesondere darauf, dass mit wachsender Potentialität – also Gefährlichkeit – einer Partei die Anforderungen an den Nachweis der Verfassungsfeindlichkeit sinken würden. Je größer die Wahrscheinlichkeit, dass eine Partei die Verfassungsordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen imstande sei, desto geringer müssten die Hürden für ein Parteiverbot (und den in Art. 21 III GG vorgesehenen Ausschluss von staatlicher Finanzierung) sein.

Es ist unzweifelhaft wichtig, dass sich Vertreter der Wissenschaft für den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung einsetzen. Auch wirkt der vorgetragene Ansatz auf den ersten Blick nachvollziehbar, zumal er Anklänge an eine Binse des Sicherheitsrechts aufweist, der zufolge die Schwere der Gefahr die Eingriffsschwelle senkt. Eine solche Reziprozität entspricht jedenfalls bislang aber nicht der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 21 II und III GG. Im Gegenteil: Beim Finanzierungsausschluss wird die Potentialität der Partei nicht geprüft, sodass sich die beschriebene Verknüpfung von vornherein nicht herstellen lässt. Wer angesichts dessen die Wechselbezüglichkeit zwischen Darlegungslast und Potentialität nur im Parteiverbotsverfahren annehmen wollte, würde sich in Wertungswidersprüche verstricken: Es könnte nämlich die Situation eintreten, dass im Parteiverbotsverfahren bei hoher Potentialität die Nachweishürden für die Verfassungsfeindlichkeit niedriger ausfallen als beim Finanzierungsausschluss – obwohl das Parteiverbot im Vergleich die eingriffsintensivere Maßnahme darstellt.

Bezogen auf die AfD dürfte es daher empfehlenswert sein, nicht vorschnell auf ein Parteiverbotsverfahren zu setzen, sondern die seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz voraussichtlich in einigen Monaten anstehende Einstufung der AfD als »gesichert extremistisch « – und ihre gerichtliche Überprüfung – abzuwarten. Daneben steht den Innenbehörden bereits heute das Instrument des Vereinsverbots zur Hand, um den Aktivitäten von verfassungsfeindlichen Umfeldorganisationen der Partei ein Ende zu setzen. Ferner bietet es sich an, die in der Literatur derzeit umstrittene Möglichkeit eines Verbotsantrags gegen einzelne Landesverbände zeitnah einer rechtssicheren gesetzlichen Regelung zuzuführen. Eine weitere Option besteht schließlich darin, die Gutachten der Verfassungsschutzämter zu veröffentlichen. Für die AfD gilt dies besonders mit Blick auf die heutige »Verdachtsfall«-Bewertung sowie für ein künftiges Konvolut zur wohl anstehenden Einordnung als »gesichert extremistisch«. Anders als die an den Bundestag adressierte Stellungnahme enthalten jene Dokumente nicht nur einige Dutzend Nachweise von potentiell verfassungsfeindlichen Äußerungen, sondern umfassen vielfach 1.000 und mehr Seiten. Gerade weil es für ein Verbot der rund 50.000 Mitglieder starken AfD unstreitig einer enormen Anzahl von Nachweisen bedürfen wird, kommt der Beweisführung entscheidende Bedeutung zu. Der frühere Bundesverfassungsrichter Peter Müller resümierte dazu kürzlich zu Recht: »Ein Höcke macht noch keine AfD.«

Prof. Dr. Markus Ogorek, LL.M. (Berkeley), Att. at Law (NY), Universität zu Köln

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